Der Prozess gegen die Kameradschaft »Sturm 34«

SMS von Kamerad R.

Der sächsische Staatsschutz verfügte über einen Informanten im »Sturm 34«. Im Prozess gegen fünf Mitglieder der mitt­ler­weile verbotenen Neonazi-Kameradschaft geht es aber nicht nur um seine Rolle, son­dern auch um die Verbindung der NPD zu der Gruppe.

Die Worte des Mannes auf dem Zeugenstuhl sind schwer zu hören. Zusammengekrümmt murmelt Kriminalhauptkommissar Jürgen K. im Landgericht Dresden seine Sätze. Der Leiter des polizei­lichen Staatsschutzes im sächsischen Chemnitz soll an diesem Donnerstag, dem 24. April, zu den Ermittlungen gegen die Kameradschaft »Sturm 34« aussagen.
Die Staatsanwaltschaft wirft den fünf angeklagten Männern die Bildung einer kriminellen Vereinigung vor. Ziel des »Sturm 34«, der am 26. April 2007 vom sächsischen Innenminister verboten wurde, sei es gewesen, in der Region Mittweida Jagd auf Linke, HipHopper und Ausländer zu machen, sagte die Staatsanwältin Beatrice Baumann bei der Verlesung der Anklageschrift Anfang April. Auf so genannten Skinhead-Kontrollrunden seien die Mitglieder der Gruppe nachts auf die Suche nach Opfern gegangen. Drei Überfälle, auf eine Tankstelle, auf ein Dorffest und auf eine Party an einem Baggersee, werden den Angeklagten zur Last gelegt.

In der Vernehmung des Zeugen Jürgen K. geht es vor allem um die Rolle des Staatsschutzinformanten Matthias R., der nun neben den vier anderen Mitgliedern der Kameradschaft auf der Anklagebank sitzt. Matthias R. ist wie der Mit­angeklagte Tom W. in Handschellen in den Ge­richts­saal gekommen, beide verbüßen derzeit Haftstrafen. Doch äußerlich unterscheidet sich der etwas ältere R. mit seinen angegrauten Haaren von Tom W. und den anderen jungen Angeklagten, die kurzgeschoren und in typischer Bekleidung der Marken Thor Steinar und Brachial neben ihren Anwälten sitzen. Der Angeklagte Alexander G. trägt an diesem Tag einen Kapuzenpullover und eine Kappe des Dresdner Fußballclubs Dynamo. In der vergangenen Woche hat er dem Dresdner Neonazi Ronny Thomas zugelächelt, der unter den Zuschauern neben dem ehemaligen NPD-Landtagsabgeordneten Jürgen Men­zel sitzt.
Der Zeuge Jürgen K. druckst herum. Denn was zur Sprache kommt, ist alles andere als bequem für den Staatsschützer. Zu Beginn des Prozesses Anfang April war die Zusammenarbeit seiner Behörde mit Matthias R. bekannt geworden. Seitdem geht das Gericht mehreren Fragen nach: Seit wann waren der Behörde Neonazigruppen in Mittweida bekannt? Wie und wann ist der Kontakt zwischen dem Staatsschutz und R. zustande gekommen? Bestand die Zusammenarbeit erst nach oder bereits vor der Gründung der Kameradschaft am 5. März 2006? Bisher gibt es völlig widersprüchliche Informationen. Seit Oktober 2005 habe Matthias R. nach Angaben seines Anwalts Uwe Hoffmann Verbindung zum Staatsschutz gehabt. Für diesen Kontakt, so zitiert die Chemnitzer Freie Presse Hoffmann, seien »auch die üblichen Erklärungen und Verpflichtungen unterschrieben worden«.
Ganz anders stellen die Staatsschützer die Geschehnisse dar. R. habe im Januar 2006 bei einer Razzia im Bauhof Mittweida, dem damaligen Treffpunkt der Neonazis, zwar vor Polizeibeamten den Wunsch geäußert, Kontakt mit den Staats­schützern aufzunehmen. Nach einigen vergeblichen Versuchen seitens der Beamten habe R. aber erst am 8. März 2006 dem Staatsschutz eine SMS mit der Bitte um eine Verabredung auf ein Diensthandy geschickt. Danach sei es zu einem Treffen gekommen. Wie R. allerdings zur Nummer des Mobiltelefons kam und warum er sich gleich mit einem Angebot meldete, blieb bislang unklar. Nach Darstellung der Staatsschützer habe es Visitenkarten mit dieser Telefonnummer gegeben.

