Arbeitsbedingungen bei Ikea

Die Kritiker der Elche

Wo Familien so gern shoppen gehen, haben es die Beschäftigten schwer. Der Betriebsratsvorsitzenden einer Ikea-Filiale droht die Kündigung, weil sie von »Mobbing« sprach.

Duzen löst auch nicht alle Probleme. Das zeigt ein Blick in die aktuelle Ausgabe des Brennpunkt, der Zeitschrift des Gesamtbetriebsrats von Ikea, dem schwedischen Möbel- und Einrichtungsdiscounter mit dem beharrlich guten Ruf.
Da finden sich zum Beispiel Bilder von streikenden Mitarbeitern. Über 60 Tage, zusammengenommen, legten sie in mehr als 17 Niederlassungen in der seit April 2007 andauernden Tarifrunde ihre Arbeit nieder. Sie fordern höhere Löhne und Gehälter, den Erhalt der Zuschläge für die Arbeit nach 18.30 Uhr und dass das Unternehmen endlich den regionalen Arbeitgeberverbänden beitritt, welche die Tarife im Einzelhandel mit der Gewerkschaft aushandeln. Da geht es auch um die schlechte Stimmung unter vielen der fast 14 000 Mitarbeiter in Deutschland, die über eine hohe Arbeitsbelastung, die Auswirkungen von Sparmaßnahmen und jede Menge weiterer Miss­stän­de klagen.

Besonders schlecht ist derzeit die Stimmung in der Niederlassung Walldorf bei Heidelberg. Die dortige Betriebsratsvorsitzende, Cordula Becker, soll Anfang März während eines Streiks dem lokalen Radio Regenbogen als anonyme »Mitarbeiterin« im Interview gesagt haben: »Bei uns laufen ja auch unschöne Sachen wie Mobbing von Streikenden und Druck auf die Mitarbeiter, dass sie nicht streiken. Wir sehen hier ganz toll, der Ikea-Geist lebt wieder auf. Sie landen in teilweise Vieraugengesprächen, wo sie gesagt kriegen, das Gespräch findet nie statt. Sie kriegen dann gesagt, sie sollen an ihren Arbeitsvertrag denken. Sie kriegen den Druck, und das kriegen sie auch in den Gesprächen gesagt.« So ist es im Material zur Anhörung Anfang April zu lesen, bei der Becker von der Filialleitung zur Rede gestellt wurde.
Die fünf Sätze haben eine große Wirkung entfaltet. Für die Geschäftsleitung waren sie Grund genug, eine so genannte fristlose Verdachtskündigung gegen Cordula Becker anzustreben. Der Betriebsrätin, die nicht abstritt, jene Sätze gesagt zu haben, werden Beleidigung, Verleumdung und üble Nachrede vorgeworfen. Die Personal­lei­terin der Walldorfer Filiale, Sibylle Räther, schreibt in der Anlage zur Anhörung: »Dieses Interview hat zu heftigen Reaktionen von zahlreichen Mitarbeitern und damit konkret zu Störungen des Betriebsfriedens geführt.« Mitarbeiter seien »auf ihre Vorgesetzten zugegangen« und hätten »ihren Unmut« über das Gesagte geäußert. »Betriebs­fremde« wiederum hätten Ikea-Mitarbeiter vor Empörung »verbal attackiert«. Kollegen der Freun­din eines Mitarbeiters werden indirekt zitiert: »Als Kunde erlebe man Ikea als das freundliche Unternehmen und empfindet dann die Tatsache, dass bei Ikea gemobbt und Mitarbeiter bedroht werden, als ungeheuerlich.« Überhaupt seien Beckers Behauptungen »falsch und völlig frei erfunden«. »Der Arbeitgeber« sei »pauschal verunglimpft worden«. Letztlich wird die Kündigung zumindest folgerichtig begründet: »Durch das an die Öffentlichkeit gehen und das Suchen der Konfrontation ist das Vertrauen zerstört, dass eine ordnungsgemäße Zusammenarbeit, insbesondere als Betriebsratsvorsitzende mit der Geschäftsleitung nicht möglich ist.«

