Private Investoren im staatlichen Ölgeschäft in Mexiko

Obradors nationale Ölung

Die mexikanische Regierung will künftig mehr private Investoren an der staatlichen Ölförderung teilhaben lassen. Die linke Opposition droht damit, das Land »demokratisch lahm zu legen«.

»Wieder mal hat niemand glauben wollen, dass wir heute eine große Kundgebung hinbekommen. Ganz Mexiko ist in den Osterferien und dennoch stehen wir hier auf einem vollen Platz, in Verteidigung unseres Öls. Es gibt eben keine schönere Erholung, als für die Heimat zu kämpfen«, schreit eine Frau in Tracht und mit Strohhut ins Mikrofon. Doch davon muss die Moderatorin der Protestveranstaltung zum 70. Jahrestag der Ver­staat­lichung der Ölindustrie ohnehin kaum jemanden von den mehr als 100 000 Versammelten überzeugen. »Das Öl ist unser Heute und Morgen«, »Kei­ne Ausländer an unser Öl« und »Ohne Öl keine Nation« sind nur einige Parolen im Gewirr unzäh­liger Spruchbänder und selbst gebastelter Plakate in Mexiko-Stadt.

Am 18. März 1938 verstaatlichte der mexikanische Präsident General Lázaro Cárdenas die Ölindus­trie und zahlte – was selten erwähnt wird – den enteigneten Konzernen anschließend eine mehr als großzügige Abfindung für ihre verlorenen Bohr­türme. Unter Ausschluss privater Konkurrenz erlebte das staatliche Unternehmen Petróleos de México, kurz Pemex, einen turbulenten Aufstieg, vor allem seit die USA nach der ersten Ölkrise 1973 wieder auf Importe aus dem südlichen Nach­bar­land setzten. Im vergangenen Jahr gingen 36 Pro­zent der Staatseinnahmen auf die hoch besteuer­te Ölrente zurück. Auch wenn die mexikanischen Staatsoberhäupter seit Anfang der achtziger Jahre so ziemlich jede Strukturanpassungsmaßnahme der Weltbank mittrugen und mit ihrem Privatisierungskurs den mexikanischen Unternehmer Carlos Slim zum zweit­reichsten Mann der Welt machten – an Pemex traute sich keiner heran.
Seit Ende des Jahres jedoch bemüht sich der der­zeitige Staatspräsident und ehemalige Energieminister Felipe Calderón von der Partei der nationalen Aktion (Pan) im Rahmen einer geplanten Energiereform um mehr private Betei­ligung an der Suche nach neuen Ölfeldern im Golf von Mexiko und stellt Pemex in seiner jetzigen Form gern als Unternehmen dar, das den wirtschaftlichen Fortschritt behindert. Dieses Vorgehen läuft der me­xikanischen Ökonomin Oliva Sarahí Ángeles Cornejo zufolge nach einem altbekannten Muster ab. »Zunächst werden einem Unternehmen die Mittel gekürzt, um es öffentlich als ineffizient bloßzustellen, und eine Rufmordkampagne wird betrieben, die die Ursachen der Ineffizienz ausspart. Danach wird seitens der Regierung mit öffentlichen Mitteln eine Restrukturierung begon­nen, um das Unternehmen rentabler zu machen und dann zum Schnäppchenpreis zu verkaufen.«
Eine solche Sichtweise hat sich auch die parlamentarische Linke, die Partei der demokratischen Revolution (PRD), zu eigen gemacht. Besonders Andrés Manuel López Obrador, der vor zwei Jahren bei der von Betrugsvorwürfen überschatteten Präsidentschaftswahl unterlegene Kandidat der Partei, hat sich inzwischen erfolgreich zum offiziellen Verteidiger des Öls stilisiert.
Auf der Protestveranstaltung wird der ehe­malige Bürgermeister der Hauptstadt als »legitimer Präsident« empfangen. Die Frau mit dem Strohhut kündigt seine Ankunft wie die eines Pro­fiboxers an. Auf dem Podest klatschen zwei Dutzend Senatoren und Abgeordnete der PRD ihrem popu­lären Parteigenossen Beifall, alle partei­internen Querelen um seinen Führungsstil scheinen vergessen. Zunächst bemüht er sich, in ­seiner Rede die Sachzwanglogik der »unechten Regierung« zu widerlegen: »Mexiko hat noch immer Öl, und das nicht nur unter dem Meer«, verspricht er. Doch nach Meinung vieler unabhängiger Experten werden Mexiko in nur neun Jahren die erschlossenen Ölvorkommen ausgehen. Es sei deshalb höchste Zeit, im Golf von Mexiko »nach den dort verborgenen Schätzen zu bohren«, warb Pemex in einem inzwischen als »ar­gumentativ ungeeignet« zensierten Werbespot. Dennoch, das Problem bleibt. Für eine Förderung aus 3000 Metern Tiefe fehlen Pemex das Know-how und das Geld.

