Bürgermeister im Gespräch über Hetzjagden und Nazis in ihren Städten

»Das ganz normale Niveau«

Überfälle, Hetzjagden, Brandanschläge, Rechtsrock-Konzerte – Neonazis bringen immer wieder ostdeutsche Städte in die Schlagzeilen. Die Bürgermeister von Güstrow, Zittau, Köthen, Neuruppin, Colditz und Apolda geben Auskunft über die Lage in ihren Amtsbereichen.

Güstrow

Ich würde Ihnen gern kurz einige Fragen zum Thema Rechtsextremismus in Ihrer Stadt stellen.

Arne Schuldt, Bürgermeister (parteilos): Was heißt kurz?

Zwei kurze Fragen.

Na, dann versuchen Sie es.

Haben Sie in Ihrer Stadt Probleme mit dem Rechtsextremismus?

Gibt es, ja.

Und wie treten sie auf?

Wie, wie treten sie auf?

Die Probleme müssen ja irgendwie in Erscheinung treten.

Es gab eine Demonstration. Und man weiß, dass es Treffpunkte gibt.

Aber es gibt keine gewalttätigen Angriffe?

So etwas gibt es hier nicht.

Gibt es Schmierereien?

Wenig. Nicht, kann ich nicht sagen, aber wenig.

Es gibt aber rechte Treffpunkte.

Treffpunkte auch nicht, einen vielleicht. Und einen Thor-Steinar-Laden gab es, der ist aber geschlossen worden.

Handelt es sich um einen großen Personenkreis?

Ja, also eigentlich ist Güstrow eher linksgerichtet, zumindest bei den Jugendlichen.

Zittau

Gibt es in Zittau Probleme mit Rechtsextremen?

Arnd Voigt, Oberbürgermeister (Freie Bürger): Es gibt keine Probleme in dem Sinne, dass man das überbewerten müsste. Es gibt sicherlich Fremdenfeindlichkeit. Wir haben da eine Organisation, die NJB, den »Nationalen Jugendblock«. Das sind die Jugendlichen. Aber die sind in meiner Amtszeit, so möchte ich das mal sagen, wesentlich inaktiver geworden.

Die Probleme sind also kleiner geworden?

Ja, es hat abgenommen, deutlich abgenommen in Zittau. Es kann morgen schon wieder ein Ereignis geben, wie das ja in Deutschland überall so üblich ist. Aber es gibt hier nichts, was man extra benennen sollte.

Was könnte denn geschehen?

Wir haben sehr viele ausländische Studenten hier in unserer hübschen Stadt, und da war mal vielleicht irgendetwas am Stammtisch. Also, dass sich in einer Gaststätte plötzlich mal was herausbilden kann, das will ich jetzt nicht ausschließen. Aber bisher ist nichts vorgekommen, und hier leben untereinander Tschechen, Polen, Deutsche, Slowaken, Ungarn. Wir haben hier auch Chinesen, wir können also nicht sagen, dass wir Rechtsextremismus haben.

Köthen

Gibt es in Ihrer Stadt eine Initiative gegen rechts?

Kurt-Jürgen Zander, Bürgermeister (SPD): Immer, wenn sich etwas ankündigt, versuchen wir, Gegenaktionen zu machen. Da stehe ich auch immer an der Spitze.

Wie schätzen Sie das Potenzial der Rechten ein?

Sicher nichts Überdurchschnittliches. Aber man muss trotzdem genau hingucken und beobachten und bei Bedarf die erforderlichen Gegenmaßnahmen ergreifen. Daher arbeite ich eng mit der Polizei zusammen, die sehr engagiert ist. Daher: Wehret den Anfängen!

Neuruppin

Haben Sie in Ihrer Stadt Probleme mit Rechtsextremen?

Jens-Peter Golde, Bürgermeister (Pro-Ruppin): Wir haben vereinzelt auch Probleme mit Rechten, aber wir haben ja diese gute Jugendarbeit und ein paar Streetworker eingesetzt, die dafür sorgen, dass da auch ein bisschen Transparenz reinkommt und Dialoge mit Jugendlichen, die aber nicht rechtsorientiert sind, sondern einfach so für Unruhe sorgen Aber eine richtige rechte Szene gibt es hier in Neuruppin nicht.

Es gab also »Unruhe«, die aber mit dem Rechtsextremismus nichts zu tun hat?

