Wer kontrolliert die Wirtschaft im Irak?

Nicht ohne meine Ölquelle

Fünf Jahre nach dem Beginn des Irak-Kriegs ist eines der Kriegsziele immer noch nicht erreicht: die Kontrolle über die irakischen Ölreserven.

Der Ökonom Joseph Stiglitz und die ehemalige Beraterin von Präsident Bill Clinton, Linda Bilmes, sind zu einem verheerenden Ergebnis gekommen: Drei Billionen Dollar habe der Irak-Krieg die USA bisher gekostet, etwa fünfmal mehr, als das Congressional Budget Office offiziell angibt.
Allein die direkten Kosten des Irak-Kriegs übersteigen bereits diejenigen des Vietnam- und des Korea-Kriegs zusammengenommen. Zu den direkten Kosten eines Kriegs, die sich im Budget als Militärausgaben niederschlagen, kommen die gesamtwirtschaftlichen Kosten hinzu, die Stiglitz und Bilmes noch einmal auf wenigstens drei Billionen Dollar schätzen. Die Gesamtsumme von rund sechs Billionen US-Dollar entspricht et­wa den gesamten Gold- und Devisenreserven der Welt. Pro Monat müssen die USA mehr als 16 Milliarden Dollar an laufenden Kosten für die Kriege in Irak und Afghanistan aufbringen, zusätzlich zum Verteidigungshaushalt (439 Milliarden Dollar im Jahr 2007).
Da neben innenpolitischen Gründen und geostrategischen Überlegungen auch der Versuch, die Ölförderung im Irak unter Kontrolle zu bekommen, ein Motiv für diesen Krieg war, stellt sich die Frage, ob dieses Kriegsziel erreicht wurde oder ob die Rechnung für die US-Regierung noch aufgehen kann. Der Ölpreis ist heutzutage höher denn je, und obwohl US-amerikanische Ölkonzerne in den vergangenen fünf Jahren exklusive Rechte bei der Förderung und Aufbereitung der irakischen Ölreserven wahrnehmen konnten, erscheint der Preis, den die Regierung der USA dafür zahlen muss, zu hoch, um noch einer ökonomischen Logik zu entsprechen. Allein der niedrige Dollarkurs mildert die ökonomischen Folgen zurzeit noch ab.

Die Bedingungen für die Ölförderung im Irak sind keineswegs so, wie sie die US-Regierung angestrebt hat. Zwar erhielten Konzerne wie Halliburton bereits wenige Monate nach dem von Bush proklamierten Kriegsende milliardenschwere Verträge über den Wiederaufbau der irakischen Förderanlagen, inklusive der Immunität ihrer Mitarbeiter vor Strafverfolgung. Auch Förderkonzerne wie Exxon, Shell und BP haben sich seitdem mit der Unterstützung der britischen und US-amerikanischen Regierung langfristige Verträge gesichert. Französische und russische Firmen wurden dagegen nicht berücksichtigt. Aber immer noch fehlt die entscheidende Grundlage, die die reibungslose Versorgung der USA mit Öl aus der selbst kontrollierten Förderung sicherstellen soll: ein neues irakisches Ölgesetz. Seit Jahren wird darüber beraten, es wurde im Mai 2007 erstmals dem irakischen Parlament vorgelegt, aber zur großen Verärgerung der Bush-Regierung immer noch nicht verabschiedet.
Während in den vergangenen 30 Jahren die Ausbeutung der Ölreserven in fast allen anderen Ländern des Nahen und Mittleren Ostens in staatliche Hände gelegt wurde, würde das irakische Gesetz zwei Drittel der Ölfelder des Landes für die Erschließung durch private Ölkonzerne öffnen. Für die wesentlichen Entscheidungen rund ums Ölgeschäft wäre danach eine neue Institution zu schaffen, der »Iraqi Federal Oil and Gas Council«, in dessen Beschlussgremium auch die fördernden Konzerne sitzen würden. Kern des Gesetzes ist die faktische Beendigung der staatlichen Kontrolle über den Großteil der irakischen Öl- und Gasvorkommen.

