Die neue Gemäldeserie von Cornelia Schleime

Es kommt und geht

Die Künstlerin Cornelia Schleime stellt ihre neue Gemäldeserie »Love Affairs« in Berlin aus. Im Juni startet die Tübinger Kunsthalle eine große Einzelschau ihrer Werke. Ihre Bilder sind Zeugnisse einer ständigen Selbsterfindung.

Philemon und Baucis werden zu altersknorrigen Linden, Bauern enden als Frösche, wer Medusa erblickt, versteinert an Ort und Stelle: In Ovids »Metamorphosen« ist der Wandel das grundlegende Funktionsprinzip. Phantastische Geschichten zwar, doch vollkommen in der Realität verankert: Die Transformationen der Figuren dienen als Beweise der Vergänglichkeit von Schönheit und Glück, von Liebe ganz zu schweigen. Die ereignisträchtige Vergangenheit bleibt stets präsent, als Fingerzeig: nach der Verwandlung ist vor der Verwandlung.
Wenn es etwas gibt, das das kaleidoskopische Werk der Berliner Künstlerin Cornelia Schleime zusammenhalten kann, dann wohl die Faszination an der permanenten Veränderung. Eine ganze Tusche-Serie widmete sie schon dem Thema, »Mutationen« heißen die auf Papyrus-Blätter geworfenen, ovidisch anmutenden Mensch-Tier-Pflanz-Werdungen denn auch explizit. »Es geht mir darum, wie Vergangenheit in die Zukunft eingreifen kann und damit eine Zukunft unmöglich macht«, sagte Schleime in einem Interview, und: »Ich male, um vor der fließenden Zeit nicht zu kapitulieren.« Mit ihrer aktuellen Werkserie »Love Affairs« zeigt sie in der Berliner Galerie Michael Schultz nun, was passiert, wenn Wandel und Stillstand aufeinanderprallen: Es sind Momente gefrorener Geschichte. Wie stark dieser Aspekt ihr Schaffen insgesamt durchdringt, wird spätestens in der umfangreichen Einzelschau ab Juni in der Kunsthalle Tübingen zu beobachten sein.
Die neuen großformatigen, farbstrotzenden Portraits, die derzeit wuchtig an den blutroten Berliner Galeriewänden hängen, sind unglaublich kraftvoll. Die medusenhafte Schockstarre ist nicht zu übersehen: Momentaufnahmen von Personen, gefangen im Akt des Geschehens. Das zweiteilige »Don’t talk about Love« etwa: eine junge Frau, ein Halbakt, hinter ihr auf dem Bett ein junger Mann. Er legt gerade seine Hand auf ihre Mitte, ihr Blick ist abwesend, seiner irritiert, Kommunikation findet keine statt. Energie, die ins Stocken gerät.
Blicke, die sich nicht treffen, sondern auf nichts gerichtet sind, geschlossene Lider: Die Bilder der Reihe »Love Affairs« weisen stets über das, was sie zeigen, hinaus. Es sind Ausschnitte aus Geschichten, Schnappschüsse, Filmstills. So erscheint »Der Kuss« als Reverenz an Clark Gable und Vivien Leigh in »Gone with the Wind«, die Frauenfigur von »Meine Hand ist deine Bewegung« erinnert, nicht zuletzt wegen der Geste stummer Verzweiflung, an Filme aus den Sechzigern.
Eine andere Künstlerin hat jene filmischen Assoziationen in Foto-Inszenierungen perfektioniert: Cindy Sherman, die Meisterin der gefrorenen Bewegung. Sie war es, die den Film still zur bildnerischen Ausdrucksform auserkor, und sie ist dafür bekannt, in immer wechselnden Rollen und Verkleidungen sich selbst zum Objekt ihrer Werke zu machen – und dennoch ganz dahinter zu verschwinden. Aber Cindy Sherman ist ein Phantom. Cornelia Schleime ist nicht zu übersehen. Sie ist immer wieder in ihren Bildern, sei es explizit als Selbstporträit, sei es über Verweise auf den Rest ihres Werkes, das wiederkehrende bezopfte brünette Mädchen etwa, das sie selbst einmal war. So auch in ihrer »Stasi-Serie« von 1993, einer autobiografischen Collagen-Reihe. Auf der Basis ihrer Stasi-Akte inszenierte Schleime dort festgehaltene Szenen nach, kombinierte die Fotos mit Fotokopien der Texte. Eine verspielte, süffisante Form der Aufarbeitung.
