Mein PC gehört mir

Das Bundesverfassungsgericht hat den PC als Teil der Privatsphäre, Online-Durchsuchungen aber als Ermittlungsmaßnahme anerkannt. Gegner der Methode feiern das Grundsatzurteil zu Unrecht als Erfolg. von carsten schnober

Ein neues Grundrecht ist da! Sein Name ist zwar wenig griffig, aber in Zeiten, in denen die staat­liche Achtung vor der Privatsphäre schwindet, geben sich Bürgerrechtler auch mit der »Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme« zufrieden. In einer Grundsatzentscheidung hat das Bundesverfassungsgericht sie Mitte voriger Woche als Grundrecht im Rahmen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts definiert.

Anlass für die Grundsatzentscheidung war unter anderem eine Beschwerde des ehemaligen Bundesinnenministers Gerhart Baum (FDP) gegen eine Novelle des Verfassungsschutzgesetzes von Nordrhein-Westfalen. Sie erlaubte dem In­lands­geheimdienst, zur Verbrechensabwehr via Internet in Computer einzubrechen und die darauf vorhandenen Daten ohne das Wissen der Besitzer zu durchforsten. Wegen der äußerst vage formulierten Einschränkungen solcher Hacker-Angriffe hat das Gericht das Gesetz für verfassungswidrig und damit für ungültig erklärt. Der »Verhältnismäßigkeitsgrundsatz« sei nicht gewahrt und »die gesetzliche Eingriffsschwelle sei zu niedrig angesetzt«, heißt es in der Begründung des Urteils.

Bei den Gegnern der Online-Durchsuchung löste das Urteil Jubel aus. Volker Beck, der Rechts­exper­te der Grünen, sprach von einer »schallenden Ohrfeige« für Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) und den nordrhein-westfälischen Amtsinhaber Ingo Wolf (FDP). Dessen Parteikollege Guido Westerwelle bezeichnete den Richterspruch als »Meilenstein der Rechtsgeschichte für Freiheit und Bürgerrechte«, und die Internationale Liga für Menschenrechte sah schon das »Aus für den Bundestrojaner« nahen.

Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch keineswegs die heimliche Online-Durchsuchung prinzipiell für verfassungswidrig erklärt. Es fordert lediglich, andere Grundrechte wie das Telekommunikationsgeheimnis oder die Unverletzlichkeit der Wohnung zu achten, und besteht auf einer umfassenden richterlichen Kontrolle. Das Gericht setzt außerdem als Bedingung dafür, dass die Maßnahme Anwendung findet, »tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit einer Person oder den Bestand des Staats oder der Existenz der Menschen« voraus. Daten aus dem »Kernbereich privater Lebensgestaltung« dürfen nicht gesichtet und müssen bei irrtümlicher Erhebung sofort gelöscht werden. Außerdem muss nach einer Durchsuchung der Betroffene darüber informiert werden.

In seiner Stellungnahme erklärte Schäuble zu Recht, dass das Bundesverfassungsgericht die »Online-Durchsuchung als Ermittlungsmaßnahme anerkannt« habe. Sein Ministerium hat zusammen mit dem Justizministerium in den vergangenen Monaten bereits ein neues BKA-Gesetz entworfen, das der Polizeibehörde die neue Maßnahme ermöglichen soll. Die SPD, die die Online-Durchsuchung grundsätzlich befürwortet, wollte vor der Formulierung des entsprechenden Absatzes das Urteil zum nordrhein-westfälischen Gesetz abwarten. Ihr Fraktionsvorsitzender Peter Struck erwartet den Entwurf in Kürze, denn Schäuble will das neue Gesetz noch vor der Sommerpause vom Bundestag verabschieden lassen.

Der Richterbund und die Polizeigewerkschaft beschweren sich derweil über die vermeintlich zu hohen rechtlichen Anforderungen. Christoph Frank, der Vorsitzende des Deutschen Richterbundes, nannte es »illusorisch zu glauben, dass Ermittlungsrichter künftig auch noch die riesigen Datenmengen sichten könnten, die bei Online-Durchsuchungen anfallen würden«, weil sie »schon heute teilweise bis an die Schmerzgrenze belastet« seien. Konrad Freiberg von der Gewerkschaft der Polizei forderte: »Wenn Gerichte bei Online-Durchsuchungen zur Kontrolle dazwischengeschaltet werden sollen, dann müssen dafür ausreichend Richter bereitgestellt werden.« Damit vermied er zwar, das Prinzip der richterlichen Kontrolle direkt zu kritisieren, aber stellte dennoch in Frage, ob die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts einzuhalten sind. Die implizite Aussage lautete: Die Richter werden es bei der Online-Durchsuchung nicht allzu genau nehmen können.

