Diskussion über eine Steuerreform

Das bisschen Haushalt

Steuer hier, Pauschale da. Die Parteien diskutieren, als habe der Wahlkampf für die Bundestagswahl 2009 bereits begonnen.

Früher war alles viel einfacher, sogar die Steuerpolitik. Da gab es auf der einen Seite die Konservativen und Liberalen, die von Freiheit sprachen und damit meinten, der Staat solle Unternehmen und Bürgern nicht so tief in die Tasche greifen, auf dass sie fleißig Handel trieben und der Markt alles regele. Und auf der anderen Seite gab es die Sozialdemokraten, die von Gerechtigkeit spra­chen und dabei nach Schweden schielten, also relativ hohe Steuersätze propagierten, auf dass der Staat den »sozial Schwachen« helfen und regulierend eingreifen könne in den Markt. Diese klassische Rollenverteilung überlebte mit Abstrichen bis in die frühen neunziger Jahre, und beide Seiten hielten sich in etwa die Waage.

Dann jedoch setzte die Dauerkrise ein, und die Sozialdemokraten gaben ihre Ansichten preis. Wegen der Staatsverschuldung waren Interven­tionen im Sinne Keynes’ und Steuererhöhungen kaum mehr durchsetzbar. Denn die Massenarbeits­losigkeit und eine wachsende Zahl von Rentnern ließen die Beiträge für die Sozialversicherungen enorm steigen, was wiederum Bürger wie Unternehmen immer stärker belastete. Deshalb griffen sowohl Schwarz-Gelb unter Helmut Kohl wie auch Rot-Grün unter Gerhard Schröder auf Mittel zurück, die sie dem Werkzeugkasten des Liberalismus entnommen hatten: Die Krise sollte bewältigt werden, indem der Staat die Unternehmen entlastete und ihnen somit mehr Kapital zum Investieren ließ. Höhere Investitionen, so die Vor­stellung, brächten neue Arbeitsplätze, was die Abgabenlast senken, den Konsum stärken und das Steueraufkommen von allein wieder erhöhen würde.
Dieser Plan hatte bekanntlich seine Tücken. Die Reformen der beiden Regierungen schufen einen gigantischen Niedriglohnsektor, die Ab­gaben stiegen weiter, und die Senkung der Unter­nehmenssteuern musste zuletzt gegenfinanziert wer­den mit der Erhöhung der Mehrwertsteuer und der Einschränkung der Pendlerpauschale. Obwohl die Wirtschaft seit zwei Jahren brummt, stuft der neueste Armutsbericht der Bundes­regierung über zehn Millionen Bürger als arm ein; weitere zehn Millionen sind demnach von Armut bedroht. Und die Mittelschicht schrumpft der­art zusammen, dass die »nivellierte Mittel­stands­­gesellschaft«, also das fordistische Wunsch­bild von Vollbeschäftigung und stetig steigendem Wohlstand, das die Apologeten der sozialen Marktwirtschaft als deren Vollendung betrachten, inzwischen so erreichbar scheint wie vor 200 Jahren der Mond.

