Lagerung von Atommüll

Gau unter Tage

Wo Atommüll gelagert werden soll, entscheiden Politiker und die Atomindustrie mit Vorliebe unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Doch etliche ausgewählte Stollen eignen sich nicht als Endlager.

Müll hat man im Allgemeinen am liebsten nicht in der Wohnung, sondern in der Tonne. Man will recht wenig von ihm wissen. Erst recht, wenn es sich um giftigen Abfall handelt. Er soll am besten einfach verschwinden, aus dem Sichtfeld und dem Bewusstsein. Für Abfälle aus Atomanlagen ist die Strategie der Verdrängung auf Dauer aber nicht ratsam. Es bedarf gesellschaftlicher Entscheidungen, um katastrophale Ergebnisse zu ver­meiden.
Eine Entscheidung wurde in der vergangenen Woche getroffen. Am Mittwoch teilte das Bundes­verfassungsgericht der Stadt Salzgitter mit, dass es ihre Beschwerde gegen die Genehmigung des Endlagers Schacht Konrad ablehne. Erfolgreicher könnte die Klage eines Landwirts sein. Er bewirtschaftet an den Stollen grenzende Felder, ist also von den Auswirkungen des geplanten Endlagers unmittelbar betroffen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Klage des Bauern steht noch aus.
Schacht Konrad ist ein ehemaliges Eisenerzberg­werk im Industriegebiet der Stadt Salzgitter. Dort sollen zukünftig mehr als 300 000 Kubikmeter Atommüll mit geringer Wärmeentwicklung gelagert werden. Das Gestein soll von dem Abfall um nicht mehr als drei Grad erwärmt werden. Am Gesamtvolumen des einzulagernden Materials hätte der auch als schwach- und mittelradioaktiv bezeichnete Müll einen Anteil von 95 Prozent. Der größte Teil käme aus dem Betrieb der AKW – direkt oder über den Umweg der Wiederaufbereitung. Ein geringer Anteil würde aus Forschungslabors und nur etwa zwei Prozent würden aus Kran­ken­häusern stammen. Bisher wurden 900 Millionen Euro für vorbereitende Maßnahmen in Schacht Konrad investiert. Der geplante Umbau des Bergwerks zum Endlager soll noch einmal so viel kosten. Von 2013 bis 2080 soll der strahlende Müll unter die Erde gebracht, danach der Schacht geschlossen werden. Jedoch bestehen erhebliche Zweifel, ob Schacht Konrad überhaupt geeignet ist. So befindet sich das geplante Endlager in einer Gesteinsschicht, die Grundwasser führt. Zudem ist fraglich, ob das Deck­gebirge, also die oberste Gesteinsschicht, die wichtige Funktion als Barriere erfüllen kann.

Es wäre notwendig, auch für die Lagerorte von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen ein rationales Auswahlverfahren anzuwenden. Diese Mühe wollen sich Staat und Atomindustrie derzeit allerdings nicht machen. Politiker diskutieren nicht mehr öffentlich über Schacht Konrad. Der Sprecher der die Pläne ablehnenden Arbeitsgemeinschaft Schacht Konrad, Peter Dickel, glaubt aber an die Stärke des regionalen Widerstands: »Wir sind überzeugt, dass das Endlager hier in der Region nicht durchsetzbar ist.« Wahrscheinlich werden die notwendigen Transporte des Mülls auch dazu beitragen, dass der Protest über­re­gio­nale Unterstützung erhalten wird.
In der Bundesrepublik fehlt immer noch ein Endlager für Brennelemente aus den Atomkraftwerken und hochradioaktiven Müll aus der Wiederaufbereitung. Bereits 1977 wurde das nahe der damaligen innerdeutschen Grenze gelegene Gorleben als Ort ausgewählt. Die DDR hatte sich bereits 1965 für ein zentrales Endlager bei Morsleben entschieden. Von dort sind es bis zum damals jenseits der Grenze gelegenen niedersächsischen Ort Helmstedt nur sieben Kilometer.
Geologische Erkenntnisse spielten bei der Auswahl von Gorleben eine geringe Rolle. Als Erkundung getarnt, wurde über Jahrzehnte im Salzstock an einer nuklearen Mülldeponie gebaut. Da es sich offiziellen Angaben zufolge nur um eine Erkundung handelte, stützte man sich auf das Berg­recht, nicht auf Atomrecht. Lästige demokratische Formalitäten, die Beteiligung der Öffentlichkeit, Anhörungen oder gerichtliche Auseinandersetzungen konnten sich Politik und Atomindustrie so sparen.

