Der Diktator im Streitwagen

Nach dem Einmarsch in den Irak wurde den USA mangelnder Respekt vor den Überresten der altorientalischen Zivilisa­tion vorgeworfen. Doch wie ging das Regime Saddam Husseins mit der Geschichte Mesopotamiens um? von marcus garbrecht

Vor fünf Jahren rollten die ersten amerikanischen Panzer in den Irak, knapp drei Wochen später nahmen die US-Truppen Bagdad ein. Zu den zahl­reichen Vorwürfen gegen die US-Regierung zählte auch mangelnder Respekt vor den Überresten einer der ältesten Zivilisationen der Welt. Museen blieben ohne Bewachung und wurden geplündert, Panzer parkten in Ausgrabungsstätten. Viele Vorwürfe erwiesen sich später als übertrieben, das Ausmaß der Plünderungen etwa war geringer als zunächst angenommen, und ba’athis­tische Funktionäre hatten sich bedient, bevor andere Iraker die Gelegenheit nutzen konnten.

Doch nur selten wird gefragt, wie unter Saddam Hussein mit der altorientalischen Geschichte und ihren Hinterlassenschaften verfahren wurde. Hussein hatte im ägyptischen Exil zwischen 1959 und 1963 die Vorzüge der pseudohistoriographischen Machtlegitimation kennen gelernt. Bei dem nationalistischen Präsidenten Gamal Abdel Nasser lernte er, dass man mit dem Rückgriff auf die Vergangenheit weit größer erscheinen kann, als man tatsächlich ist. Insbesondere in einem Land, das als »Wiege der Zivilisation« gilt und früher einmal zu den Weltmächten zählte. Nasser stellte sich als Nachfolger der Pharaonen dar, Saddam Hussein fand in den mesopotamischen Zivilisationen eine fast ebenso ergiebige Quelle.

Er war jedoch nicht das erste irakische Staats­oberhaupt, das explizit auf die mesopotamische Kultur zurückgriff. Zu Zeiten der irakischen Mo­nar­chie galt es noch als eher unangemessen, sich auf eine nicht-islamische Epoche zu beziehen. Die Dynastie der Haschemiten legitimierte sich durch ihre angebliche Abkunft aus der Familie des Propheten Mohammed. Nach dem Militärputsch im Jahr 1958 und dem Sturz König Faisals II. wurde die mesopotamische Vergangenheit reaktiviert.

Von nun an fuhren bei den Militärparaden auch mesopotamische Streitwagen mit. War noch unter den Perserkönigen, die nach den babylonischen Herrschern regierten, versucht worden, jede Erinnerung an das babylonische und assyrische Reich, die ihr Kernland auf dem Gebiet des heutigen Irak hatten, auszuradieren, versuchten die neuen irakischen Herrscher von nun an, sich in eine Linie mit den altorientalischen Herrschern zu setzen.

Unter Premierminister Abd al-Karim Qasim wurde auch die identitätsstiftende Direktion der Künste und der Volkskultur gegründet. Ihre Auf­gabe war es, eine Kontinuität der mesopotamischen Kultur innerhalb der irakischen Gesellschaft zu statuieren. Das führte dazu, dass 1970 irakische Provinzen mit antiken Namen versehen wurden. Aus Mossul wurde Ninive, und al-Hilla war von nun an die Provinz Babylon. Selbst das amerikanische Hotel Sheraton musste den Namen der mesopotamischen Kriegs- und Fruchtbarkeitsgöttin Ischtar annehmen.

Viele Elemente der altorientalischen Mythen, etwa die Erzählung von der Sintflut, wurden von späteren Zivilisationen übernommen und in veränderter Form bis in die Gegenwart überliefert. Die Geschichte der damaligen Reiche dagegen war nur Spezialisten bekannt, sie wurde der Be­völke­rung in Lektionen und Darbietungen vermittelt – interpretiert im Sinne des Ba’ath-Regimes. So wurde zum Beispiel die Stele des Begründers des altbabylonischen Reichs, Hammurabi, der zwischen 1792 und 1750 v. u. Z. regierte, bei einem Festival in Mossul 1971 als Dekoration aufgestellt. Auf ihr ist nicht nur ein langer Epilog geschrieben, der die Eigenschaften eines Herr­schers beschreibt, sondern auch einer der frühesten Gesetzestexte, der so genannte Codex Ham­murabi.

Der Kodex kann als Ursprung der Verrechtlichung von Gewaltverhältnissen interpretiert werden – barbarisch in seinen Strafen, die überdies nach dem Stand von Täter und Opfer gestaffelt waren, aber ein erster Schritt auf dem Weg von der Blutrache zur Justiz. Die antimodernis­tische ba’athistische Interpretation stellte dagegen die gewaltsame Vergeltung und die Rolle des starken Herrschers in den Vordergrund. Auch in der bildlichen Darstellung Saddam Husseins tauchte immer wieder die Ikonographie der alt­orien­ta­lischen Herrscher auf, er ist in fast allen ihren Posen zu sehen, beispielsweise auf der Löwenjagd oder im Streitwagen.

