Rammstein-Pop von Rummelsnuff

Der Käpt’n an der Spree

Rummelsnuff sieht aus wie Popeye nach zu viel Spinat, er macht Rammstein-Pop und sendet widersprüchliche Morsezeichen. Was ist das denn für einer?

Rummelsnuff ist ein glatzköpfiger Popeye mit Stiernacken und Ste­roid-Muskeln, er schreibt monotone EBM-Songs über Triebe, Treue, Tatendrang und sendet wider­sprüch­liche Zeichen. Man fragt sich: Rammstein und Laibach zu zitieren und so zu gucken wie Hans Albers, ist das nicht ziemlich verdächtig? Und: Was ist das eigentlich für ein Typ hinter der Figur Rummelsnuff? Zum Glück ist der Mann recht zeigefreudig. Einen Tag lang sind wir mit ihm durch Berlin gezogen, in seinem weißen Mercedes.
Rummelsnuff heißt mit bürgerlichem Namen Roger Baptist, ist 41 Jahre alt und stammt ursprünglich aus Dresden. Wir treffen ihn auf dem brachliegenden Gelände des ehemaligen Rundfunks der DDR in Berlin-Köpenick. Dort hat er vor kurzem für wenig Geld drei Zimmer angemietet, in denen er wohnt, Gewichte stemmt und an seinen Songs feilt. Im Treppenhaus steht der Geruch von altem Linoleum und Schimmel. Nicht anders riecht es in Rummel­snuffs Privat­räumen. Zwischen provisorischen Wäscheleinen, auf denen vergraute Muskelshirts zum Trocknen hängen, stapelt sich das schmutzige Geschirr, der Boden ist übersät mit Ost-Devotiona­lien, Schokoriegeln und Papierkram.
Die Einrichtung besteht aus nicht viel mehr als einem Hirschgeweih, einem Metall-Spind und einer Hantelbank. Ja, so ungefähr stellt man sich die Wohnung eines Seemanns vor, der nur ein paar Wochen im Jahr daheim ist. Der See­mann, das ist Rummelsnuffs Paraderolle. Das Cover seines gerade erschienenen Albums »Halt durch!« zeigt ihn schwitzend mit Kapitänsmütze und monströsen Bi- und Trizeps am Bug eines Kahns. Seine Musik wird von einer ganzen Reihe selbst gedrehter Videoclips begleitet, in denen Rummelsnuff mit physischer Stärke assoziierte Männerrollen durchdekliniert. Eine davon ist der Seemann, der mit einer Flasche Sliwowitz im Anschlag den Naturgewalten und dem Menschen trotzt. Auf die Frage, was hinter seiner Vorliebe für Seefahrerromantik steckt, antwortet er mit leichtem sächsischen Akzent, dass ihm irgendwann einfach die Idee gekommen sei, als Käpt’n aufzutreten. Er sei eben ein großer Fan von Hans Albers. Punkt.
Überhaupt ist Rummelsnuff zwar ein überaus freundlicher, aber nicht sonderlich eloquen­ter Zeitgenosse. Wenn man ihn fragt, wie viel von ihm selbst in der Rolle des Rummel­snuff stecke, sagt er nur, das müsse jeder selbst herausfinden. Aber ist es nicht gefährlich, in strengem Deutsch archaische Männertugenden zu glorifizieren? Er habe nun mal ein Faible für den Klang der deutschen Sprache, sagt er. Dass er mit seinem Programm den einen oder anderen vor den Kopf stoße, sei ihm immer noch lieber als zu langweilen. Ende der Diskussion.
Irgendwann machen wir uns auf zu Rummel­snuffs liebster Badestelle. Es ist Anfang März, die Temperatur liegt bei gefühlten null Grad und dieser Koloss geht baden! Je länger wir mit ihm unterwegs sind, desto mehr verfestigt sich der Eindruck, dass es zwischen dem Charakter des »Rummelkäpt’n« und der Person Roger Baptist nur sehr wenige Unterschiede gibt.
Käpt’n Rummelsnuff sendet wider­sprüchliche Zeichen. Der sich anfangs aufdrängende Verdacht, hier wolle einer mit faschistisch angehauchtem Vokabular und der dazugehörigen Ästhetik unter perspektivlosen Kleinstadt­jugendlichen auf Rattenfang gehen, erhärtet sich nicht. Sicher wird es ein paar stiernackige Provinznazis geben, denen der ein­dimensionale dumpfe Sound und das grobschlächtige Erscheinungsbild Rummelsnuffs gut in den Kram passen. Doch seinem ins Maßlose gesteigerten Körperkult begegnet man eben nicht nur in zwielichtigen Marzahner Muckibuden, sondern auch in schwulen Subkultur-Etablissements, die in Berlin so eindeutige Namen wie »Treibhaus«, »Stahlrohr« oder »Ficken 3 000« tragen. Spätestens seitdem der Mode-Designer Jean-Paul Gaultier Ende der neunziger Jahre sein Parfüm »Le Mal« mit einer Werbekampagne lancierte, die ein paar junge Matrosen mit muskulösen, volltätowierten Oberkörpern zeigte, ist der Seemann als schillernde Projektionsfläche schwuler Männerphantasien endgültig in der Popkultur etabliert. Dass Rummelsnuff seinen Lebensunterhalt als Türsteher im berüchtigten Gay-Hardcore-Hot-Spot »Lab.oratory« verdient, dürfte den Versuch, ihn in eine faschistoide Ecke zu stellen, nur noch waghalsiger erscheinen lassen.
Vor diesem Hintergrund erhält auch die Musik von Rummelsnuff eine ganz neue Semantik. Ein Song wie »Ringer« – »Du ein Mann, ich ein Mann, beiden juckt das Fell/Zum Ringen auf die Matte jetzt, zum Kampfe aber schnell/Leib um Leib, der Puls schnellt hoch, der Atem schwer und tief/Kein Schmerz uns schreckt, kein Griff uns schmerzt« – lässt sich plötzlich vom vermeintlich rechten Stammtisch-Schlager zur halb­subtilen Darkroom-Hymne umdeuten.
Auch sonst bleibt Rummelsnuff ein Fall für Rätselfreunde. Erst lässt er, auch uns gegen­über, mit Kapitänsmütze und Unterhemd den toughen Käpt’n raushängen, dann stilisiert er sich mit einer albernen Latex­kappe auf dem Kopf und übertrieben aufgeblasenen Muckis zur clownesken Trashfigur.
Die Bandbreite unterschiedlichster ästhetischer und semanti­scher Konnotationen ist es, die Rummelsnuff zum interessantesten Pop-Phänomen seit langem machen. Er lässt sich weder auf den Teutonen noch auf den Clown, weder auf hetero noch auf homo festnageln und macht sich damit zum Fürsprecher einer selten gesehenen Freizügigkeit.

Rummelsnuff – Halt durch! (Zick Zack)