Volker Ratzmann im Gespräch über Schwarz-Grün in Hamburg

»Aus Spannungsverhältnissen entwickelt sich die Gesellschaft«

Hamburg steht vor einer schwarz-grünen Regierung, die Stimmen mehren sich, diese Option auch auf Bundesebene in Erwägung zu ziehen. Zweidrittel der Wählerinnen und Wähler von CDU und Grünen würden dies einer Umfrage zufolge begrüßen. Volker Ratzmann ist Fraktionsvorsitzender der Grünen im Berliner Abgeordnetenhaus. Er ist als Nachfolger des im November aus dem Amt scheidenden Bundesparteivorsitzenden Reinhard Bütikofer im Gespräch. Der 48jährige Ratzmann ist seit 2001 Fraktionsvorsitzender in Berlin mit dem Schwerpunkt Rechts- und Innenpolitik. Er ist Rechtsanwalt und betreute viele Mandanten aus der linken und linksradikalen Szene, er ist der Verteidiger des Berliner Stadtsoziologen Andrej Holm, dem die Bundesanwaltschaft Mitgliedschaft in der »Militanten Gruppe« vorgeworfen hat. Zuletzt reichte Ratzmann eine Verfassungsklage ein gegen die Vorschrift, dass nachziehende Ehepartner vor der Einreise nach Deutschland einen Sprachtest nachweisen müssen. Jungle World sprach mit Ratzmann auf dem Landesparteitag der Grünen am Wochenende in Berlin, wo Schwarz-Grün auch ein Thema war.
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Schwarz-Grün scheint eine neue Option für die Grünen zu sein. Liegt das daran, dass die Grünen auf Dauer nicht mehr damit rechnen, mit der schwächelnden SPD Mehrheiten zu gewinnen, oder gibt es inhaltliche Punkte, in denen die CDU einfach besser zu den Grünen passt?

Es gibt vor allem ein klares inhaltliches grünes Profil. Und uns geht es darum, das umzusetzen. Deswegen loten wir die Möglichkeiten aus, mit welcher Regierungsbeteiligung es am besten möglich ist, grünes Regierungshandeln zu gestalten. Das ist unsere Maxime. Also ein neues pragmatisches Herangehen.

Der Koalitionsvertrag zwischen CDU und Grünen in Hamburg ist nicht unbedingt ein Spiegelbild des grünen Parteiprogramms. Man könnte auch sagen, in allen wesentlichen Punkten konnten sich die Grünen nicht durchsetzen. Wäre in einer anderen Konstellation vielleicht mehr zu erreichen gewesen?

Dass eine Koalitionsvereinbarung nicht eins zu eins das grüne Wahlprogramm sein kann, ist klar. Wenn wir demnächst mehr als 50 Prozent der Wählerstimmen auf uns vereinen, dann werden wir es eins zu eins umsetzen, versprochen. Bis dahin müssen wir versuchen, in Koalitionen die Spielräume auszuhandeln, um möglichst viel grüne Politik umzusetzen. Für mich trägt der Hamburger Koalitionsvertrag eine deutliche grüne Handschrift mit klaren Klimaschutzzielen, mit einem Aufbruch in der Bildungspolitik, mit einem klaren Bekenntnis zu Bürgerrechten in Justiz und Politik. Das, was wir da erreicht haben, wäre in anderen Konstellationen kaum machbar gewesen.

Wo liegt der Vorteil von Bündnissen mit der CDU gegenüber einer rot-rot-grünen Koali­tion?

Man muss immer sehen, ob der potenzielle Partner ein klares inhaltliches und personelles Konzept hat, das verlässlich ist, mit dem man ausloten kann, wie gemeinsame Projekte umgesetzt werden können. Es geht auch darum, das Spannungsverhältnis, das sich zwischen unterschiedlichen politischen Milieus aufbaut, in etwas Neuem, Modernem wirken zu lassen. Das ist in Hamburg gut gelungen.

Oder haben sich die Milieus von CDU und Grünen einfach mehr und mehr angenähert?

Es geht nicht um Annäherung, sondern darum, das eigene Milieu, die eigene Kraft zu koppeln mit einem Gegenüber, das ebenfalls bereit ist, sich auf solch ein Spannungsverhältnis einzulassen und dieses auch bewusst zu erzeugen. Was nach vorn treibt, daraus entwickelt sich die moderne Gesellschaft: das Verbinden von Ökologie und Wirtschaft, von Sozialem und Markt, von Bürgerrechten und Sicherheitsbedürfnissen. Das ist die Betrachtungsweise, die man Koalitionen zu Grunde legen sollte.
Wäre das Spannungsverhältnis in einer rechnerisch fast immer mehrheitsfähigen CDU-FDP-Grünen-Koalition größer als beispielsweise in einer rot-grünen Koalition?

Das glaube ich nicht einmal. Wenn Sie sich anschauen, mit welchen Positionen die Linkspartei oder die SPD ihre Politik gestalten, dann werden Sie da auch jede Menge Spannung finden gegenüber dem, was wir Grünen wollen. Ich denke, wir müssen dazu übergehen, mit allen demokratischen Parteien auszuloten, ob es die Bereitschaft und das Personal gibt, zu einer Verständigung zu kommen.

Halten Sie es für denkbar, dass die Grünen eines Tages gemeinsam mit der CDU in Berlin die rot-rote Koalition ablösen?

Im Moment träumen wir nicht unbedingt davon, wenn man sich zum Beispiel anschaut, wie die CDU mit der Kampagne um den Flughafen Tempelhof umgeht. Das allein offenbart die sehr weit reichenden Differenzen. Der Graben zur CDU ist für uns auf der Bundesebene im Bereich der Innen- und Sicherheitspolitik besonders groß, in Berlin vor allem bei der Verkehrspolitik. Im Moment habe ich da hinsichtlich Berlins große Zweifel.

Ist es noch wichtig für die Grünen, eine linke Partei zu sein, oder halten Sie dieses Rechts-links-Schema für überholt?

Die Grünen sind eine linke Partei. Und eine selbstbewusste linke Partei ist in der Lage, mit einer bürgerlichen Partei darüber zu verhandeln, wie man vier Jahre exekutives Handeln gestaltet. Dieses Selbstbewusstsein haben wir. Wir sind weiterhin eine ökologische, emanzipative, der Freiheit, der Chancen- und Teilhabegerechtigkeit verpflichtete Partei. Unter dieser Prämisse können wir in jede Auseinandersetzung gehen.

Welche Aufgaben hat ein Parteivorsitzender der Grünen zu erledigen? Muss er den Pragmatismus stärken oder die grüne Identität, um nicht irgendwann als beliebig zu gelten?

Ein grüner Parteivorsitzender braucht nie Angst haben, sich dem Vorwurf der Beliebigkeit auszusetzen, weil diese Partei nicht beliebig ist. Ihr Profil ist klar, und das gilt es umzusetzen und weiterzuentwickeln, und zwar mit allen in der Partei, die diesen Anspruch teilen. Das wird jeder Parteivorsitzende, der künftig bei den Grünen antritt, genauso machen.

Eine Neudefinition der Grünen steht also nicht an. Die Grünen sind Ihrer Meinung nach auf dem richtigen Weg?

Die letzten Umfragen haben gezeigt, dass 84 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung die wirklich wichtigen, dringenden Themen und Fragestellungen bei den Grünen verortet. Das ist unser großes Plus. Wir sind die Partei, die die Bruchstellen der Moderne aufnimmt und sie weiterentwickelt, und es ist, davon bin ich überzeugt, unsere Aufgabe, das auch zu tun.