Die Terroranschläge in Jaipur

Bomben in der rosa Stadt

Die Terroranschläge im indischen Jaipur sollten Konflikte zwischen Hindus und Muslimen provozieren. Sie stärken auch jene Politiker, die muslimische Migration unterbinden und schärfere Sicherheits­gesetze verabschieden wollen.

Die Bomben explodierten im Abstand von wenigen Minuten mitten im historischen Zentrum Jaipurs. Mindestens 65 Menschen starben, über 200 wurden verletzt, als am Dienstag vergangener Woche die sieben Sprengsätze an Fahrrädern, Rikschas und in einem Auto für Massenpanik sorgten. »Die Bombenattentate gleichen dem Muster vorheriger Anschläge in anderen Städten«, stellte der für die Geheimdienste und Polizei verantwortliche Staatsminister Sriprakash Jaiswal am Tag danach fest. Es war der 21. Terroranschlag größeren Ausmaßes innerhalb von rund drei Jahren in Indien – die Unruheregion Jammu und Kashmir außer acht gelassen.
Die Hintermänner sollen Helfer dafür bezahlt haben, die präparierten Sprengsätze auf Märkten, in unmittelbarer Nähe des beliebten Touristenziels »Palast der Winde« und vor zwei Tempeln des Affengottes Hanuman zu platzieren. Der abend­liche Zeitpunkt war mit Bedacht gewählt worden. Die Straßen waren mit Menschen gefüllt, die auf dem Heimweg Einkäufe erledigten oder Gottesdienste in Tempeln besuchten. Es gibt Parallelen zu anderen Terrorakten der vergangenen Jahre: In der Hauptstadt Neu-Delhi explodierten ebenfalls Sprengsätze auf einem Markt und in einem öffentlichen Bus, in der Finanzmetropole Mumbai in Nahverkehrszügen, in der Hindu-Pilger­stadt Varanasi vor Gerichtsgebäuden und Tempeln.

Die Bomben in Jaipur sollten offenbar Unruhen zwischen Hindus und Muslimen provozieren. In der Hauptstadt des Wüstenstaats Rajasthan gab es bislang, selbst unter den Regierungen der hindu-nationalistischen Bharatiya Janata Party (BJP), keine gewaltsamen Konflikte zwischen Hindus und Muslimen. Sogar nach dem widerrechtlichen Abriss der Babri-Moschee in Ayodhya 1992 und trotz Provokationen gegen Muslime und Christen in den vergangenen Jahren durch die hindu-fundamentalistische Frontorganisation Bajrang Dal, den militanten Jugendflügel des Vishwa Hindu Parishad (Weltrat der Hindus), kam es dort zu keinen konfessionellen Auseinandersetzungen.
Ein weiteres Motiv der Bombenleger könnte sein, dass sie sich der Aufmerksamkeit internationaler Medien sicher sein konnten. Die »rosa Stadt« Jaipur ist ein touristischer Hotspot. Tourismus ist mit einem 15prozentigen Anteil am Brut­to­inlandsprodukt von Rajasthan eine wichtige Einnahmequelle. Dass keine Touristen unter den Opfern sind, ist wohl der derzeitigen Hitzewelle mit Tagestemperaturen über 40 Grad Celsius geschuldet.
Indische Sicherheitsbehörden vermuten, Drahtzieher des jüngsten Terrorakts und eines Großteils der anderen sei die Harkat-ul-Jihad-e-Islami (Huji). Die Organisation wurde 1984 in Pakistan gegründet, u.a. um gegen die indische »Besetzung« Kashmirs zu kämpfen. Sie operiert jedoch mittlerweile von Bangladesh aus – und liefert somit jenen indischen Politikern Argumentationshilfe, die vor allem wegen der illegalen Migration immer vehementer eine Befestigung der Grenze zwischen Indien und seinem östlichen Nachbarstaat fordern. Seit 2005 ist die Huji in Bangladesh ebenfalls illegal, nach ihrer Neuformierung soll es ihr gelungen sein, mit »Schläferzellen« das indische Hinterland zu infiltrieren. Außerdem vermuten indische Sicherheitsexperten, dass der pakistanische Geheimdienst ISI sie für seine Zwecke nutze. Die Huji ist jedoch nur einer von vielen Akteuren im südasiatischen Netzwerk der Jihadisten.
Ein weiterer wichtiger Akteur ist die 1997 gegründete Students Islamic Movement of India (Simi), die stark vom Deobandi-Islam beeinflusst ist, der wiederum den Taliban wichtige ideologische Inputs lieferte. Die Simi wurde möglicherweise von der Terrororganisation Jaish-e-Moham­mad (Jem) unterstützt, auch eine Gruppe mit pakistanischen Wurzeln, kampferfahren in Jammu und Kashmir und mit guten Beziehungen zu den Taliban und al-Qaida.

