Boom der Bürgerbegehren

Die Mutter allen Begehrens

»Direkte Demokratie« klingt nicht schlecht, bewirkt aber auch allerhand Unsinn. Bestes Beispiel dafür ist das bevorstehende Volksbegehren über die Zukunft des Flughafens Tempelhof.

Sonntags gemütlich Kaffee trinken und keine Ter­mine haben – das war gestern. Immer häufiger sind die Berlinerinnen und Berliner aufgerufen, ihre Bürgerpflicht zu erfüllen und über dies oder das abzustimmen. Das haben Gesetzesänderungen in den Jahren 2005 und 2006 bewirkt.
Wenn viele Menschen nach ihrer Meinung gefragt werden und nicht nur Parteien Wahlkampf betreiben, bedeutet das nicht zwingend, dass schlauere Argumente zu hören sind. Fluglärm? Abgase? Egal! Mit albernen Slogans wie »Ich bin ein Berliner« wirbt ein Bündnis aus Betreibern von Privatfluglinien, Luftbrücken-Nostalgikern und der CDU für den Erhalt des Flugbetriebs in Tempelhof, der »Mutter aller Flughäfen«.

Gepflastert mit schlechten Plakaten sieht die Stadt derzeit aus wie vor Kommunalwahlen, bloß ist das Ergebnis des Volksbegehrens am 27. April nicht einmal rechtlich bindend für den Senat. Der entschied bereits Mitte der neunziger Jahre, noch unter dem Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen (CDU), den nahe am Stadtzentrum gelegenen Flughafen im Herbst 2008 zu schließen und das Gelände zu einer Art »Central Park« umzu­gestalten. Mit knapp 400 Hektar wäre dieser fast doppelt so weitläufig wie der Große Tiergarten.
Doch über 200 000 Unterschriften haben die Initiatoren um die Interessengemeinschaft City-Airport Tempelhof seit Ende vorigen Jahres vor allem in den westlichen Stadtteilen gesammelt und somit den ersten Berliner Volksentscheid auf Landesebene zustande gebracht. Mit etwas Abstand betrachtet, handelt es sich um das letzte Aufbäumen des alten Westberliner Milieus, das mit dem kläglichen Abgang des Senats unter Diep­gen und Landowsky schon vor Jahren die politische Macht in der Stadt verloren hat. Jetzt will man es noch einmal wissen.
Das möchte auch das Berliner »Bündnis gegen Privatisierung«, das in den vergangenen Monaten gleich drei Volksbegehren auf der Landesebene ini­tiierte. Eines gegen die Privatisierung der Ber­liner Sparkasse erübrigte sich nach dem Verkauf der Landesbank Berlin an den Dachverband der Sparkassen, das gegen Studiengebühren läuft noch. Ein weiteres für die Offenlegung der Geheimverträge des Senats mit RWE und Veolia über den Teilverkauf der Berliner Wasserwerke schaffte die erste Hürde – und wurde dann vom Senat als verfassungsrechtlich unzulässig abgelehnt. Mit Müh’ und Not hatten die Ini­tiatoren die benötigten Unterschriften gesammelt.
In Anbetracht dessen, dass die Teilprivatisierung der Wasserbetriebe eine Durchschnittsfami­lie rund 240 Euro mehr pro Jahr kostet, während sie kaum jemals mit dem Privatjet in Tempelhof startet oder landet, kann man erahnen, dass der Erfolg eines Bürgerbegehrens keineswegs allein davon abhängt, ob das Anliegen die Bürgerinnen und Bürger wirklich betrifft.

