Die Entscheidung zur Stammzellenforschung

Das Beste für den Embryo

Der Bundestag hat den Stichtag für embryonale Stammzellen von 2002 auf 2007 verlegt. Konkrete Fragen wurden nicht ­beantwortet: Sind Frauen »Lieferantinnen« von Eizellen? Und an wem sollen die Ergebnisse der Forschung getestet werden?

Wer beteuert, er wolle nur das Beste, dem sollte man nicht glauben. Im aufdringlichen Bekenntnis schwingt auch immer die Drohung mit, sich doch noch von der anderen Seite zu zeigen. Ein derartiges Bekennertum ließ sich in der vergangenen Woche im Bundestag beobachten. Die Abgeordneten beschlossen die Verschiebung des Stichtags zur Forschung an embryonalen Stamm­zellen vom 1. Januar 2002 auf den 1. Mai 2007. Die Stammzellen, an denen zukünftig in Deutsch­land geforscht werden darf, müssen vor diesem Tag aus Embryonen im Ausland gewonnen worden sein.
Die Debatte glich dem Wettbewerb: Wer vertritt wirklich die »Menschenwürde«? Den Anspruch erhoben die »Lebensschützer«, die wegen der »Tötung von Embryonen« das Verbot der embryo­nalen Stammzellenforschung gefordert hatten, aber auch die Vertreter der »Ethik des Heilens«, die sich für die völlige Freigabe der Forschung wegen der möglicherweise aus ihr resultierenden Therapien aussprachen. Gewonnen hat der »faire Ausgleich zwischen dem Recht auf Leben und der Forschungsfreiheit«, wie Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) feststellte. Auch die Anhänger dieses Antrags bekannten sich zur »Men­schenwürde«.
Da blieb keine Zeit, auf die interessanten Fragen einzugehen. Warum dürfen nur Stammzellen verwendet werden, die im Ausland aus Embryos gewonnen wurden? Der deutsche Embryo bleibt unantastbar. Die Erklärung ist man bereits 2002 schuldig geblieben.
Schweigen herrscht auch darüber, woher die für die Entstehung der Embryos nötigen Eizellen kommen sollen. Mit der Verschiebung des Stichtags steigt der Bedarf an »Spenderinnen«. Frauen, die das Geld aus der »Spende« benötigen, erfüllen ihren Zweck als »Lieferantinnen« von Ei­zellen. Hier nehmen sich Lebensschützer, die schwangeren Frauen das Selbstbestimmungsrecht absprechen wollen, und diejenigen, die die embryo­nale Stammzellenforschung um jeden Preis befürworten, wenig: Der Körper der Frau soll zur Verfügung stehen.
Und was geschieht, wenn es im Zuge der Forschung irgendwann eine Therapie gegen Alzheimer geben sollte? Wird man sie an den nicht mehr zur Einwilligung fähigen Patienten testen? Die Einwände, die Behindertenverbände gegen die embryonale Stammzellenforschung vorbringen, sind durchaus berechtigt. Die Genmedizin befördert ein Bild vom Menschen, in dem die Krank­heit nicht mehr eine Frage der Geschichte, des sozialen Umfelds und der psychischen Verfassung des Patienten ist. Alles erklärt sich aus der genetischen Disposition. Wenn der Mensch die Krankheit richtig tief in sich herumträgt, läuft er Gefahr, selbst zum Problem erklärt zu werden. Deutsche Mediziner haben im Nationalso­zia­lismus demonstriert, wie eng das Heilen und das Morden beieinander liegen können.
Selbstverständlich wäre es wünschenswert, dass die Medizin Gebrechen mildert oder überwindbar macht und der Natur ihren Einfluss weiter abtrotzt. Doch wenn statt Antworten auf konkrete Fragen nur das Gebrabbel von der »Menschenwürde« erfolgt, ist Misstrauen angebracht.