Gesine Schwan und Horst Köhler

Der erstbeste Bestmögliche

Gesine Schwan ist beliebt, ihr Bestreben, Bundespräsidentin zu werden, aber nicht. Denn Horst Köhler ist noch beliebter, weil er bereits Bundespräsident ist und deutsche Bundespräsidenten stets das Gute loben und das Schlechte tadeln, ohne jemandem wehzutun.

Am Ende der ersten Amtsperiode Horst Köhlers drängt sich der Verdacht auf, Tausende hätten einen ebenso guten Bundespräsidenten abgeben können, Hunderte einen besseren, und unter ihnen sei gewiss auch Gesine Schwan. Trotzdem ist es offenbar nicht erlaubt, Köhler für einen farb- und leblosen Bürokraten zu halten, der seine präsidialen Sonntagsreden, in denen er sich mit jämmerlich vorgetäuschter Inständigkeit für das Gute und gegen das Schlechte ausspricht, Wort für Wort vom Blatt ablesen muss, damit er nicht spä­testens nach dem dritten Satz einschläft, und da­raus den Schluss zu ziehen, fünf Jahre Köhlerscher Präsidentschaft seien genug, der Umstand, dass Angela Merkel und Guido Westerwelle eines Abends im März 2004 beschlossen haben, ihn zum Bundespräsidenten zu machen, könne kein hinreichender Grund dafür sein, dass er uns auch im Jahr 2014 noch langweilt.

Denn richtig ist etwas anderes. Hildegard Hamm-Brücher, die selbst vor Jahren bei einer Bundespräsidentenwahl die von vornherein hoffnungslos unterlegene Zählkandidatin spielte, hat es in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung deutlich gesagt: »Im ganzen Land sind die Sympa­thien für Köhler enorm. Überall, wo er hinkommt, wird er mit Beifall überschüttet.« Dafür, dass sie eine Gegenkandidatin nominiert und aus der nächsten Wahl des Bundespräsidenten erst eine Wahl gemacht hat, ist der SPD nicht etwa zu danken; vielmehr wird man einen Sieg Schwans ge­radezu als einen Putsch betrachten müssen: »Der äußerst beliebte und erfolgreiche Bundespräsident Horst Köhler würde aus dem Amt gejagt – so empfänden es viele Leute. Das wird für die SPD ungeheuer nachteilig bei den Bundestagswahlen ausfallen.«
Auf die Idee, es könne einer Partei schaden, dass sie den Bundespräsidenten stellt, muss man auch erst einmal kommen. Eine Präsidentin Schwan wird nach wenigen Wochen genauso beliebt sein wie ihr Vorgänger es gewesen sein wird, denn auch ihres Amtes wird es sein, das Gute zu loben und das Schlechte zu tadeln, ohne dabei irgendjemandem wehzutun. Die Leute, von denen Hamm-Brücher sprach, sind zwar ein bisschen dumm, aber zum Glück auch treulos.
Trotzdem haben ihre politischen Gegner und alle Kommentatoren erwartet, dass die SPD, wie im Jahr 1964, als sie zur Vorbereitung der ersten großen Koalition den Kandidaten der CDU zum Bundespräsidenten wählte, nämlich Heinrich Lübke, zur Verlängerung der zweiten wiederum darauf verzichten werde, einen eigenen Bewerber zu nominieren. Die Parteiführung schien bis vor kurzem dazu bereit. So ließ sich Außenminister Steinmeier im Juli 2007 vernehmen, Köhler sei »ein Bundespräsident, der sich im Amt bewährt hat, ein Kandidat, dessen Wahl auch für die SPD infrage kommt«. Und der Vorsitzende der sozialdemokratischen Fraktion im Bundestag, Peter Struck, sagte noch im März 2008: »Ich werde ganz sicher nicht die Stimmen der SPD, der Grünen, der Linken, der Republikaner, der DVU und der NPD in der Bundesversammlung zusammenrechnen, um auf eine Mehrheit zu kommen.«