Nach den Anschlägen in Jaipur wurde routinemäßig die höchste Sicherheitsstufe (Red Alert) für die Metropolen Neu-Delhi und Mumbai verfügt. Die Tageszeitung The Hindu zitiert Staatsminister Sriprakash Jaiswal: »Im Vorfeld hat es keine präzisen Hinweise gegeben, abgesehen von generellen Warnungen, dass religiöse Einrichtungen in Rajasthan bedroht sein könnten.« Narendra Modi, Ministerpräsident von Gujarat, meinte, die Mitteilungen des Geheimdienstes entsprächen der zweifelhaften Genauigkeit indischer Wettervorhersagen.
Es ist bislang ungeklärt, wie viele Islamisten sich in Folge von Übergriffen radikalisierten, wie z.B. nach den Pogromen an Muslimen in Gujarat im Jahr 2002. Diese Frage bereitet selbst langjährigen Terrorismusexperten großes Kopfzerbrechen, vor allem wegen der potenziell gefährlichen gesellschaftspolitischen Auswirkungen. Trotz sich wiederholender Anschlagsmuster scheint das indische Sicherheitsestablishment, speziell auf der Ebene der Unionsstaaten, überfordert zu sein. Die Schaffung einer zentralen Ermittlungsinstitution scheiterte bislang an dem meist Parteikalkül geschuldeten Widerstand einiger Unionsstaaten und an bürokratischem Gerangel um Zuständigkeiten. Sie wird aber nun verstärkt gefordert.
Die üblichen Appelle des politischen Establishments, Ruhe und Ordnung zu bewahren, konnten selbst in dieser Extremsituation nicht unterschied­liche Ansichten der politischen Widersacher Kongress-Partei und BJP über die allgemeine Sicherheitslage in diesem Wahljahr verdecken. Die Anschläge könnten im Hinblick auf zahlreiche Landtagswahlen 2008, auch in Rajasthan, sowie die spätestens in der ersten Jahreshälfte 2009 stattfindende Unter­hauswahl zu einer politischen Polarisierung führen. Weitere Terrorakte sind leider zu befürchten, und ein entscheidender Fortschritt in der Bekämpfung der verschiedenen, häufig dezentral organisierten Netzwerke erscheint kurz- und mittelfristig unwahrscheinlich.
Überdies bietet die Sicherheitsdebatte dem Establishment die Chance, von den für viele Inder wichtigeren Problemen wie einer Inflation von über sieben Prozent und der trotz des hohen Wirtschaftswachstums unausgeglichenen sozialen Entwicklung abzulenken. Der hindu-nationalistische Oppositionsführer und ehemalige Innenminister L.K. Advani forderte der Times of India zufolge die Wiedereinführung des Prevention of Terrorism Activities Act.

Dieses Gesetz, das Grundrechte außer Kraft setzte und landesweit Menschenrechtsverletzungen begünstigte, wurde von der regierenden Koalition unter Führung der Kongressparteien nach ihrem Wahlsieg 2004 abgeschafft. Noch widersteht die Regierung der Versuchung, aber so mancher ihrer Politiker würde eine Verschärfung der Sicherheitsgesetze wegen der Jihadisten, aber auch der erstarkenden maoistischen Guerilla der Naxaliten und zahlreicher sezessionistischer Konflikte im Nordosten des Landes sicherlich begrüßen.
Ministerpräsidentin Vasundhara Raje betonte, dass es in Rajasthan keine Verhältnisse wie in Gujarat geben werde. Muslime und Hindus hielten in der Altstadt von Jaipur zusammen und kümmerten sich vorbildlich um die unschuldigen Opfer und Verletzten. Fraglich ist jedoch, wie lange das so bleiben wird, zumal da Jihadisten und Hindu-Fundamentalisten ihre Provokationen fortsetzen werden. »Trauer und Frustration führen zu absolutem Zorn und zu einer zunehmenden Stimmung in der Bevölkerung, hart zurückzuschlagen«, kommentierte der Fernsehsender Times Now.