Die Privatisierung der Universitäten

Einmal Billigstudium bitte!

Die »Elite« ist konstruiert. Ein Privatisierungsschub und der Abbau der Massen­fächer an den Hochschulen könnte folgen.

Die Universität Karlsruhe darf sich nicht nur seit geraumer Zeit »Eliteuniversität« nennen. Sie hat auch eine eigene Hymne. »Das vergrößert die Identifikation mit unserer Hochschule«, sagte Rektor Horst Hippler. Kein Wunder, dass dieselbe Universität vor ein paar Wochen von einem Mitgründer des Softwareunternehmens SAP, Hans-Werner Hector, eine Spende von 200 Millionen Euro erhielt. Das ist die größte private Einzelspen­de, die je eine staatliche deutsche Hochschule in der Nachkriegszeit erhalten hat. Der Betrag liegt noch über dem kompletten Jahresbudget, über welches die Universität Karlsruhe gewöhnlich verfügt, und er beträgt zudem ein Fünftel der Sum­me, mit welcher sich die Privatindustrie insgesamt an der Förderung der Forschung an deutschen Hochschulen derzeit pro Jahr beteiligt.
Für viele Kommentatoren war die Riesenspende deswegen ein epochales Ereignis von überregionaler Bedeutung, weil sie endlich die von Poli­tikern häufig gescholtene Zurückhaltung deutscher Unternehmen und Privatleute bei der Finanzierung von Bildung und Wissenschaft für beendet wähnten.
In der Tat ist im internationalen Vergleich einiges auffällig. Der Anteil der Ausgaben für die Hochschulen am Bruttoinlandsprodukt stagniert hierzulande seit Jahrzehnten bei etwa 1,1 Prozent, wovon die Mittel, die privaten Quellen entstammen, knapp ein Zehntel betragen. Der Anteil am Bruttoinlandsprodukt in den USA liegt bei etwa 2,7 Prozent, davon kommt mehr als die Hälfte aus privaten Quellen (2006). Im Vergleich mit anderen westlichen Ländern schneidet das deutsche Hochschulsystem ähnlich ungünstig ab. Seine Finanzierungsbasis ist, im Unternehmerjargon gesprochen, nicht »wettbewerbsfähig«.

Ob die Karlsruher Großspende tatsächlich einen Privatisierungsschub auslöst, bleibt fraglich. Ein potenzielles Interesse daran ist in jedem Fall vorhanden. Private Hochschulgründungen haben in Deutschland traditionell bisher nur eine marginale Rolle gespielt. Von zwei Ausnahmen abgesehen (Universität Witten/Herdecke, Jacobs-Universität Bremen) machten Privathochschulen in den vergangenen Jahren vor allem durch spektakuläre Pleiten von sich reden beziehungsweise dadurch, dass staatliches Geld zur Anschubfinan­zierung irgendwo versickerte. Für das Kapital war es grundsätzlich stets attraktiver, die öffentlich finanzierte Infrastruktur im staatlichen System quasi als »Gratisproduktivkraft« mit zu nutzen und so den Ertrag der eigenen Investitionen zu steigern. Das setzt allerdings, wie bei jeder Investition, kalkulierbare Renditebedingungen voraus, womit das deutsche Hochschulsystem im Allgemeinen bisher nicht aufwarten konnte.
In den siebziger Jahren hatte sich als eine Art Kompromiss der Hochschulreformperiode ein sozialbürokratischer Mechanismus herausgebildet. Die Grundausstattung aller Hochschulen wurde finanziert. Wieviel Geld eine Universität erhielt, richtete sich nach der jeweiligen Nachfrage nach Studienplätzen, also nach Auslastungs­indikatoren, denen die Annahme einer prinzipiel­len Gleichwertigkeit aller Hochschulen – und Stu­dierwilligen! – zu Grunde lag. Insbesondere nach­dem die staatliche Grundfinanzierung der Hochschulen 1977 eingefroren worden war, waren private Zusatzinvestitionen immer mit dem Risiko verbunden, in einem anonymen System bürokratischer Mängelbewirtschaftung zu versickern. Die Quintessenz der Hochschulpolitik der vergan­genen Jahre – unter Etiketten wie »Profilbildung«, »Exzellenzinitiative« und »Elitenförderung« – lässt sich auch als ideologiepolitisches Manöver beschreiben, mit diesem »Mythos der Gleichwertigkeit« aufzuräumen, wie es in offiziellen Do­kumenten der »Exzellenzinitiative« heißt.