Warum sich die Führung der SPD nun doch dafür entschied, Gesine Schwan noch einmal gegen Horst Köhler antreten zu lassen, weiß niemand. Der Stern enthüllte immerhin, wann und wo es geschah. Einige bis dahin unauffällige Sozialdemo­kraten namens Edathy, Annen, Lange und Hauer hätten monatelang gequengelt und schließlich Andrea Nahles von ihrer Idee überzeugt, und so sei es am 17. Mai zu einem »Geheimtreffen« mit Gesine Schwan im Potsdamer Cecilienhof gekom­men, wo 60 Jahre zuvor Stalin, Truman und Churchill konferiert hatten. Schwan habe einen glänzenden Auftritt geboten, aber erst als das Argument fiel, ein einheitliches Abstimmungsverhalten der sozialdemokratischen Mitglieder der Bundesversammlung werde nicht zu garantieren sein, mindestens die Hälfte werde nicht für Köhler stimmen und das werde ein fatales Zeichen sein, beschloss Kurt Beck, der Parteivorstand werde beschließen. Eine Woche später verkündete der Vorstand seinen Beschluss, und seitdem, meint der Stern, ist »wieder Bewegung in die Politik gekommen«.
Diese Bewegung empfand Frau Hamm-Brücher nun aber als unerfreulich: »Das Gerangel der Par­teien, dieses Geschiebe, ist unerträglich. Der Bun­despräsident wird als Pfand in die Parteikämp­fe eingeführt. Es ist ein Missbrauch dieser Persönlichkeiten. Das ist nicht gut für das Amt und für unsere Demokratie. Ich denke, es wäre auch Zeit, auf die Bürger zu hören, die das Parteiengezänk nicht verstehen und selbst mitbestimmen wollen, wer Staatsoberhaupt werden soll.« Wollte man dieses populistische Geschwätz für einen Augenblick ernst nehmen, so folgte daraus, dass niemand gegen den Amtsinhaber kandidieren darf, der ja (vielleicht mit der einzigen Ausnahme Heinrich Lübkes) ganz vollautomatisch immer der Beliebteste und der Beste aller Möglichen ist. Dann könnte man allerdings auch gleich die Amtszeit des Bundespräsidenten auf zehn Jahre verlängern oder die Monarchie wieder einführen.

Obwohl also fast alle gegen ihre Kandidatur sind, hat doch niemand etwas gegen die Kandidatin. »Ihre Frisur fällt allen als erstes auf«, hat die Taz beobachtet. »Stramm nach oben gekämmt türmen sich die blondierten Locken. Aber selbst dieses wilde Ornament kann nicht verdecken, dass Gesine Schwan fast immer lächelt.« Was wäre das auch für eine Frisur, die das Lächeln verdeckte? Die Welt nähert sich demselben Phänomen im Voll­­besitz einer höheren Bildung: »Ihr Profil hat Gesi­ne Schwan, Präsidentschaftskandidatin in Lauerstellung, auch mit weiblichen Mitteln geschärft. So trägt sie zu figurbetonten Kostümen hartnäckig eine Locken-Frisur im Belle-Epoque-Stil.« Kos­tüme, die von der Figur betont werden und gleich­zeitig das Profil schärfen, waren in der Wirk­lich­keit bisher nur selten zu sehen; wer aber in den achtziger oder neunziger Jahren am Otto-Suhr-Institut der Freien Universität Berlin studiert hat, erinnert sich, wenn auch womöglich an sonst nichts, ganz bestimmt an die kurzen Röcke und die langen Beine der Frau Professor Schwan.
Seit 1972 ist Gesine Schwan Mitglied der SPD, von 1977 bis 1984 saß sie in der Grundwertekommission, aus der sie schließlich entfernt wurde, weil sie die Entspannungspolitik der soziallibera­len Bundesregierung kritisiert hatte. Sie entdeckte damals in ihrer Partei eine fatale Neigung, die Unterschiede zwischen Sozialdemokraten und Kommunisten, zwischen Demokratie und Diktatur zu verwischen.
An ihrer antitotalitären Gesinnung besteht also kein Zweifel, und gerade deshalb lautet das Haupt­argument gegen ihre Präsidentschaftskandidatur: Sie müsse sich, wenn sie gewinnen wolle, auch von der »Linken« wählen lassen. Sie könnte es sich leicht machen und mit dem Grundgesetz argumentieren: Sie werde nicht von Parteien gewählt, sondern von der Bundesversammlung, und von wem die Stimmen kommen, brauche sie nicht zu interessieren und könne sie nicht wissen, da es sich schließlich um eine freie und geheime Wahl handle. Aber das tut Gesine Schwan nicht. Sie hat angekündigt, ganz ausdrücklich auch um die Stimmen der »Linken« zu werben, und damit ihrer Partei eine Frage gestellt, die demnächst einmal beantwortet werden muss.