Gromykos falsche Erben
Erinnert sich noch jemand an Andrei Gromyko? Den langjährigen Außenminister der UdSSR und Obersten im Obersten Sowjet von 1985 bis 1988? Die Kommunistische Plattform (KPF) der Linkspartei jedenfalls erinnert sich an ihn und bezieht sich auf seine Rede vor der Uno 1947: »Es geht immer noch um das, was Gromyko vor genau 61 Jahren in der Uno darlegte. Gerechtigkeit im Nahen Osten für die Palästinenser und andere geschundene Völker der Region sowie Sicherheit für die Menschen in Israel wird es nur geben, wenn dieses an Erdöl so überaus reiche und strategisch so enorm wichtige Gebiet aufhört, Spielball imperialistischer Interessen zu sein – zuvörderst US-amerikanischer.«
Das behaupten Mitglieder der KPF und andere aus der Linkspartei in einem langen Schreiben zu Gregor Gysis Israel-Rede (Jungle World 21/08). Darauf ließe sich leicht kontern, dass auch nach 61 Jahren noch kein Erdöl an der nahöstlichen Mittelmeerküste gefunden worden ist und die Behauptung deshalb heute so falsch ist wie damals, doch täte man Gromyko damit Unrecht. Denn immerhin erkannte der Mann vor der Uno-Versammlung die Notwendigkeit der Existenz eines jüdischen Staats an, und in der Folge die Sowjetunion auch Israel, was die DDR und der von Sahra Wagenknecht und Co. so verehrte Walter Ulbricht bis zum Schluss verweigerten.
Aber nicht nur die Altkommunisten um Wagenknecht berufen sich auf Gromyko. Auch die Verfasser einer anderen Stellungnahme zur Rede Gysis tun es. Mitglieder des Gesprächskreises »Frieden und Sicherheitspolitik der Rosa-Luxemburg-Stiftung« verfassten einen Offenen Brief an Gysi, der vor allem ihre verzweifelte Ratlosigkeit dokumentiert: »Um die Existenz welchen Israels geht es?« fragen die Autoren verwirrt und halluzinieren frei heraus, die Hamas habe Israel längst die Anerkennung angeboten. Der Brief wurde, wie so manche wutschnaubende Reaktion des Nationalbolschewisten Werner Pirker auf die Gysi-Rede, in der Zeitung Junge Welt abgedruckt. Umgehend jedoch distanzierte sich die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Wert darauf legte, dass in dem Brief nur einzelne Mitglieder des Gesprächskreises ihre persönliche Sicht der Dinge erklärt hätten, keinesfalls aber hätte sich die Stiftung als solche geäußert.
Der Streit um die Positionierung der Partei »Die Linke« zu Israel und zum Nahost-Konflikt spitzt sich langsam zu. Die Erklärungen des Bundesarbeitskreises (BAK) Shalom in der Jugendorganisation »Solid« sowie die deutlichen Worte von Katja Kipping, Petra Pau und Gregor Gysi gegen Antizionismus und Antiimperialismus haben erste Reaktionen des antiimperialistischen Flügels herausgefordert.
Der außenpolitische Sprecher der Partei, Norman Paech, schimpfte in einem Interview mit Radio »Corax« über den BAK Shalom: »Diese Leute sind offensichtlich dumm.« Die Abgeordnete Monika Knoche forderte in einer Fraktionssitzung indirekt ein Redeverbot für die Mitglieder der Gruppe. Auch das Parteivorstandsmitglied Sascha Wagener, ehemaliger Bundessprecher von »Solid«, distanzierte sich von dem Arbeitskreis. In der Zeitung Politik Orange, die als Beilage des Neuen Deutschland erschien, erklärte er, es handele sich um »eine Minderheit, die für niemanden in der Partei spricht«. Und fügte hinzu, die israelische Armee sei »schlimmer als die Hamas«.
Nun ist offenbar in der Bundestagsfraktion ein »klärendes Gespräch« zwischen Norman Paech und dem BAK Shalom geplant. Auf dem Parteitag in Cottbus vor zwei Wochen wurde das Thema allerdings ausgespart. Parteistrategen begeben sich normalerweise erst dann in eine Offensive, wenn sie ihre Unterstützer um sich geschart haben und mit Erfolg rechnen dürfen. Eine Richtungsentscheidung zu diesem Zeitpunkt wollen beide Seiten offenbar vermeiden, denn wie die ausgehen würde, kann niemand so recht sagen. Es könnte auch sein, dass dies das Ende des israelsolidarischen Frühlings in der Partei wäre.