Die große Ekstase

»Die Erinnerung ist das einzige Paradies, woraus wir nicht vertrieben werden können«, sagt Jean Paul. Man muss hier pathetisch und nos­talgisch werden. Selten ist der im Noise-Pop beliebte abrupte Wechsel zwischen bittersüß-melancholischem Singsang und leidenschaftlich zelebriertem Feedbackgewummer und -gefiepe einer Band so gelungen wie dieser, die nichts lieber tat, als ihre hübsch aneinandergereihten hochmelodischen Indie-Rock-Fragmente nach einigen Takten genussvoll durch martialische Gitarrenlärmbreitseiten zu zertrümmern.
Das deutsch-dänische Trio 18th Dye, dessen angenehm undeutscher Sound stets zu Recht mit Sonic Youth verglichen wurde, war auf dem Sprung zu einer großen Karriere: internationale Touren, Sessions bei John Peel, von Steve Albini produziert. Dann löste sich die Band auf.
Wer Anfang der neunziger Jahre erleben durfte, wie die Band ihren Track »Girls Boots« live darbot, wie hingebungsvoll Gitarrenhälse an Verstärkertürmen gerieben wurden, hat nicht nur in die Seele des Rock’n’Roll geblickt, sondern überdies Minuten erlebt, die ihm im Gedächtnis bleiben werden: Drei ihre Instrumente bedienende Personen, die schließlich derart an den Rand der Ekstase gelangten, dass man unwillkürlich den Eindruck gewann, die Musiker seien nur noch hilflos hin- und herschlenkernde Anhängsel ihrer zum Leben erwachten Instrumente. Nun gibt es, nach 13 Jahren Pause, ein neues Album mit heftig wummerndem, rückkopplungsgesättigtem Riff-Rock. Das ist alles andere als neu, aber zum Weinen schön. Am 23. Mai tritt das Trio in Berlin auf. Wer hingeht, hat seinen Enkelkindern etwas zu erzählen.

18th Dye: Amorine Queen (Crunchy Frog)