Nicht totzukriegen

Je häufiger Atomkraftwerke kaputt sind, desto länger bleiben sie in Betrieb. Spätestens im Bundestagswahlkampf 2009 dürfte die Atomkraft erneut als Retterin des Klimas angepriesen werden. von jochen stay

Kurioserweise liegt es an der Störanfälligkeit der Atomkraftwerke, dass kein einziger Reaktor in dieser Legislaturperiode vom Netz gehen wird. Nach Plan hätten vier AKW abgeschaltet werden sollen: Biblis A und B in Hessen, Neckarwest-heim 1 bei Stuttgart und Brunsbüttel an der Unterelbe. Die im Herbst 2006 von den Stromkonzernen eingereichten Anträge auf Verlängerung der Laufzeiten änderten daran nichts, wurden sie doch vom Bundesumweltminister abgelehnt. Inzwischen ist die Entscheidung Sigmar Gabriels (SPD) auch gerichtlich bestätigt.

Doch wurden im so genannten Atomkonsens nicht etwa Fristen bis zum Abschalten der Meiler festgelegt, sondern Strommengen, die pro Kraftwerk noch produziert werden dürfen. Wenn ein Reaktor stillsteht, dann produziert er keinen Strom, und sein Restkontingent bleibt erhalten.

In den beiden Bibliser Blöcken mussten etwa 15 000 falsch montierte Dübel erneuert werden, was mehr als ein Jahr in Anspruch nahm. In Bruns­büttel brannte es im vorigen Sommer, und seit Monaten wird eine ellenlange Mängelliste zumindest teilweise abgearbeitet. Wenn ein kaputtes AKW irgendwann wieder ans Netz geht, wie in Biblis inzwischen geschehen, dann reicht die Reststrommenge plötzlich über den Wahltermin 2009 hinaus. Und wenn ein Reaktor ausnahmsweise mal funktioniert, wie derzeit Neckar­west­heim 1, dann wird er monatelang nur noch mit halber Leistung gefahren, um den Betriebszeitraum zu strecken.

Fast zehn Jahre sind vergangen, seit die Schröder-Regierung 1998 antrat, angeblich um den Atomausstieg zu organisieren. Zehn Jahre, in denen mit Obrigheim und Stade lediglich die beiden kleinsten Reaktoren abgeschaltet wurden. Die 17 Großanlagen strahlen weiter. Seit einem Jahrzehnt gibt es in diesem Land offiziell eine Ausstiegspolitik, nur ausgestiegen wurde bisher nicht. Für die AKW-Betreiber ist das eine relativ komfortable Situation, haben sie sich doch ihre Zustimmung zum angeblichen Ausstieg mit einer Menge Zugeständnisse der damaligen Bundesregierung abkaufen lassen.

Die Stromkonzerne hoffen darauf, dass es nach der Bundestagswahl 2009 eine Mehrheit dafür geben wird, die Laufzeiten für die immer älter wer­denden Reaktoren wieder frei zu geben. Pläne, wie man im Hinblick darauf die künftige Bundesregierung unter Druck setzen kann, werden bereits geschmiedet. Es geht um viel. Denn nach den vereinbarten Reststrommengen würden in der nächsten Legislaturperiode gleich sieben Reaktoren vom Netz gehen: Philippsburg 1 bei Karlsruhe, Ohu 1 in Bayern, Esensham an der Unterweser sowie die bereits genannten.

Es ist also davon auszugehen, dass im Bundestagswahlkampf 2009 erneut um die Laufzeiten gekämpft werden wird. Bei einer schwarz-gelben Regierung wäre relativ sicher mit dem Versuch zu rechnen, die Laufzeiten zu verlängern. Und bei anderen Wahlausgängen? Zwar spricht Umweltminister Sigmar Gabriel ab und zu davon, dass es im Bundestag keine Mehrheit für die Verlängerung der Laufzeiten gibt, und die SPD, die Grünen und die Linkspartei betonen ihren Willen zum Ausstieg. Ob die Sozialdemokraten dabei bleiben, sollte es zum Beispiel wieder zu einer Großen Koalition kommen, ist fraglich. Sicher ist, dass die Atomlobby nichts unversucht lassen wird, um die Sozialdemokraten umzustimmen.

Eine entscheidende Rolle fällt dabei der IG Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE) mit ihrem Vorsitzenden Hubertus Schmoldt zu. Der Atomkraft-Befürworter wirbt einerseits im DGB für ein mehr »Atomfreundlichkeit«, versucht aber auch, im Interesse der Stromkonzerne Einfluss auf die Sozialdemokraten nehmen. Als stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender von Eon dürfte der Gewerkschafter ähnlich interessegeleitet handeln wie der ehemalige Wirtschaftsminister und RWE-Aufsichtsrat Wolfgang Clement (SPD), der sich wegen seiner Kritik am energiepolitischen Konzept von Andrea Ypsilanti (SPD) kurz vor der Landtagswahl in Hessen bei seiner Partei unbeliebt machte. Allerdings stellt sich Schmoldt geschickter an als Clement. Seine Lobbyarbeit findet hinter verschlossenen Türen statt.

