Ausstellung in Zürich über prekäre Arbeitsbedingungen

Arbeit ohne Geld, Ausstellung ohne Kunst

Die Projektreihe »Work to do! Selbstorganisation in prekären Arbeitsbedingungen« in der Zürcher Shedhalle stellt mit ihrem prozesshaften Charakter die Arbeitsweise von Kunstinstitutionen radikal in Frage.

Hier ist keine Kunst! Ich sehe kein einziges Bild!« Dieser empörte Ausruf, von der Künstlerin Anna Oppermann in einem ihrer wuchernd verzettelten »Ensembles« einem fiktiven Bildungsbürger-Biedermann in den Mund gelegt, würde auch der aktuellen Ausstellung in der Zürcher Shedhalle hübsch stehen. »Work to do!« heißt die dritte thematische Projektreihe zum Thema »Selbstorganisation in prekären Arbeits­bedingungen«, die das Unausstellbare ausstellt: Kunst ohne Werk, Projekte ohne Deadline, und nicht zuletzt Arbeit ohne Geld. Denn die »Work to do!«, also die kulturelle Arbeit, die zu tun ist, wird unter prekären Bedingungen immer häufiger ohne Lohn geleistet und ist damit Teil des nicht nur im Bereich von Kunst und Kultur exis­tenten Dilemmas zwischen Selbstermächtigung und Selbstausbeutung der einst als emanzipatorisch gedachten Selbstorganisierungsstrategien.
Das Phänomen der Working poor findet sich nicht mehr ausschließlich an den Rändern der europäischen Gesellschaften und in Staaten des globalen Südens, sondern durch Globalisierungsprozesse, veränderte Unternehmensstrategien und das Verschwinden des europäischen Modells des Sozialstaats auch verstärkt in Bereichen der postfordistischen Wissens-, Dienstleistungs- und »Kreativindustrien«. Während in diesen Bereichen in Abgrenzung zu fordistischen Arbeitsregimes Modelle von Flexibilität, Mobi­lität, Selbständigkeit und der daraus häufig resultierenden Entgrenzung von Arbeit und Freizeit durchaus auch als Chance zur Selbstermäch­tigung begriffen wurden, verdeckt diese Sichtweise, dass die »neue Selbstständigkeit in vielen Fällen nicht freiwillig gewählt ist«, so das kuratorische Team aus Sönke Gau und Katharina Schlieben zur diskursiv-politischen Basisreflexion der Reihe.
Nach einem Treffen mit Initiativen aus Zürich im Rahmen des ersten Teils und einem zweiten Teil, bestehend aus einer Gesprächsreihe, trägt der dritte und letzte Teil nun einen Titel, der allen Kulturschaffenden weltweit Schweißperlen auf die Stirn treibt: »Skype Meetings«. Das kostenlose Internet-Programm für Chats, Telefonate und Videokonferenzen, das global immer häufiger bei Stress hervorrufenden Meetings Einsatz findet, bei denen nicht alle Teilnehmerinnen am selben Ort sein können, wurde hier als Werkzeug der transnationalen Netzwerkbildung und der Wissensverbreiterung ver­wendet. Dabei luden die Akteurinnen und Aktuere der vorangegangenen Aktivitäten weitere Ge­sprächs­partnerinnen und ‑partner zum Erfahrungsaustausch ein. So präsentiert sich der weitläufige Ausstellungsraum der Shedhalle als weitgehend kahler »Ort der Recherche«. Klei­ne Kojen, jeweils mit Rechner und Stuhl versehen, evozieren bewusst Assoziationen zu Internet-Cafés, in denen rund um die ganze Welt kommuniziert werden kann, Kontakte gepflegt und Wissen oder Geld transferiert werden können. In diesen Sperrholznischen lassen sich die je einstündigen Videoprotokolle der Skype-Dialoge abrufen. Während der Konferenzen sei der »digitale Graben« zwischen Europa und den Ländern des Südens durchaus spürbar gewesen, erzählt Sönke Gau. Denn nicht alle Teilnehmer hätten unbeschränkten Zugang zu ausreichend leistungsstarken Computern und Internetverbindungen gehabt.
