Raus aus dem Berg, rein in die Bahn

Ein Erdbeben bietet der saarländischen Regierung eine willkommene Gelegenheit, den hoch subventionierten Steinkohlebergbau früher als geplant einzustellen. von moritz schröder

Auch wenn sie sich um den Anschein bemühen, betreten zu wirken: Die Gegner des Kohlebergbaus im Saarland können kaum verbergen, dass ihnen das jüngste Grubenbeben sehr gelegen kam. Während den Bergleuten derzeit nichts anderes übrig bleibt, als bange abzuwarten, beraten der Ministerpräsident Peter Müller und seine CDU gemeinsam mit der FDP und den Grünen längst, wie der saarländische Stellenmarkt die zusätzlichen Arbeitslosen aus der Zeche aufnehmen könnte. »Ins Bergfreie fallen« solle natürlich niemand, versichert Müller. Wie die Zukunft für die Bergarbeiter aussehen soll, ist aber völlig unklar.

Ende Februar bebte die Erde über dem letzten im Saarland noch betriebenen Kohlebergwerk in Ensdorf. Auch wenn es in den vergangenen Monaten immer wieder Grubenbeben in der Region gegeben hatte, hatte die Erde noch nie so stark gezittert. Weil eine feste Sandsteinschicht wegen der Hohlräume unter Tage plötzlich nachgab, bewegte sich der darüber gelegene Erdboden mit beinahe zehn Zentimetern in der Sekunde. Teile von Gebäuden stürzten ein, mehrere Personen mussten medizinisch behandelt werden. Daraufhin wurde der Abbau in der Zeche eingestellt.

4 147 Beschäftigte, also beinahe 80 Prozent der Belegschaft, mussten in Kurzarbeit gehen. Nur 60 Prozent des Nettolohns erhalten die Arbeiter seitdem, 67 Prozent gibt es nur für diejenigen, die Kinder haben. Wie abhängig die Wirtschaft der Region noch immer vom Bergbau ist, zeigt sich darin, dass auch bei Zulieferbetrieben 400 Leute nur noch Kurzarbeit leisten. Im Dienstleistungsbereich hat es schon die ersten Entlassungen gegeben. »Die haben keine 48 Stunden gebraucht, um die ersten Putzfrauen rauszuwerfen«, sagt Dietmar Geuskens, saarländischer Bezirksleiter der Industriegewerkschaft Bergbau, Chemie, Energie (IGBCE).

Auch wenn die Bergleute kaum Einfluss auf die politischen Entscheidungen haben, gehen sie für ihre Arbeitsplätze auf die Straße. Zuletzt zogen 5 000 Bergarbeiter und weitere betroffene Beschäftigte vor den saarländischen Landtag. Eine Machtdemonstration war es nicht. Denn während die Protestierenden vor dem Parlament standen, verabschiedete die Landtagsmehrheit von CDU, FDP und Grünen eine Resolution, die den Bergleuten wenig Hoffnung machen dürfte. »Das Schicksal darf nicht wieder herausgefordert werden«, heißt es in dem Beschluss. Weiter steht in dem Dokument: »Die Fraktionen bekräftigen die Anordnung des Abbaustopps, der unbefristet gilt. Es darf keinen Bergbau geben, der Gesundheit und Leben gefährdet.« Stattdessen solle nun ein »Solidarpakt Bergbau« das Ende des Kohleabbaus im Saarland »sozialverträglich« regeln.

Dass die Bergleute noch einmal in die Zeche zurückkehren können, ist daher unwahrscheinlich. Für Ministerpräsident Peter Müller, der schon lange den Kohleabbau an der Saar kritisiert, war das Beben im Februar ein äußerst willkommener Anlass. Er kann nun den Bergbau, der nach den bisherigen Plänen erst im Jahr 2014 vollständig aufgegeben werden sollte, vorzeitig beenden. In seiner Regierungserklärung zum Grubenbeben lässt Müller dem Herner Unternehmen RAG Deutsche Steinkohle, das im Saarland und im Ruhrgebiet Steinkohle fördert, keine Wahl: »Die Landesregierung ist sich bewusst, dass der klare Grundsatz: Kein Abbau, wenn nicht die Gefährdung von Leben und Gesundheit der Menschen sicher ausgeschlossen werden kann, das Ende des Bergbaus im Saarland markieren kann.«