Die Zweifel der selbsternannten Pragmatiker aus Judikative und Exekutive bringen den Innen­minister in die angenehme Situation, als Vermittler dazustehen. Sein offizieller Plan, die Online-Durchsuchung »nur in wenigen, aber sehr gewichtigen Fällen« anzuwenden, die übrigens auch der Datenschutzbeauftragte des Bundes, Peter Schaar, befürwortet, klingt mittlerweile wie ein Kompromiss. Der Präsident des BKA, Jörg Ziercke, prognostizierte etwa zehn bis 15 Einsätze jährlich.

Technisch ist der Einbruch in einen bestimmten PC auch für Experten ein aufwändiges Unterfangen, wenn sein Besitzer wenigstens minimale Sicherheitsmaßnahmen getroffen hat. In großem Stil online zu schnüffeln, könnte schon daran scheitern, dass jeder Angriff individuell zugeschnitten werden müsste. Zwar sorgte im vorigen Juni für Aufsehen, dass das FBI einen anonymen Drohanrufer mit Hilfe eines über MySpace übermittelten Trojaners ausfindig machte; allerdings handelte es sich um einen wenig konspirativ agierenden 15jährigen Schüler. Wer weder unbekannte E-Mail-Anhänge noch manipulierte Webseiten unbedarft öffnet, stellt nach wie vor ein kompliziertes Ziel dar.

Die vom FBI eingesetzte Software CIPAV (Computer and Internet Protocol Address Verifier) dürfte auch deutschen Ermittlern als Vorbild dienen. Nach Angaben des Magazins Wired sendet sie direkt nach der Infiltration Informationen über die Internet-Adresse sowie über die Netzwerkhardware und -konfiguration ans FBI. Auch Daten zum Betriebssystem und zur sonstigen Software wie dem verwendeten Webbrowser werden übermittelt. Danach protokolliert CIPAV fortwährend alle angesteuerten Internet-Adressen.

Bislang sehen einige Befürworter die Online-Durchsuchung als Allzweckwaffe gegen nahezu jede Art von Kriminalität, vorausgesetzt, die Täter nutzen einen PC. Die Ermittler wollen auf diese Weise sowohl verschlüsselte E-Mails mitlesen als auch die auf der Festplatte gespeicherten Pläne für Attentate finden. Das Bundesverfassungs­gericht hat immerhin dafür gesorgt, dass der Zweck der Maßnahme klar definiert sein muss. Betrifft sie das Telekommunikationsgeheimnis, sind die damit einhergehenden Einschränkungen zu berücksichtigen. Das Durchstöbern der auf der Festplatte gespeicherten Daten berührt dagegen die Unverletzlichkeit der Wohnung, wenn sich das zu durchsuchende Laptop nicht gerade in einem Internet-Café befindet. In diesem Fall wäre immer noch die Vertraulichkeit der Daten zu gewährleisten.

Trotz der vermeintlich »hohen Hürden« für die Online-Durchsuchung haben neben Schäuble auch Landespolitiker wie Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm (CDU) angekündigt, die Maßnahme unter Berücksichtigung der gerichtlichen Einschränkungen zu erlauben. Die bayrische Landesregierung billigte bereits am 12. Februar einen Gesetzentwurf, der nach Meinung des Innenministers Joachim Herrmann (CSU) durchaus mit den neuen Vorgaben übereinstimmt und somit vom Landtag verabschiedet werden könnte.

Auf der einen Seite schafft das neue Grundrecht Klarheit darüber, dass auch auf Computern gespeicherte Daten grundsätzlich zur Privat­sphäre gehören und durch das Grundgesetz geschützt sind. Auf der anderen Seite betonen die Richter, dass »das Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informations­technischer Systeme nicht schrankenlos« gilt. »Eingriffe können sowohl zu präventiven Zwecken als auch zur Strafverfolgung gerechtfertigt sein.« Angesichts der immer wieder bedenkenlos genehmigten Hausdurchsuchungen und Abhörmaßnahmen ist leicht vorstellbar, wie die richterliche Kontrolle bei Online-Durchsuchungen in der Praxis aussehen könnte.