Der Kasseler Bildungsforscher Ulrich Teichler ver­tritt die These, dass nach der Jahrtausendwende eine Art informeller hochschulpolitischer Paradigmenwechsel stattgefunden hätte, indem »Qua­litätsunterschiede« durch eine immer ungleichere Verteilung der nach wie vor knapp gehaltenen staatlichen Finanzmittel systematisch gefördert worden seien. Man könnte dies auch als Wechsel vom Prinzip der Flächenfinanzierung zum Matthäusprinzip (»Wer hat, dem wird gegeben«) umschreiben. Manchmal wird dies sogar indirekt eingestanden. So teilte zum Beispiel Peter Gaethgens, Vorstandsmitglied der Europäischen Rektorenkonferenz (zuvor Präsident der Hochschulrektorenkonferenz), in einem im vorigen Jahr der »Exzellenzinitiative« gewidmeten Artikel dem Tagesspiegel mit: »Angesichts der in Deutschland chronischen Unterfinanzierung des gesamten staat­lichen Hochschulsystems, die sich auf absehbare Zeit nicht ändern wird, ist der Zwang, einen Weg stärkerer Differenzierung einzuschlagen, auf Dauer unvermeidlich.«
Zu diesem Zweck wurde die »Exzellenzinitia­tive«, die den wenigen prämierten Hochschulen in einem Zeitraum von fünf Jahren immerhin 1,9 Milliarden Euro zusätzlich beschert, im Jahr 2005 quasi erfunden. Der Sinn der Inszenierung war es, die politisch-administrative Entscheidung für ein Zwei-Klassen-Hochschulsystem als einen neutralen Leistungsvergleich erscheinen zu lassen, in dessen Resultat eine Art »geistige Elite« vom universitären Mittelmaß unterschieden wird. Das symbolische Prestige der Sieger und das zusätzliche Geld sollen das Engagement weiterer, vor allem privater, Sponsoren beflügeln.
Die Karlsruher Universität kann man als Beispiel dafür nehmen, dass die Rechnung möglicherweise aufgeht. Es gibt weitere Beispiele. In der zweiten Runde der Exzellenzinitiative Ende 2006 bewarb sich die TU München um das Prädikat »Eliteuniversität«. Der Bewerbung war eine Liste potenzieller Sponsoren aus dem Speckgürtel von München beigefügt, die der Präsident der TU, Wolfgang Herrmann, selbst als ein »Who’s who des Dax« bezeichnete. Jene Personen hatten eine gesteigerte Spendertätigkeit versprochen, falls die TU »Eliteuniversität« werden würde. Sie wurde es.

Wer nun aber meint, auf diese Weise fließe zumindest insgesamt mehr Geld ins deutsche Hoch­schulsystem, liegt falsch. Erstens lassen sich bei ca. 350 deutschen Hochschulen die Bereiche, die zusätzliche Mittel aus privaten Quellen erhalten, an zwei Händen abzählen. Zweitens setzt etwa die Exzellenzinitiative eine Umverteilung staatlicher Mittel voraus, die weitgehend »kostenneutral« erfolgt. Konkret heißt das: Die Arbeits- und Studienbedingungen der überwiegenden Mehrheit von Hochschulangehörigen verschlech­tern sich mit der politischen Konstruktion einer »Elite« weiter.
Es könnte sogar noch dicker kommen. Der ehe­malige Rektor der (»Elite«-)Universität Freiburg, Wolfgang Jäger, trat kürzlich eine Debatte los mit der Aussage: »Wir werden keine Eliteuniversitäten haben, wenn wir weiterhin Massenfächer haben.« Seine in Baden-Württemberg ernsthaft diskutierte Forderung lautet, als Konsequenz des Prädikats »Elite« an den Universitäten Studienplätze abzubauen und das Gros der Studierenden künftig – kürzer und billiger – an Berufsakademien und Fachhochschulen auszubilden.