Doch weniger Geld lässt sich mit mehr Elan ausgleichen. Der »Initiativkreis Mediaspree versenken« lieferte vor der Frist von sechs Monaten Anfang März rund 16 500 statt der benötigten knapp 5 000 Unterschriften für ein »Spree­ufer für alle!« beim Bezirksamt Friedrichshain-Kreuzberg ab. Das Bürgerbegehren richtet sich gegen die weitere Bebauung des Spreeufers. Während Carsten Joost von den Initiatoren eine »historische Chance zur Umkehr«, d.h. zur Änderung der aktuellen Stadtplanung sieht, fürchtet Bezirksbürgermeister Franz Schulz (Grüne) vor allem die Schadenersatz­forderungen der Investoren in Höhe von rund 150 Millionen Euro, falls dem Begehren stattgegeben wird. Joost zufolge »laufen zur Zeit Gespräche mit den politischen Parteien im Bezirk mit dem Versuch einer Annäherung«, um die Abstimmung noch zu vermeiden.
Allmählich begreifen sämtliche Parteien des Be­zirks, dass sie mit ihren Vorstellungen eines pros­perierenden Medienviertels völlig an den Bedürfnissen der Bevölkerung vorbeigeplant haben. »Me­diaspree versenken« heißt dann in der Sprache der Bürokratie: »50 Meter Mindestabstand zum Spreeufer für sämtliche Neubauten, Einhaltung der Berliner Traufhöhe von 22 Metern und keine neue Autobrücke über die Spree«. Auf die Frage, warum nicht radikalere Forderungen gestellt wur­den, etwa nach einem Badestrand an der Spree, entgegnet Joost: »Dann wären wir doch für verrückt erklärt worden.« Mit dem Verweis auf die 16 500 Unterschriften verteidigt er den »sachlichen Kurs« seiner Initiative.
Erfolgreich war im Bezirk Friedrichshain-Kreuz­berg auch eine Initiative gegen die Privatisierung des städtischen Kunst- und Kulturzen­trums Be­tha­nien im Jahr 2006. Als rund 14 000 Unterschriften gesammelt waren, einigte man sich noch vor einem Bürgerentscheid mit den Parteien des Bezirks. Das Bethanien bleibt in öffentlicher Hand und in den kommenden Wochen bekommen die Besetzerinnen und Besetzer des Südflügels, genannt »New Yorck«, nach einem Beschluss der Be­zirksverordnetenversammlung Verträge.
Keine Einigung gab es im Bezirk beim Versuch der örtlichen CDU, die Umbenennung eines Teils der Kochstraße in Rudi-Dutschke-Straße zu verhin­dern. Es kam zur Abstimmung, genügend Bürgerinnen und Bürger nahmen daran teil und lehnten zu knapp 60 Prozent das Vorhaben der CDU ab.

Immer häufiger stoßen die Berlinerinnen und Berliner Bürgerbegehren an, sei es gegen die dro­hende Parkraumbewirtschaftung in Charlottenburg und Mitte, gegen die Zusammenlegung von Schulen in Lichtenberg oder gegen »Wasserski auf dem Elsensee« im Bezirk Marzahn-Hellersdorf. Über 20 Bürgerbegehren hat der Verein »Mehr Demokratie« in Berlin auf Bezirksebene bereits gezählt. Auf der Landesebene sind es bisher zwölf Volksbegehren, darunter eine Initiative für die »Wahlfreiheit für Wirte« beim Thema Rauchen. Knapp 40 000 Berlinerinnen und Berliner unterschrieben für die »Gleichstellung des Religionsunterrichts mit dem Ethikunterricht an Berliner Schulen«. In der gesamten Republik wurden knapp 5 000 Bürger- oder Volksbegehren gezählt.
Am 3. April 2008 begann ein Bündnis von über 40 Organisationen und Initiativen, darunter der Bund der Steuerzahler, der Berliner Mieterverein, der Türkische Bund, die Humanistische Union und der Verein »Mehr Demokratie«, eine Unterschriftensammlung, um das Wahlgesetz des Landes zu ändern. Das Bündnis fordert unter anderem »die Absenkung der Sperrklauseln, eine Wahl­altersenkung auf 16 Jahre und die Einführung eines Ausländerwahlrechts«. Damit nähert man sich den wirklichen Machtfragen an, zumindest auf der Ebene der politischen Repräsentanz.
Dass Volksbegehren per se keine soziale Revolution auslösen, weiß zumindest die Schweizer Linke seit Jahrzehnten, weil dort solche Abstimmungen selbst auf Bundesebene möglich sind. Immerhin misslang einmal nur knapp die Abschaffung des Schweizer Bundesheers. Allerdings konnten im vorigen Jahr rechte Initiativen auf diesem Wege auch eine Verschärfung des Ausländer- und Asylgesetzes durchsetzen.
Völlig offen ist, wie die Berliner Abstimmung zum Flughafen Tempelhof ausgehen wird. Der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) deutete bereits an, dass er sich von einem mög­lichen Erfolg der Anhänger der »Mutter aller Flug­häfen« nicht beeindrucken lassen wird. Aber viel­leicht gehen auch viele Ostberlinerinnen und Ost­berliner zur Wahl und nehmen mit ihrem »Nein« Rache für den Abriss des Palastes der Republik, und die Sache hätte sich erledigt.