Insbesondere Nebukadnezar II., der zwischen 604 und 562 v. u. Z. regierte, hatte es Saddam Hussein angetan. Bei einer Militärparade wurde sein Siegeszug nachgestellt. Dabei brachte ein als Nebukadnezar verkleideter Schauspieler die bei der Eroberung Jerusalems 589 v. u. Z. gefangen genommenen Jüdinnen und Juden zu Saddam Hussein. Die Eroberung Jerusalems und die »babylonische Gefangenschaft«, die Zwangsumsiedlung eines Teils der unterworfenen jüdischen Bevölkerung, wurden für die antisemitische Ideo­logie des Regimes nutzbar gemacht. Auch Saddam Hussein wäre gerne als Eroberer in Jerusalem einmarschiert, er stellte sich sogar als einen direkten Nach­fah­ren Nebukadnezars dar.

Wie es auch die altorientalischen Herrscher taten, legte er sich während seiner Amtszeit schmü­­ckende Beinamen zu: »Saddam, der von Gott beschützt und verteidigt wird«. Das alt­orien­ta­lische Äquivalent dazu wäre: »Nebukadnezar, König der vier Weltgegenden. Der starke König. Der von den Göttern Gewollte.« Saddams Affinität ging sogar so weit, dass er alte Monumente Babylons wie das berühmte Ischtartor wieder­errichten und sich als dessen Miterbauer feiern ließ. Er selbst legte, ganz der altorientalischen Tradition folgend, den Grund­stein. Er ließ auch eine Vielzahl von Ziegeln in das Tor einbauen, auf denen sein Name stand. In Pro­pagandacomics ließ sich Saddam Hussein neben Nebukadnezar beim Bau abbilden.

Die 25-Dinar-Note zeigte ihn auf der Vorderseite, während auf der Rückseite das Ischtartor zu sehen war. Ebenfalls auf irakischen Geldscheinen zu finden war der altbabylonische Reichsgründer Hammurabi, der sich als Hüter der Schwachen darstellte. Saddam adaptierte dies für seine Pose als Verteidiger der Araber gegen Amerika. Der Bezug auf die altorientalischen Reiche sollte aber auch den Führungsanspruch in der arabischen Welt untermauern. Anlässlich seines Geburtstags ließ er 1990 als Assyrer und Babylonier verkleidete Truppen an sich vorbeiziehen, ein Symbol für die Vereinigung zweier Gruppen, die fast immer im Konflikt miteinander standen, unter einem starken Herrscher.

Die Vergangenheit wurde gewissermaßen ­rück­wirkend arabisiert, doch die Ungereimtheiten zu erkennen, setzte historische Kenntnisse voraus. Offensichtlicher war der Widerspruch zur »Islamisierungspolitik« des Regimes. Seit 1991 trug die irakische Flagge den islamischen Schriftzug »Gott ist groß«, angeblich in Saddam Husseins ei­gener Handschrift. In den altorien­ta­lischen Schrift­zü­gen dagegen war unzweifelhaft von Göt­tern die Rede, nicht von dem einen Gott des Islam. Auf den Widerspruch hin­zuweisen, wäre jedoch lebens­gefährlich gewesen.

Mit der ba’athistischen Herrschaft endete vorläufig auch die Mythologisierung der altorientalischen Geschichte. Dass Saddam Hussein sich mit den Herrschern der Vergangenheit identifizierte, scheint viele Iraker dazu gebracht zu haben, die Vergangenheit mit ihm zu identifizieren. Nach dem Sturz des Dikators wurde auch das vermeintlich »größte Nationalerbe«, das Bagdader Nationalmuseum, geplündert, ebenso wie zahlreiche archäologische Fundstätten.

Vor allem islamistische Gruppen lehnen einen positiven Bezug auf die polytheistische Vergangenheit ab. Die altorientalische Geschichte ist für sie nur insofern von Interesse, als die Stadt Ur als Geburtsort Abrahams gilt – doch er musste aus­wandern, weil er für den Monotheismus warb. Vom Schriftzug »Gott ist groß« auf der Na­tionalfahne hat sich der Irak nicht getrennt. Die ursprüngliche Version wurde durch eine kufische Schrift ersetzt, die aus der frühislamischen Zeit stammt. Auf den neuen Geldscheinen, die historische Motive zeigen, dominieren islamische The­men. Nur König Hammurabi hat es geschafft, er ziert die Rückseite der 25 000-Dinar-Note.