Nur die 17 derzeit produzierenden Felder sollen unter irakischer Kontrolle bleiben. Auf die übrigen 63 bekannten Ölfelder sollen transnationale Konzerne für mindestens 30 Jahre Zugriff erhalten. Darüber hinaus räumt das Gesetz den Ölkonzernen auch noch den Zugriff auf sämtliche Ölfelder ein, die künftig im Irak entdeckt werden. Zwar gehen die Schätzungen über die noch unbekannten Reserven weit auseinander, mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kommen aber mindestens weitere 100 Milliarden Barrel hinzu.
Die Gesamtprofite, die auf der Grundlage des Gesetzes von den großen Vier – Exxon-Mobile, Chevron, BP-Amoco und Royal Dutch-Shell – erwirtschaftet werden könnten, würden sich einer Studie vom vergangenen Herbst zufolge auf elf Billionen Dollar belaufen; angesichts des seitdem deutlich gestiegenen Ölpreises müsste die Zahl noch einmal kräftig nach oben korrigiert werden.
Das Gesetz, obwohl seit langem in Planung und in seinen Grundzügen bereits im Jahr 2002 erarbeitet, könnte noch eine ganze Weile bis zu seiner Verabschiedung brauchen. Obwohl die US-Regierung im Mai 2007 androhte, bis dahin alle Wiederaufbauhilfen einzufrieren, findet es bis heute keine Mehrheit im irakischen Parlament.
Auch die Gewerkschaft der Ölarbeiter hatte überall im Land gegen das Gesetz mobil gemacht. Als sie aus Protest gegen seine Verabschiedung im vorigen Sommer zum Streik aufrief, wurde die Armee eingesetzt und die Gewerkschaft schließlich auf der Grundlage eines Gesetzes aus der Zeit Saddam Husseins verboten.
Die Proteste gehen dennoch weiter. Ein Ende ist nicht in Sicht, zumal alle wesentlichen politischen, sozialen und religiösen Institutionen des Landes das Gesetz mehrheitlich ablehnen. Sie fürchten, durchaus nicht zu Unrecht, dass damit die wesentlichste Finanzierungsquelle für den äußerst schleppend vorangehenden irakischen Wiederaufbau verloren gehen könnte.

Das aktuelle Problem für die Regierung der USA ist, dass die Gewinne aus der Ölförderung in die Kassen der steuerlich begünstigten Ölkonzerne fließen, die Kosten aber vom US-amerikanischen Staat getragen werden. Exxon-Mobile, Chevron, BP-Amoco und Royal Dutch-Shell zusammengenommen steigerten ihre Umsätze in den Jahren 2000 bis 2007 von 621,1 Milliarden auf 1,26 Billionen Dollar, ihre Profite von 48,1 auf 111,4 Milliarden.
Für die Ölkonzerne geht es im Irak um viel. Gelingt es ihnen nicht, einen möglichst großen Anteil der knapper werdenden Ölreserven der Welt unter ihre Kontrolle zu bekommen, können sie sich langfristig aus dem Geschäft verabschieden. Bereits Anfang 2004 musste Shell die Angaben über seine ausbeutbaren Reserven nach unten korrigieren, woraufhin der Aktienkurs innerhalb weniger Minuten um fünf Prozent fiel und mehrere Milliarden Dollar an Börsenwert schwanden.
Die US-Regierung fühlt sich mehr und mehr von Ölkonzernen, Automobil- und Flugzeugherstellern und Energieunternehmen unter Druck gesetzt. Die Entwicklungs- und Ausbeutungskosten – und hier schlägt insbesondere die große Summe für die Besatzung des Irak und die Kontrolle der Ölvorkommen zu Buche – könnten die angeschlagene US-Ökonomie weiter schwächen und die Immobilien- und Finanzkrise verstärken, und langfristig dürfte das Vertrauen in den US-Dollar weiter schwinden.
Das hat die Regierung erkannt, spricht auf einmal vom Klimawandel und versucht, mit der Produktion von Ethanol eine Alternative zum Öl zu schaffen. Tatsächlich dürfte die Erderwärmung dabei kaum von Bedeutung sein, zumal sie durch die neu entstehenden riesigen Monokulturen eher noch verstärkt wird. Ob diese Entwicklung allerdings ausreichen wird, um die Abhängigkeit vom Öl deutlich zu verringern, darf bezweifelt werden.

Es könnte ab dem nächsten Jahr einer neuen Regierung vorbehalten sein, das Gesamtinteresse des US-amerikanischen Staates gegenüber den verselbständigten Einzelinteressen der momentan einflussreichsten Kapitalfraktion zur Geltung zu bringen. Ein wesentlicher Punkt wäre möglicherweise der Abzug der Truppen aus dem Irak, was haushaltspolitisch unabdingbar geworden scheint, aber ohne die Verabschiedung des irakischen Ölgesetzes kaum denkbar ist. Auch der Gesichtsverlust, den die USA in Kauf nehmen müssten, wäre nur schwer zu verschmerzen. Die Grenzen der politischen, ökonomischen und militärischen Dominanz der USA sind längst offenbar geworden.