An den Trennwänden der Mini-Abteile hängen Flyer und Dokumente aus diversen Archiven sozialer Bewegungen, auf denen es zumeist um feministische Fragestellungen geht. Neben Kuriosem wie einer Einladung zur »lesbischen Trachtengruppe Züri« kommt mit der Forderung nach Entlohnung reproduktiver, systemstabi­lisierender (und somit klassisch weib­licher) Tätigkeiten eine Hauptthematik der Frauenbewegung immer wieder zur Sprache. Auf einem Flyer in Englisch fordern Frauen endlich »Lohn für jede dreckige Toilette und jedes Lächeln«, um dann mit der Drohung fortzufahren, »und wenn wir nicht bekommen, was wir wollen, werden wir uns einfach weigern weiterzuarbeiten«. In einem Projekt von Studie­renden der Universität Genf werden »Arbeits­bedingungen von Frauen und Minoritäten in der kulturellen Produk­tion« als »Open Desktop«, also als offener Arbeitsplatz, verhandelt, während nebenan ein kleines Archiv feminis­tischer Zeitschriften aus der ganzen Welt aufgetischt wird. Der Fokus auf feministische Ini­tiativen, der nicht explizit im Ausstellungstitel angeführt ist, habe sich im Ver­lauf der Konzeption ganz von selbst ergeben, so die Kuratorinnen und Kuratoren, da sie als Paradebeispiel selbstorganisierter, egalitärer Arbeitsstrukturen gelten könnten. Man habe un­ter anderem im Prozess herausfinden wollen, was sich seit den siebziger Jahren hinsichtlich der Organisationsformen geändert habe. So sei das im ersten Teil der Ausstellung gefeaturete Projekt eines klassischen Frauennetzwerks, die Frauen-Dienstleis­tungs-, Gewerbe- und Kulturzentrum Zürich AG, nun in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden.
Wichtig für den Charakter der Projektreihe ist das Prinzip einer »produktiven Langsamkeit«, in den begleitenden Magazintexten immer wieder als »the mental comma instead of the full stop« umschrieben, die »Practice as Research«, die dazu führt, dass keine in sich abgeschlossenen Werke ausgestellt werden, sondern fortlaufende Prozesse, die die Arbeitsweise von Kunstinstitutionen und -förderungen radikal in Frage stellen. So sammelt Andreja Kulunèiæs Aktion »1 SFR = 1 Stimme« Geld von illegalisierten Migrantinnen ind Migranten in der Schweiz zur Renovierung des Schweizer Bundeshauses in Bern, um das hierarchische Verhältnis zwischen Flüchtlingen und Einheimischen umzukehren und die Alteingesessenen zu Empfängerinnen und Empfängern von Almosen zu degradieren. Das Berliner Kollektiv bankleer plant eine Exkursion zum einstigen Aussteigerparadies, dem Hügel Monte Verità in Ascona, um mit anti-urbanen Absonderungsstrategien an die sozial­utopischen Bewegungen der vorletzten Jahrhundertwende und Lenins Aufenthalt dort zu erinnern. Saskia Holmkvist lud, ausgehend von den neuen Diskursen um die »Generation Praktikum«, drei ehemalige PraktikantInnen und zwei KuratorInnen der Shedhalle zu einem Gespräch mit einem Therapeuten, um institu­tionelle Selbstkritik anzustoßen. Denn die Frage, inwieweit Do-It-Yourself-Strategien den Zwang zur neoliberalen Eigenverantwortung perforieren können oder affirmieren, und inwieweit mit ihrer Thematisierung eine Komplizenschaft oder doch ein Antagonismus hergestellt wird, kann logischerweise in diesem Rahmen nicht geklärt werden. Immerhin wird aber diese Frage in all ihrer Verwickeltheit als Prozess deutlich gemacht. Und zwar in der ganzen Schönheit klein­teiliger Info-Ästhetik ganz ohne repräsentative »Werke«, die saturierte Vorstellungen davon, was Kunstinstitutionen leisten können und sollen, wohltuend undekorativ in Frage stellt.

Skype Meetings. Shedhalle, Zürich. Bis 8. Juni