Die Gewerkschaft Verdi veröffentlichte zu dem Vorfall eine Erklärung unter der Überschrift »Skan­dalöses Vorgehen gegen Betriebsratsvorsitzende«. Man ist der Meinung, Cordula Becker habe schlicht die Wahrheit gesagt. Dagegen hätten die Verantwortlichen in der Walldorfer Filiale sich »zum Ziel gesetzt, den gesamten Betriebsrat mit Hilfe eines Amtsenthebungsverfahrens ›in die Wüste zu schicken‹«. Denn ebenfalls im März, nach einem Streit zwischen der Walldorfer Geschäftsleitung und dem Betriebsrat über die Verwendung von 20 000 Euro, welche die Niederlassung in einem internen Wettbewerb gewonnen hatte, war eine Liste aufgetaucht, auf der 124 Mit­arbeiter gegen das Verhalten des Betriebsrats unterschrieben hatten. Diese wurde einem »Antrag auf Auflösung des Betriebsrates wegen grober Verletzung seiner gesetzlichen Pflichten« an das Arbeitsgericht Mannheim beigefügt. »Wie zu hören ist, haben sich einige der ›Unterschreiber‹ mehr als gewundert, als sie erfuhren, was man mit ihrer Unterschrift vorhat«, heißt es in der Erklärung von Verdi.
Anfang April stand auf einem Aushang in der Walldorfer Filiale geschrieben, wer nicht persönlich zum angesetzten Gütetermin am 24. April erscheinen könne oder wolle, müsse dies auch nicht tun. Denn die Abteilungsleiter »Jutta«, »Ber­ni«, »Peter« und »Timo« hätten einen Rechtsanwalt beauftragt, »der alle Antragsteller/innen vor Gericht vertritt und eure Interessen im Sinne eures Antrags auch wahrnimmt. Dafür entstehen euch keine Kosten!« Die Mitteilung hatten auch die »Kolleg/innen aus der PE (Personalentwicklung)«, »Vera«, »Eva« und »Andreas« unterzeichnet.
Eine gütliche Einigung kam erwartungsgemäß nicht zustande. Nach den Sommerferien wird ein Verhandlungstermin folgen. Verdi ist überzeugt, dass das Arbeitsgericht Mannheim »sehr deutlich machen wird, dass man mit Rechtsbeugung keinen Betriebsrat abschießen kann«. Ebenfalls als aussichtslos schätzt Verdi den Versuch ein, die Vorsitzende des Betriebsrats loszuwerden.

In der ZDF-Sendung »Frontal 21« wurden vorige Woche in einem Beitrag mit dem Titel »Ausbeutung bei Ikea. Die Wahrheit über ein unmögliches Möbelhaus« viele weitere Missstände aufgelistet: die Überwachung und Überforderung der Mitarbeiter, das Erstellen von Gesundheitsprotokollen, Ausbeutung und Drangsalierung. Auf manche ältere Mitarbeiter und Alleinerziehende soll demnach ein enormer Druck ausgeübt worden sein mit dem Ziel, sie zur Kündigung zu bewegen. Teilzeitkräften seien in einer Niederlassung ihre Sozialversicherungsausweise abgenommen worden, damit sie keinen Zweitjob ausüben konnten und ihrem Arbeitgeber vollständig zur Verfügung standen. Engagierte Betriebsräte seien unter Druck gesetzt worden. Eine Führungskraft ha­be in Stuttgart ein Seminar besucht, in dem es darum ging, wie man unerwünschte Mitarbeiter loswerden kann. Und vieles mehr.
Ikea Deutschland ließ in dem Fernsehbericht die Pressesprecherin Sabine Nold stereotyp auf die Vorwürfe antworten: »Das ist mit Sicherheit nicht Ikea-Standard.« Nach einer Umfrage hätten 81 Prozent der Mitarbeiter des Unternehmens ein großes Vertrauen in die Führungskräfte. Am nächsten Tag war auf der Webseite von Ikea zu lesen, die Vorkommnisse lägen überwiegend meh­rere Jahre zurück und die Konsequenzen seien längst gezogen worden.
Sicher hat man Ikea nicht grundsätzlich etwas gegen Betriebsräte. Denn in einigen Niederlassungen gab es Betriebsräte, die in der »Arbeitsgemeinschaft Unabhängiger Betriebsangehöriger« (AUB) organisiert waren, einer unternehmer­freundlichen, vorgeblich »ideologiefreien« Vereinigung, die sich als Gegengewicht zu den Gewerk­schaften des DGB versteht. So findet sich etwa in einer Ausgabe der AUB-Zeitschrift Süd-West-Drehscheibe aus dem Jahr 2004 ein Bild vom »AUB-Betriebsrat bei Ikea Diedenbergen«. Dort hat das Call Center des Unternehmens seinen Sitz. Ein knapper Text wird eingeleitet mit: »Seit 2001 gibt es diesen aktiven AUB-Betriebsrat.« Die Unternehmensleitung bestreitet eine direkte Zusammenarbeit mit der AUB.
Witzig an dem Bericht in »Frontal21« über das unmögliche Möbelhaus mit den sich duzenden Mitarbeitern war allein die Vorbemerkung des Moderators, dass jedes zehnte Kind in Westeuropa in einem Ikea-Bett gezeugt werde.