Unumstritten ist bisher: R. übergab bei mehreren Treffen CDs mit Texten und Fotos an den Staatsschutz und erhielt dafür insgesamt etwa 1 000 Euro Belohnung. Die Verbindung hielt er mit dem Mobiltelefon aufrecht. Die Behörde bezahlte ihm die Telefonkarten. Jürgen K. war bei den ersten Treffen mit R. nicht anwesend, wurde aber von seinen Mitarbeitern über sie in Kenntnis gesetzt. »Inhaltlich war nicht so viel da«, relativiert K. die Bedeutung der Informationen, die R. dem Staatsschutz gegeben hat. Ermittlungen zur Bildung einer kriminellen Vereinigung seien im März 2006 noch nicht eingeleitet worden, die Gründung einer Kameradschaft sei ja nicht strafbar, sagt der Beamte. Ab März 2006 sei R. als Informant geführt worden: »Wir dachten uns: Okay, wir belehren ihn erst mal.«
Was K. so lapidar beschreibt, stellt R. anders dar. Einem Interview zufolge, das er der Freien Presse gab, war der Kontakt zu der Behörde sogar so eng, dass er bei einem Überfall der Kameradschaft auf einen Autohändler in Chemnitz »ständig mit dem Staatsschutz per SMS in Verbindung« stand. Auch zu dem Überfall auf eine Tankstelle in Stollberg im Erzgebirge in der Nacht vom 20. zum 21. Mai 2006, der in Dresden zur Verhandlung steht, äußerte sich R. in dem Interview: »Wir sind nach einer Ku-Klux-Klan-Party hingekommen, um neuen Alkohol zu besorgen. Zufällig wa­ren da ein paar Linke vor Ort. Als wir das sahen, ging es auch schon los.«
Auch die Behörde war von der »Party« informiert. Der Staatsschützer Jens L. sagt in der Zeugenvernehmung aus, R. habe dem Staatsschutz gemeldet: »Morgen abend besucht die Kameradschaft einen Club.« L. gibt weiter an: »Es war bekannt, wo was ist. Ich bin nicht davon ausgegangen, dass dort etwas passiert.« Hinter dem Club sei auf der »Party« ein Holzkreuz mit Lappen um­wickelt und angezündet worden, dazu hätten die Neo­nazis Lieder gesungen und den Hitlergruß gezeigt, heißt es in der Anklageschrift. Der Zeuge Kai Z. war in dieser Nacht an der Tankstelle. 20 bis 25 Männer und Frauen hätten sich ihr gegen­über versammelt, sagt er im Gerichtssaal. Plötzlich seien die dunkel gekleideten Täter auf das Tankstellengelände gekommen. Z. erinnert sich: »Es wurde nicht großartig diskutiert. Es ging gleich los. Ich saß im Auto, habe gesehen, dass einer angesprungen wird.« Eine Gruppe von Angreifern habe auf einen Mann eingetreten, sagt die Zeugin Tina I. vor Gericht. »Seine Jacke war blutüberströmt, es gab mehrere brutale Tritte. Er war wie ein Fußball für sie«, schildert sie das Geschehen.

Erst dieser Überfall, sagt der Staatsschützer K., habe die Ermittlungen wegen der Bildung einer kriminellen Vereinigung in Gang gebracht. Die Informationen, die es zuvor über den »Sturm 34« und eine mögliche Vorläuferorganisation namens »Division Sächsischer Sturm« gegeben habe, hätten bei K. zwar ein »Bauchgefühl« verursacht, aber Hinweise auf einen organisierten, kriminellen Zusammenhang habe er vor dem Angriff an der Tankstelle nicht gesehen.
Mit einer Kleinen Anfrage im sächsischen Land­tag versucht Kerstin Köditz, eine Abgeordnete der Partei »Die Linke«, die Vorgänge um die Kame­radschaft aufzuklären. In einer Vernehmung bei der Polizeidirektion Chemnitz-Erzgebirge, aus der Köditz in ihrer Anfrage zitiert, habe ein ehema­liges Mitglied des NPD-Kreisverbands Mittweida ausgesagt, bei »Sturm 34« handele es sich um NPD-Mitglieder, »die sich zusammengeschlossen haben, um gegen Punks, Zecken, PDS-Angehörige und Ausländer vorzugehen«. Auf einem Treffen von Führungspersonen des »Sturm 34« und NPD-Funktionären bei dem damaligen NPD-Kreis­vorsitzenden Harald Nieher hatte der Zeuge den Eindruck, Nieher und der ehemalige stellvertretende Landesvorsitzende Peter Söffner hätten »das Sagen« über die Kameradschaft, Tom W. schien ein »Befehlsempfänger« zu sein.
In der Verhandlung soll das Verhältnis der NPD zum »Sturm 34« noch zur Sprache kommen. An diesem Donnerstag Ende April wird die Zeugenvernehmung aber trotz offener Fragen vorerst beendet. Der Staatsschützer Jürgen K. huscht schnell aus dem Gerichtssaal.