Die Garantie für einen Bergbau ohne Beben wird die RAG kaum geben können. Die geologischen Bedingungen haben allein in diesem Jahr nach Angaben der Landesregierung zu 37 Grubenbeben geführt. Eine Ursache ist der starke Druck des Gesteins durch die hohe Abbautiefe von 1 400 Metern. Was aber den Unterschied zum Abbau im Ruhrgebiet macht, sind die festen Sandsteinschichten im Saarland, die nicht etwa nach und nach absacken, sondern eine hohe Spannung aufbauen und dann plötzlich nachgeben.

Die Bergleute merken davon in der Regel nicht viel. »Das knallt einmal laut, mehr passiert nicht«, sagt IGBCE-Bezirksleiter Geuskens. Beben mit einer Stärke wie im Februar dürften nicht passieren. »Aber eine hundertprozentige Garantie, dass überhaupt keine Beben mehr auftreten, gibt es nicht«, sagt er. Doch was das bedeutet, ist klar: Bleibt Müller bei seinem Entschluss, wird in der saarländischen Zeche höchstens noch Museumspersonal beschäftigt.

Einen umfassenden Plan für das sofortige Ende des Bergbaus hat Müller allerdings nicht. Etwa 40 000 Arbeitslose gibt es derzeit im Saarland. Nun beginnt der Streit um die Zahlen. Wie viele Arbeitsplätze sind tatsächlich vom Bergbau abhängig? Die IGBCE geht von insgesamt 10 000 betroffenen Beschäftigten aus, die Gewerkschaft rechnet nämlich die Stellen in Zuliefer- und Dienstleistungsbetrieben hinzu. Müller spricht nur von den etwa 4 000 Menschen, die in Ensdorf beschäftigt sind.

Schon in den vergangenen Jahren sind ehemalige Arbeiter der RAG an anderer Stelle untergekommen. In manchen Jahren wurden wegen der zurückgehenden Kohleproduktion 1 000 Stellen im saarländischen Bergbau gestrichen. »Manche Fahrer der Stadtbahn in Saarbrücken waren früher mal Bergleute«, sagt Albert Fuchs, Sprecher der Bundesagentur für Arbeit im Saarland. Für den schlimmsten Fall warnt Geuskens von der IGBCE dennoch schon jetzt vor einer »Katastrophe, mit der die Region noch lange zu kämpfen haben wird«. Bis Mitte März will die RAG dem Ministerpräsidenten Lösungsvorschläge unterbreiten. Derzeit beratschlagen die Verantwortlichen, ob die Förderung in Ensdorf auf bereits stillgelegte Gruben im Saarland verteilt werden kann. Zudem wird geprüft, ob der Sandstein über den Kohleflözen entspannt werden kann, indem er angebohrt wird.

Früher oder später werden die deutschen Zechen jedoch stillgelegt. Anfang vergangenen Jahres haben die beiden betroffenen Landesregierungen zusammen mit der Bundesregierung beschlossen, die acht verbliebenen Bergwerke, in denen Steinkohle abgebaut wird, bis 2018 zu schließen. 2012 soll lediglich noch einmal über den Beschluss verhandelt werden.

Schon lange wird die deutsche Steinkohleindustrie öffentlich subventioniert. Allein für dieses Jahr ist Fördergeld in Höhe von etwa 2,4 Milliarden Euro vorgesehen. Unrentabel ist der Abbau in Deutschland vor allem, weil die Kohle aus besonders tiefen Schichten geholt werden muss. Derzeit werden ungefähr zwei Drittel der in Deutschland verbrauchten Steinkohle günstig importiert, um sie dann mit schädlichen Auswirkungen für das Klima in Kraftwerken zu verbrennen. Das Ende des Steinkohleabbaus steht jedoch fest. Selbst wenn es im Saarland noch einmal weitergehen sollte, würde es sich höchstens um eine Gnadenfrist handeln.