Angesichts dieser Entwicklung kann es nicht ver­wundern, dass in der Politik wieder Vorschläge zu einer Steuerreform diskutiert werden. Angefangen hat die CSU. Sie stellt ihren ersten Landtagswahlkampf nach Stoiber unter das Motto, der Bürger brauche »mehr Netto vom Brutto«, und verspricht ihren potenziellen Wählern Steuerentlastungen von sage und schreibe 28 Milliarden Euro pro Jahr. Gewinnen sollen dabei nicht nur die Reichen und auch nicht nur die Armen, sondern gleich alle. Den Steuerfreibetrag wollen die Christsozialen auf 8 000 Euro anheben, den Eingangssteuersatz für Geringverdiener von 15 auf zwölf Prozent senken. Die gekappte Pendlerpauschale soll wieder ab Kilometer eins gelten und nicht erst ab Kilometer 21, wie das die Bundes­regierung bekanntlich unter Beteiligung der CSU beschlossen hat. Und damit die Gutverdiener nicht den Eindruck bekommen, diese Reform könnte doch irgendwie auf ihre Kosten gehen, ver­spricht die CSU, den Spitzensteuersatz von 42 Pro­zent nicht schon wie derzeit ab einem Jahreseinkommen von 52 000 Euro zu veranschlagen, sondern erst ab 60 000 Euro. Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) unterstützt die bayerischen Kollegen, indem er zusätzlich den Beitrag zur Arbeitslosenversicherung bis nächstes Jahr auf drei Prozent senken will. Eine Gegen­finanzierung für all diese Maßnahmen ist offenbar nicht vorgesehen; der Parteivorsitzende Erwin Huber zeigte sich dennoch überzeugt, auch die CDU werde sich dem Vorschlag bald anschließen.
Huber behielt recht, allerdings nur, was den Arbeitnehmerflügel und die Mittelstandsvereinigung der Union angeht. Deren Vorsitzender Josef Scharmann erklärte die bisherige Sparpolitik zu einer Art Hobby von Finanzminister Peer Steinbrück (SPD). »Frau Merkel muss sich aus der Umklammerung von Steinbrück lösen und die poli­tischen Prioritäten von der Haushaltskonsolidierung zur Steuerentlastung korrigieren«, sagte Scharmann den Medien. Davon wollte Angela Mer­kel aber nichts wissen, und der CDU-Generalsekretär Ronald Pofalla verkündete kategorisch: »In dieser Legislaturperiode kann es keine Steuersenkung geben.« Erst wenn der Haushalt konsolidiert sei, könne darüber diskutiert werden – also erst 2011, und selbst das nur, falls die Finanz­planung des Bundes solange Bestand habe, also nicht etwa ein geringeres Wachstum erneut zu Steuerausfällen führe.
Die SPD sprach angesichts der Versprechen der CSU von »glatter Wählertäuschung«, kündigte nun ihrerseits neue Konzepte für eine Steuerreform an. Demnach wollen die Sozialdemokraten ein Stück weit zurückkehren zu ihrer alten Politik und Reiche wieder höher belasten. Eine Arbeits­gruppe will Ende des Monats ein Papier vorlegen, das nach Presseberichten vorsieht, die Vermögenssteuer wieder einzuführen und Steuerprivilegien zu streichen. Die Mehreinnahmen wolle die SPD dann in die Sozialversicherungen stecken, um so die Abgaben für Mittelschicht und Ge­ringverdiener zu senken. Der finanzpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Hans-­Ulrich Krüger, diktierte den Medien gleich einen Merksatz in die Feder, der die Vorschläge wahlkampftauglich aufpolieren soll: »Es bleibt bei dem Grundsatz, dass starke Schultern mehr tragen müssen als schwache.« Ob das allerdings bedeutet, dass die »schwachen Schultern« am Ende auch absolut weniger tragen müssen als derzeit, lässt die SPD offen. Schließlich würden demnächst die Krankenkassenbeiträge auf die Steuer angerechnet, und das Existenzminimum für Kinder werde angehoben. Das könne, sagte Krüger, »schnell zu zweistelligen Milliardenausfällen führen« – womit die Reform der SPD, so sie denn überhaupt mehrheitsfähig wäre, wohl nicht für wirkliche Ent­lastungen reichen würde, sondern nur, um Haus­haltslöcher zu stopfen.

Die Pläne der CSU sind auf den ersten Blick als reine Wahlpropaganda zu erkennen, die der SPD bei näherem Hinsehen als Mittel zur Haushaltskonsolidierung, nicht zur Entlastung der Geringverdiener. Am Ende geht es also um viel Lärm um nichts. Der allerdings könnte lange anhalten: Es spricht einiges dafür, dass mit der Steuerdebatte der Bundestagswahlkampf 2009 begonnen hat.