Moral in den Grenzen von 2008

Schlimm ist, dass derzeit werden Tau­sende Stellen gestrichen werden. Besonders schlimm ist es jedoch, wenn ein ­ausländischer Konzern im Inland Stellen streicht. von winfried rust

Die Auflösung des Nokia-Werks in Bochum war nur der Anfang. Dann kündigte die Pin Group an, 2 000 Stellen zu streichen, RAG Deutsche Steinkohle will den Kohleabbau im Saarland wegen eines Erdbebens einstellen und gefährdet 3 600 Arbeitsplätze, Opel kündigte den Abbau von 1 000 Arbeitsplätzen an, bei der West-LB sind wegen der Finanzkrise 1 500 Arbeitsplätze gefährdet, und der Automobilzulieferer Continental will in Deutsch­land mindestens 2 000 Arbeitsplätze abbauen. Dazu kommen die ganz Großen: BMW streicht weltweit 8 100 Arbeitsplätze, der Konzern Henkel möchte 3 000 Stellen einsparen, und Siemens will 6 800 Arbeitsplätze in der Kommunikationssparte loswerden.

»Wir sind keine Bananenrepublik. Bei uns herr­schen Ethik und Moral!« hatte der Vorsitzende des DGB in Nordrhein-Westfalen, Guntram Schnei­der, den Nokia-Bossen noch am »Familien-Protesttag« zugerufen. Nunmehr kündigen auch die deutschen Firmen.

Obwohl das Ansehen deutscher Manager durch den Fall Zumwinkel durchaus gelitten hat, hält sich die Empörung in Grenzen. »Trotz der guten Geschäftslage Mitarbeiter zu entlassen, ist der falsche Weg«, gab der Generalsekretär der SPD, Hu­bertus Heil, den Bossen zu bedenken. Der DGB kommentierte den »Skandal« des Stellenabbaus: »Hier ist offensichtlich Maßlosigkeit die Leitlinie unternehmerischen Handelns.« Die betroffenen Belegschaften hielten zumeist Kundgebungen ab. Weiter passierte nichts.

Als es um den finnischen Konzern Nokia ging, meinten die Politiker, ihrer Empörung Ausdruck verleihen zu müssen. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) beschimpfte den Weltmarktführer in der Handy­branche als »Subventionsheuschrecke«. Finanzminister Peer Steinbrück (SPD) skandalisierte den »Karawanen-Kapitalismus«, die Linkspartei entdeckte »asoziale Unternehmenspraktiken« und »Subventionshopping«. Verbraucherminister Horst Seehofer (CSU) und der Fraktionsvorsitzende der SPD, Peter Struck, gaben öffentlichkeitswirksam ihre Nokia-Handys ab. Der Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU) beteiligte sich an einer Menschenkette von 6 000 Personen um das Werk in Bochum.

Es ist nicht zu erwarten, dass Bundestagsabgeordnete sich in den nächsten Tagen ihrer BMW-Limousinen entledigen oder der Vorsitzende der CSU, Erwin Huber, vor der Konzernzentrale in München protestiert. Dabei wäre es so einfach, sich über den Stellenabbau zu empören: Obwohl BMW im vorigen Jahr einen neuen Umsatzrekord protestiert hat, möchte die Konzernleitung zehn statt acht Prozent Rendite erwirtschaften. Ähnliche schwerwiegende Probleme gibt es bei Henkel. Die Konzernleitung hätte gern zwölf statt der zehn Prozent Umsatzrendite, die der Rekord-Nettogewinn von 921 Millionen Euro im Jahr 2007 eingebracht hat. Die Telefonanlagensparte Siemens Enterprise Networks (SEN) machte im vergangenen Jahr zwar 602 Millionen Euro Verlust, aber der Gesamtnettogewinn von Siemens war mit 3,9 Milliarden Euro ebenfalls ordentlich.