Dabei lassen geologische Untersuchungen Zweifel an der Eignung des Salzstocks aufkommen. Es ist fraglich, ob in Gorleben die notwendige Trennung des Atommülls von der Biosphäre für eine Million Jahre gewährleistet ist, wie drolligerweise behauptet wird. Angehörige der rot-grünen Bundesregierung teilten diese Zweifel zumindest zu Beginn ihrer Amtszeit. Ein Arbeitskreis »Auswahlverfahren Endlagerstandorte« wurde daher mit der Entwicklung von Kriterien und Verfahren zur Standortwahl beauftragt. Ende 2002 legte der Arbeitskreis seine Empfehlungen vor: Mit der Suche nach geeigneten Orten sollte noch einmal von Neuem begonnen werden. Endlager sollten in ungenutzten Gesteinsschichten und nicht in bereits wirtschaft­lich ausgebeuteten Bergwerken eingerichtet werden. Diese Vorgehensweise wurde aber in dem als »Atomkonsens« bezeichneten Vertrag zwischen der rot-grünen Bundesregierung und der Atomwirtschaft aus dem Jahr 2004 wieder verworfen. In Bezug auf Gorleben wurde zudem eine skurrile Wortschöpfung der vorherigen Regierung übernommen: »Eignungshöffig« sei der Stollen. Die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt und so konnte man sich auf Gorleben festlegen, ohne sich eindeutig festzulegen.
So ist Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) der Meinung, Gorleben müsse sich in einem bundesweiten Auswahlverfahren dem Vergleich mit anderen Standorten stellen. Die Begründung liefert der Minister gleich mit: »Wir müssen vermeiden, dass nach jahrzehntelangen Arbeiten und Investitionen in Milliardenhöhe ernsthafte Zweifel an der Sicherheit eines Standortes und der Objektivität bei seiner Auswahl bestehen bleiben.« Nicht die Unsicherheit des Endlagers ist also nach Auffassung des »Ministers für Reaktorsicherheit« das Problem, sondern der eventuell noch bestehende Zweifel in der Bevölkerung.
Wie reibungslos und sicher der Betrieb eines Endlagers verläuft, zeigt sich derzeit im Bergwerk Asse 2. Es liegt im niedersächsischen Landkreis Wolfenbüttel. In dem ehemaligen Salzbergwerk wurden von 1967 bis 1978 126 000 Fässer Atommüll eingelagert. Sehr frühzeitig wurde vor einem möglichen Wassereinbruch gewarnt, der dann 1988 eintrat. Die Tatsache wurde zehn Jahre lang erfolgreich verheimlicht.

Derzeit laufen täglich etwa 13 Kubikmeter Wasser in das ehemalige Bergwerk, die aufgefangen und wieder an die Oberfläche gepumpt werden. Der Stollen droht vollzulaufen und einzustürzen. Um den Zusammenbruch zu verhindern, wollen die bundeseigene Gesellschaft für Strahlenforschung (GSF) und das niedersächsische Umweltministerium als Aufsichtsbehörde das Atomlager mit Magnesiumchlorid füllen, um so die Stabi­lität der Grube über das Jahr 2017 hinaus zu gewährleisten. Die GSF musste jedoch einräumen, dass sich als Folge die Fässer in zehn bis 100 Jahren auflösen würden. Damit wäre sicher, dass radioaktive Bestandteile ins Grundwasser gelängen. Der Müll enthält etwa zwölf Kilogramm Plutonium. Selbst Gabriel musste deshalb eingestehen, in Asse 2 ereigne sich der »Gau des Endlagers«.