Geld fehlt vor allem, weil Pemex gut 30 mal mehr Steuern zahlt als beispielsweise BP und deshalb trotz derzeitig 90 US-Dollar Gewinn pro gefördertem Barrel weder eine positive Unter­nehmens­bilanz präsentieren noch in die marode Infra­struk­tur des Unternehmens oder kostspielige Probebohrungen investieren kann. Das staatliche Ölgeschäft durch Pemex ist neben den Devisen mexikanischer Arbeitsmigranten die letzte Möglichkeit, die schleichende Inflation aufzuhalten und ein minimales Wirtschaftswachstum im Land aufrechtzuerhalten.
Obradors nicht gerade neuen Vorschläge, Raffinerien zu bauen, die Bürokratie auszudünnen und die üppigen Löhne der politischen Klasse zu­sammenzustreichen, können beim versammelten Publikum zwar Begeisterung auslösen, ob die­se Maßnahmen allein ausreichen würden, die Erkundung und Erschließung neuer Ölfelder zu finanzieren, ist jedoch fraglich. So kooperieren der staatliche venezolanische Ölkonzern ­PDVSA und der staatliche brasilianische Konzern Petro­bras längst mit nationalen und internationalen Finanziers, auch um Risiken bei den Bohrungen zu teilen und die Staatsausgaben nicht zu belasten. Um beispielsweise das im letzten Jahr vor der brasilianischen Küste entdeckte Erdölfeld »Tupi« ab 2011 auszubeuten, müssen knapp 100 Milliarden US-Dollar Investitionen aufgetrieben werden.
Auch in Mexiko fördert inzwischen der spanische Energiekonzern Repsol Gas, und seit einiger Zeit bohren BP und Halliburton probeweise nach Öl. Über die Gründe für diese Zusammenarbeit wird, außer dass über »Vaterlandsverrat« räsoniert wird, nicht lange geredet. »Hier in Mexiko darf es keine Beteiligung privater Investoren und erst recht keine Beteiligung von Ausländern an der Öl­förderung geben«, schimpft Obrador. Sein Feindbild ist deshalb gleich in doppelter Hinsicht der in Madrid geborene mexikanische Innenminister und Sohn eines Unternehmers, Juan Camilo Mouriño. Auch wenn es notwendig ist, über die Verquickung Mouriños als früheren Abgeordneten und gleichzeitig Generalbevollmächtigten des Öltransportunternehmens Ivancar zu diskutieren, so ist man von einer sachlichen Diskussion weit entfernt. Selbst ein Kolumnist der linken Tageszeitung La Jornada fragte unlängst: »Welche Auswirkungen wird es auf das Denken der Menschen haben, wenn die Politiker allgemein von ›Ausländern‹ sprechen, weil sie Angst haben, jene Punkte beim Namen zu nennen, die die allgemeine Misere betreffen?«

Aber anstatt eine offene Debatte um die Zukunft der Ölförderung zu beginnen, forderte Obrador zum Abschluss der Kundgebung seine Partei­kolle­gen zu einem »legislativen Streik« auf. Sollte die »unechte Regierung« Gesetzesnovellen zur Ölförderung einbringen, dann müsse dies mit Menschenketten vor Parlament, Senat, interna­tio­na­len Flughäfen und an Hauptverkehrsstraßen beantwortet werden. »Und diesmal werden Frauen die Bewegung anführen. Ich weiß, dass ich da ein großes Opfer von euch verlange, aber seid ihr dennoch bereit, diesen Weg mit mir zu gehen?«, ruft Obrador. »Jaaaa«, antworten die Menschen. Und dann wird es feierlich: »Es lebe das Öl! Es lebe General Cárdenas! Es lebe Mexiko!«