Sie, die mit ihrer asymmetrischen Frisur und einem Rest von Punk-Geist in ihrem Auftreten ein wenig an Vivienne Westwood erinnert, nur weniger exaltiert, hat das Überraschungsmoment, das in der Stasi-Serie zum Ausdruck kommt, zu ihrer Stärke gemacht – kombiniert mit einer Wandelbarkeit in Thema und Ausdruck. Sie malte Nonnenporträts, eine Serie über den alternden, herumalbernden Papst, dann kam Monumentales in Form von menschenleeren Jagdszenen. Aber ebenso gehören filigrane Tuschezeichnungen zu ihrem Schaffen, seien es die erwähnten »Mutationen« oder lustvolle, weibliche Erotika, stets auf zerbrechlichem, seltsam aus der Zeit gefallenem Papyrus, ausgerechnet.
Eine Pluralität, die sich in ihrer Person spiegelt: Die Malerin, 1953 in Ostberlin geboren, muss­te sich in ihrem Leben selbst mehrfach neu erfinden. Nach einer Friseurlehre, einem Maskenbildnerstudium und der Arbeit als Pferdepflegerin begann sie 1975, an der Dresdner Hochschule für Bildende Künste Grafik und Malerei zu studieren. Ein Jahr nach dem Abschluss wurden ihre Arbeiten mit einem Ausstellungsverbot versehen, 1984 reiste sie aus der DDR aus, ließ alles zurück, begann im Westen von vorn. Sie arbeitete mit Super-8-Kameras, fotografierte, malte, konzipierte Performances, legte aluminiumfolienumhüllte Steine in Form eines Elefanten an den Strand. Im Februar nun erschien Schleimes Romandebüt »Weit fort«. Der Schlüsselroman, der die Beziehung zwischen Schleime und dem Ost-Lyriker Sascha Anderson zur impliziten Grundlage hat, schlug einige Wellen. Im Buch ist es eine im Nach­hin­­ein enttarnte Liebe zu einem IM der Stasi, die Bespitzelung der eigenen Freundin gehörte dazu, die Protagonistin musste sich hernach erneut neu definieren.
Das Metamorphische forciert sie in ihren Bildern subtil und raffiniert. Die ihren Stil prägende, sehr eigene Kombination aus Acryl, Schelllack und Asphalt-Lack hat eine klare Wirkung: Das Aufeinanderprallen dieser Substanzen löst eine chemische Reaktion aus. Der Farbauftrag zersetzt sich. Fleckenhaft fressen sich kalkuliert-unkalkulierte Ornamente über die Bildfläche, die Farben werfen Blasen, pastose Endmoränen entstehen, Lacksplitter verteilen sich auf der Leinwand. Geradezu überwältigend etwa bei »Es kommt und geht«, der Titel ist paradigmatisch. Es ist eines der gerade einmal drei Einzelportraits, die Ähnlichkeit mit Schleime selbst kaum zu übersehen. Nicht nur zerfasern hier wegen der chemischen Mischung die Grenzen zwischen Körper und Hintergrund, drinnen und draußen. Mehr noch, das entstehende Ornament wird zum Pulli, findet sein Echo in den Haaren und dem Dahinter. Der Wandel ist hier ­all­umfassend.
Cornelia Schleime reicht ein Auge und ein Stück Mundwinkel, um den Betrachter zu fixieren. Das entscheidende Bild hängt so, dass der Blick des Eintretenden sofort darauf fällt. Der Rest der Frau ist verdeckt von Gesicht und Schulter eines Mannes, sie versteckt sich hinter seinem Rücken. Ein Mann, eine Frau, eine Liebesbeziehung. Er mit fleckig übersätem, welkem Oberkörper, sie zierlich, blond, die Züge der Künstlerin wieder einmal nicht zu übersehen. Die ständigen Verweise auf ihre eigene Bio­grafie hält Schleime für überstrapaziert, Verbindungen zwischen der aktuellen Gemälde­serie und ihrem Roman ebenfalls. Und doch: Der stechen­de Blick der fast verdeckten Frauenfigur ist aufreizend, herausfordernd. Der Titel des Gemäldes lautet: »Gefährliches Spiel«.

»Love Affairs«, Galerie Michael Schultz, Mommsenstraße 34, Berlin. Bis 27. Mai. www.galerie-schultz.de

»Blind Date«, Kunsthalle Tübingen. 7. Juni bis 7. September. www.kunsthalle-tuebingen.de