Spaltungen in Le Pens Front National

Rechts von Monaco

Die französische Rechte spaltet sich: Ein Teil des Front National setzt auf eine mögliche »Entdiabolisierung« der Migranten. Das gilt vielen derzeitigen und ehemaligen Parteigängern als Verrat. Sie wollen eine neue Partei gründen.

Als Geizkragen, sei es im Umgang mit seiner Partei oder auch der eigenen Familie, war Jean-Marie Le Pen schon immer bekannt. Der Mann ist zwar Mul­timillionär. Er trat 1976 das Erbe eines Anhängers an, des kränkelnden Zementfabrikerben Hubert Lambert, dem er versprochen hatte, die Monarchie in Frankreich wiederherzustellen. Doch als Neureicher hat den rechtsextreme Politiker und Vorsitzende des Front National (FN) stets die Angst davor bewahrt, seinen Reichtum wieder zu verlieren.

Die neuesten Vorgänge im FN stellen aber alles bis­her Dagewesene in den Schatten, das die Knick­rig­keit des seit der Parteigründung 1972 ununter­brochen amtierenden Vorsitzenden bewies. So schuldet der Front National einem seiner insgesamt sieben Europa-Parlamentarier, Ferdinand de Rachinel, derzeit acht Millionen Euro. Dieser Unternehmer hatte bisher eine Art Monopol auf alle Druckerzeugnisse der Partei. Die Geldsum­me hatte de Rachinel dem FN für die Wahlkämpfe zu den Parlamentswahlen 2007 sowie zu den Kommunal- und Bezirksparlamentswahlen im März dieses Jahres vorgestreckt. Denn infolge schlechter Wahlergebnisse und darum zurückgehender Subventionen aus der öffentlichen Par­teienfinan­zierung war der FN nicht flüssig, und auch die Banken wollten nur zögerlich Kredite gewähren.
Erzürnt darüber, dass ihm noch nichts zurückgezahlt worden war, stellte de Rachinel bereits im vergangenen November Strafanzeige gegen die eigene Partei. Die Angelegenheit wird nun im Juni vor dem Bezirksgericht in Nanterre verhandelt werden. De Rachinels Anwalt fordert inzwischen 500 000 Euro Schadensersatz vom FN. Unterdessen verdächtigte die linksliberale Tageszeitung Li­bération die Parteiführung, de Rachinel bewusst hi­nausekeln zu wollen, weil er sich dem Aufstieg der Tochter des Vorsitzenden, Marine Le Pen, widersetze. Diese hat daraufhin angekündigt, Strafanzei­ge gegen Libération wegen übler Nachrede zu erstatten.
Alles in allem entsteht der Eindruck eines finsteren »Fin de Règne«, also einer Herrschaft, die krisenhaft und zerrüttet zu Ende geht. Im Juni dieses Jahres wird Jean-Marie Le Pen 80 Jahre alt, und sein Abtreten scheint mittlerweile auch vielen Parteigängern und -funktionären überfällig. Der Alte zeigt sich aber starrköpfig – wenn er geht, dann nicht, ohne zuvor seine Tochter Marine als Nachfolgerin durchgesetzt zu haben. Diese »dynas­tische Thronfolge«, die dem Gespann von Vater und Tochter bei Spöttern in der Partei den Spitznamen »Monaco-Clan« eingetragen hat, ist aber umstritten. Mit ihr wird inner- wie außerhalb der Partei, zu Recht oder zu Unrecht, der Anspruch einer »Modernisierung« mittels eines »durchgelüfteten« Parteiprogramms verbunden.
So tritt Marine Le Pen gegen ein strafbewehrtes Abtreibungsverbot ein und für eine Politik, die die Schwangerschaft »einheimischer« französischer Frauen durch eine staatliche Finanzhilfe fördert. So soll erreicht werden, dass es unter Migrantinnen nicht länger eine höhere Geburtenrate gibt als unter »Alteingesessenen«. Dies ist nach Auffassung von Marine Le Pen wesentlich effizienter als ein ein­faches Verbot von Schwangerschaftsabbrüchen, das andere Vertreter der Partei oft gefordert haben.