Das besondere Misstrauen, das ausländischen Firmen entgegengebracht wird, befremdet besonders angesichts der derzeitigen Arbeitsmarkt­daten. Bekanntlich beruht das deutsche Wirtschaftswachstum von 2007 im Wesentlichen auf dem neuen Exportrekord von 969 Milliarden Euro. Der brachte trotz des stagnierenden Konsums im Inland das Wirtschaftswachstum noch auf 2,6 Prozent. Ohne den Exportboom wäre der Rückgang der Arbeitslosenquote auf offiziell 8,6 Prozent nicht denkbar. Deutschland ist derzeit auch am Arbeitsmarkt Globalisierungsgewinner.

Keineswegs schauen die Deutschen deshalb freundlich in die Welt. Bestenfalls betrachten sie »das Ausland« als Wirtschaftsfaktor. Der größte Teil der Öffentlichkeit leidet anscheinend mit den »kleinen Leuten« – und ignoriert, dass es um das neue Handywerk im rumänischen Jucu »noch kleinere Leute« gibt. Bei der bevorstehenden Radikalsanierung von SEN hat Siemens für das Werk im griechischen Thessaloniki keine Bestandsgarantie gegeben – was hierzulande vermutlich ohnehin niemanden interessiert hätte. Im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung findet sich der passende Trost angesichts der »Horror-Zahl« von Kündigungen: »Sie verliert aber ein wenig von ihrem Schrecken, wenn man weiß, dass nur der deutlich kleinere Teil des Abbaus Deutschland be­trifft.«

Neben der nationalistischen Seite der Debatte lohnt sich ein Blick darauf, wie die neuen Stellen­streichungen begründet werden. Die eine Variante, angewandt bei der Siemens-Tochter SEN, ist die klassische Position der Schwäche. Traditionell ist Siemens eines der führenden Unternehmen für Telekommunikationsanlagen, der Konzern lieferte im Jahr 1980 die erste digitale Telekommunikationsanlage. Obwohl seit einigen Jahren immer häufiger über die Rechner kommu­niziert wird, hielt SEN weiter an de Herstellung von Telekommunikationsanlagen fest. So verlor man Marktanteile, beispielsweise an den Marktführer Cisco. Für das zukünftige Geschäft mit Com­putersoftware werden nach Angaben des Personaldirektors Siegfried Russwurm weniger Mitarbeiter benötigt und auch weniger Produktionsstätten: »Langfristig wird es keine klassischen Fabriken mehr geben.« Die IG Metall kritisierte, dass die technische Entwicklung verschlafen wor­den sei: »Dort sind Managementfehler gemacht worden.«

Ein Beispiel für die andere Variante von Kündigungen kommt aus Düsseldorf. »Wir sichern aus einer Position der Stärke die Zukunftsfähigkeit des Unternehmens«, verkündete Henkel. 500 Mil­lionen sollen investiert werden, um rund 3 000 Arbeitsplätze abzubauen, damit ab 2011 jährlich 150 Millionen Euro eingespart werden können. Denn die Zukunft ist immer ungewiss. Schließlich ist der Preis für ein Fass Leichtöl kürzlich über die 100-Dollar-Marke gestiegen, was sich auf die Preise von Produkten des Konzerns wie Persil und Pattex auswirkt, deren Rohstoffe aus Öl gewonnen werden. Überdies sträubt sich der Einzel­handel mit steigendem Konzentrationsgrad immer wirkungsvoller gegen Preiserhöhungen. Da ist es nicht einfach, die Renditeerwartung von zwölf Prozent zu erfüllen. Die Frankfurter Rundschau bezichtigte die Unternehmensleitung der »Gier«. In einem Kommentar hieß es: »Arbeitsplätze streichen ist immer die einfachste Lösung.«

Kurz: Der Manager hat’s schwer! Baut er Arbeits­plätze ab, so wird er kritisiert, tut er es nicht, wird er ebenfalls kritisiert. Aber die schlimmsten sind immer die anderen Manager, die aus dem Ausland.