Die vier großen Stromkonzerne sind derzeit sehr darum bemüht, ihr schlechtes Image loszuwerden. Investitionen in erneuerbare Energien, die Ankündigung von Eon, das Stromnetz zu verkaufen, Sozialtarife und der vorläufige Verzicht auf weitere Preiserhöhungen sollen dafür sorgen, dass ihr Ansehen nicht noch weiter leidet und ihr Einfluss auf energiepolitische Entscheidungen wächst. Die neue Riege der Vorstandsvorsitzenden – Jürgen Großmann bei RWE, Hans-Peter Villis bei EnBW und Tuomo Hatakka bei Vattenfall – ist um ein gutes Verhältnis zur Politik bemüht. Statt medienwirksamer, aber wenig effektiver »Energiegipfel« setzt man auf stille Diplomatie unter Ausschluss der Öffentlichkeit.

Gleichzeitig wird die öffentliche Debatte weiter angeheizt. Großmann von RWE warnte vor einer »Stromlücke« und »Blackouts«, falls in den nächsten Jahren Atomkraftwerke stillgelegt werden und die geplanten Kohlekraftwerke wegen des wachsenden Widerstands dagegen nicht fertig gestellt würden. Tatsächlich ist die Bundesrepublik einer der größten Stromexporteure Europas. Selbst als im vorigen Sommer zeitweise sieben deutsche AKW vom Netz waren – ein Ausfall von insgesamt 27 Terawattstunden – wurde immer noch ein Überschuss von 14 Terawattstunden produziert.

Die wachsende, berechtigte Kritik der Bevölkerung an den Neubauplänen für gigantische kohlebetriebene CO2-Schleudern wird vereinnahmt und dient als zusätzliches Argument für die Laufzeitverlängerung der AKW. Man tut so, als gäbe es nur die Wahl zwischen Kohlekraft oder Atomkraft. Dabei liegen längst Konzepte vor, wie sich trotz des Atomausstiegs – sollte es irgendwann soweit sein – auf neue Kohlekraftwerke verzichten lässt.

»Es wird keine Probleme geben, wenn sich alle an das Klima- und Energieprogramm der Bundes­regierung halten, das eine starke Steigerung der Energieeffizienz vorsieht«, sagte Andreas Troge (CDU), der Präsident des Umweltbundesamts, der Financial Times Deutschland. »Falls allerdings die Erzeuger die Verbesserung der Effizienz und den Transport des Stroms aus erneuerbaren Energien bewusst verzögern, können sie Probleme provozieren.«

In der absehbaren Auseinandersetzung dürfte es vor allem um das Klima gehen. »Ohne Laufzeitverlängerung werden wir das Klimaschutzziel weit verfehlen«, sagte Walter Hohlefelder, der Präsident des Deutschen Atomforums. Die geplante Stilllegung von sieben AKW fällt in jenen Zeitraum, in dem sich vermutlich herausstellen wird, dass die in Kyoto vereinbarten Ziele nicht erreicht werden. Da würde es sich doch gut machen, wenn die AKW noch ein paar Jahre länger laufen dürfen. Unterschlagen wird in der Diskussion um Atomkraft und Kohlekraft stets, dass sich mit Atomkraft keine Häuser heizen lassen und alle, die C02-armen Atomstrom beziehen, trotzdem Gas oder Öl verfeuern müssen, um ihre Bude warm zu bekommen. Würde man mit dem Gas Kraft-Wärme-Kopplungs-Anlagen betreiben, könnten AKW ersetzt werden, Strom und Wärme wären trotzdem da – und das ohne zusätzliche Klimabelastung.

Doch scheinbar verlockende Angebote liegen bereits vor, die den Atomausstieg weiter verzögern könnten. EnBW etwa will die Verlängerung der Laufzeiten seiner AKW daran knüpfen, einen Teil der so entstehenden zusätzlichen Gewinne in die Erforschung erneuerbarer Energien zu investieren. Ein leicht durchschaubarer PR-Trick, investieren die Konkurrenten von RWE und Eon unterdessen doch ganz ohne Laufzeitverlängerung Milliarden Euro in diesen Bereich. Denn das Geschäft mit Sonne, Wind, Wasser und Biomasse lohnt sich inzwischen auch für die Großen.