Unterdessen bereiten sich innerparteiliche Abweichler sowie andere extreme Rechte darauf vor, eine neue Partei oder Sammelbewegung zu grün­den. Die Personen, die an dem Vorhaben beteiligt sind, stehen eher rechts vom Mainstream innerhalb des FN, wie er durch die ihnen verhasste »Mo­dernisiererin« Marine Le Pen verkörpert wird.
Am 29. März wurde nach Angaben der rechtsextremen, aber parteiunabhängigen Wochenzeitung Minute anlässlich eines Treffens in Paris die Struktur für eine neue Bewegung geschaffen. Sie trägt derzeit noch den provisorischen Namen »Ini­tiativkomitee für die Neugründung«. Am 31. Mai und 1. Juni wird sie in Paris einen Gründungskon­gress oder »nationalen Konvent« abhalten. Ihm soll im Dezember ein erster Parteitag folgen.
An dem Gründungsversuch beteiligen sich bisher einige prominente rechtsextreme Figuren. So stößt man auf Robert Spieler, den bisherigen Vor­sitzenden der 1988 aus einer Abspaltung des FN im Elsass entstandenen rechtsextrem-regionalistischen Bewegung Alsace d’Abord (Elsass zuerst). Man trifft auch auf Bruno Mégret, den Vorsitzenden des Mouvement National Républicain (MNR), der von 1987 bis 1995 stellvertretender Vorsitzender des FN war und 1998 aus Le Pens Partei austrat. Ferner beteiligen sich auch etwa 15 bisherige Regionalparlamentarier des FN, unter ihnen Fran­çois Dubout in der Region Nord-Pas de Calais. Er wurde jüngst aus dem FN ausgeschlossen, weil er als Spitzenkandidat bei den Kommunalwahlen im März in Calais seine Liste – gegen den Willen der Parteiführung – kurz vor der Stichwahl zurückzog und es dadurch der konservativen Regierungspartei UMP erlaubte, ins bisher »kommunistisch regierte« Rathaus von Calais einzuziehen. Deshalb feierte Robert Spieler ihn auch jüngst als »den, der das kommunistische Rathaus von Calais stürzte«.
Derzeit ist noch nicht genau absehbar, wie das ideologische Profil der neuen Partei aussehen wird. Sie wird doch gewisse Unterschiede überbrücken müssen, etwa zwischen rechts­extremen Regionalisten wie Robert Spieler einerseits und Rechten auf der anderen Seite, die aus einer auf den Nationalstaat fixierten Tradition kommen, wie ein Großteil des FN sie vertritt. Der gemeinsa­me Nenner dürfte aber der Einsatz für ein »weißes«, »seiner Identität verbundenes« und »starkes« Europa sein, wobei in diesem überwiegend »rassisch« definierten Europa sowohl die Regionen als auch die Nationalstaaten irgendwie ihren Platz bekämen.

Dabei zeichnet sich ein Unterschied zur Überzeu­gung der Mehrheit im Front National ab, die auch weiterhin in der Verteidigung des klassischen Na­tionalstaats verharrt, wie ihn im französischen Falle die Monarchie, der Postjakobinismus und der Bonapartismus hinterlassen haben. Beide Sei­ten müssen dabei zur Kenntnis nehmen, dass die politische Vorstellung eines absolut souveränen, im Namen seiner »nationalen Gemeinschaft« mehr oder minder allein über seine Geschicke be­stimmenden Nationalstaats sich heutzutage als kaum realisierbar erweist. Nur lösen sie das Problem unterschiedlich: die einen, indem sie neben der Verteidigung der engen, kleinen, »natürlichen Gemeinschaft« auch Ambitionen auf eine europäische Großmachtpolitik befürworten – und so durchaus das beweisen, was derzeit als Fähigkeit zur Realpolitik gilt. Und die anderen, indem sie ihr eisernes Beharren auf einer Verteidigung des klassischen Nationalstaats mit einer gewissen Erweiterung der Definition der ihm zugrunde liegenden »nationalen Gemeinschaft« verknüpfen.
So bestehen Personen in der Umgebung Marine Le Pens – und insbesondere der ehemalige Kommunist und derzeitige Angehörige des Zentralkomitees des FN, Alain Soral, der demnächst gemein­sam mit ihr eine neue Abonnentenzeitung unter dem Namen Le National herausgeben wird, da das parteieigene Organ National Hebdo aus finanziellen Gründen eingestellt werden muss – seit etwa zwei Jahren darauf, man müsse einer Strategie der »Entdiabolisierung« nachgehen. Dazu gehört nach Auffassung dieser Seilschaft auch eine stärkere Einbindung der französischen Staatsbürger migrantischer Herkunft in den – modernisierten – Nationalismus. Der Wahlkampf für die Präsident­schaft Jean-Marie Le Pens in den Jahren 2006/07 war stark von dieser Strategie geprägt. Anderen Strömungen der extremen Rechten wiederum gilt sie bereits als »Verrat an der eigenen Identität«. Hier liegt einer der wichtigsten Gründe für die Spaltung.