Das sind einfach junge Leute, die in den Sommermonaten nicht so richtig wissen, wohin mit ihrer Zeit und ihrer Kraft, und die sich auf den touristisch hochwertigen Plätzen aufhalten und auch mal über die Zeit hinaus und über den Durst hinaus sitzen und ein bisschen Unruhe machen. Dann sorgen wir mit unseren Ordnungskräften und mit den Streetworkern dafür, dass sich das in Grenzen hält. Ist aber nicht rechtsmotiviert, sondern das sind junge Leute, die Freizeitprobleme haben.

Colditz

Gibt es Probleme mit Rechtsextremen in Colditz?

Manfred Heinz, Bürgermeister (FDP): Ja.

Wie zeigen sie sich?

Von wo aus rufen Sie an?

Ich rufe aus Berlin an, im Auftrag der Wochenzeitung Jungle World.

Gut, dann geben Sie mal bei Jungle World Colditz ein!

Das habe ich bereits getan. Mir geht es jetzt um die … .

… alle Fragen fast beantwortet, ne!

Mir geht es um die derzeitige Situation.

Ja, also, spannend heute. Na ja, bis auf das, was normal ist. Wie soll ich Ihnen das formulieren?

Normal ist das doch eher nicht.

Ne! Normal ist das nicht, da gebe ich Ihnen 100 Prozent Recht.
Die rechte Szene agiert nach wie vor, allerdings jetzt in diesen Tagen nicht mehr so offen wie in den letzten Wochen.

Gibt es denn Gegenmaßnahmen?

Wir haben ein Bündnis für Colditz gegründet, wir sitzen regelmäßig zusammen. Unter anderem wird am 14. April ein Friedensgebet stattfinden bei uns in der Stadtkirche, wo die Bevölkerung zur Teilnahme aufgerufen wird.

Sind die Rechtsextremen in Ihrer Stadt eher Jugendliche oder ältere und organisierte NPD-Mitglieder?

Ich würde behaupten, das sind junge Rechte. Also nicht organisiert im Rahmen der Parteien, sondern in rechtsextremen Strukturen.
Denken Sie nicht, dass der Rechtsextremismus strukturell in der Bevölkerung vorhanden ist und nicht nur von Jugendlichen ausgeht?
Nein, nein, das ist nicht der Fall. Das hatte ich gestern erst zur Hand: Also wir haben keinen übergroßen Anteil an NPD-Wählern in unserer Stadt. Das ganz normale sächsische Niveau. Das ist viel zu viel, da gebe ich Ihnen 100 Prozent Recht. Aber eine feste Struktur innerhalb der Bevölkerung, eine rechtsextreme, die ist nicht vor­handen.

Apolda

Guten Tag, hätten Sie kurz fünf Minuten Zeit für mich?

Rüdiger Eisenbrand, Bürgermeister (FWW): Zwei.

Gibt es Probleme mit Rechtsextremen in Ihrer Stadt?

Ja.

Und wie äußern sie sich?

Wenn Veranstaltungen in der Stadt stattfinden. Wir hatten jetzt einen Aufmarsch in Weimar, das ist die nächste größere Stadt in der Nachbarschaft.

Gibt es auch Rechtsextreme in Apolda selbst?

Ja, gibt es.

Sind sie organisiert?

Es scheint so. Erkenntnisse liegen mir nicht vor, aber es scheint so.

Sind die Neonazis denn umtriebig?

Es gab da eine Flugblattaktion, es wurden Flugblätter an Verkehrsschilder geklebt oder an öffentliche Einrichtungen.

Gab es denn auch Angriffe?

Es gab auch schon Übergriffe, ja. Zum Beispiel beim Faschingsumzug.

Was ist da geschehen?

Da sind die Rechten praktisch auf die Teilnehmer des Umzugs losgegangen, und es kam zur Prügelei. 2006 war das.
Ein Faschingsumzug ist ja kein sonderlich politisches Ereignis.
Also, ich denke, da hat auch der Alkohol eine gro­ße Rolle gespielt.

Ergreift die Stadt Apolda denn Maßnahmen gegen rechts?

Es gibt ein Bürgerbündnis. Da ist der Bürgermeis­ter, also ich, erster Unterzeichner. Wir haben also ein Bürgerbündnis gegründet und führen Aktionen durch. Wir machen am 8. Mai einen großen Umzug durch die Stadt, und wir machen jetzt die »Aktion Stolpersteine«. Ich weiß ja nicht, ob sie das kennen. Mit drei Stolpersteinen fangen wir an in Apolda, die ehemaligen jüdischen Mitbürgern gewidmet sind.