Die Antifa unterwegs in Ostsachsen

Durchs wilde Ostsachsen

Bei der Kommunalwahl in Sachsen hat die NPD ihr Ergebnis auf über fünf Prozent vervierfacht. Sie wird voraussichtlich in allen Kreistagen mit drei bis sechs Sitzen vertreten sein. Kurz vor der Wahl besuchten Antifas die Orte Kamenz, Oßling und Hoyerswerda.

Frisch asphaltierte Landstraßen durchschneiden grüne Felder und Wälder. Leere Weiden und halb eingestürzte Scheunen geraten kurz in den Blick. »Höchststrafe für die CDU-Versager« und »Grenzen sichern – Kriminalität stoppen« ist auf Wahlplakaten der NPD zu lesen. »Für die Heimat« lächelt kurz vor Kamenz der dazugehörige Landrats­kandidat.
Vor dem »Bistro Papagei«, wo es auch Döner Kebap gibt, halten ein Bus und mehrere Autos. Rote Fähnchen und eine Musikanlage werden ausgepackt. Zu elektronischen Beats, Britpop und der Musik der Goldenen Zitronen werden hastig Transparente verteilt. Darauf stehen Forderungen wie »Keine Homezone für Nazis – Keine Ruhe für Antisemitinnen und Rassistinnen – NPD-Kader outen«. Ein Streifenwagen kommt vorbei, wendet und braust mit Blaulicht davon. Rund ein Dutzend Nachbarn und Spaziergänger versammeln sich auf dem gegenüberliegenden Fußweg, aus vielen Fenstern beugen sich junge und alte Zuschauer.

»Wenn einer unsere Mitarbeiter oder Gäste anpöbelt, soll ich dem Chef von nebenan Bescheid sagen«, sagt der Inhaber des »Papagei«. »Ist aber noch nicht vorgekommen.« Nebenan, da befindet sich über einem »Nationalen Sport- und Freizeitklub« ein vergitterter Laden mit der Aufschrift »NPD-Bürgerbüro«. Der »Chef von nebenan« ist der 44jährige Geschäftsmann Mario Ertel.
Ein Sportler mit nacktem Oberkörper taucht am Ende der Straße auf und zieht sich beim Näherkommen schnell noch ein T-Shirt der Neonazi-Band Stahlgewitter über, das die Aufschrift trägt: »Im Krieg gegen ein Scheiss-System«. Er entfernt einige frische Plakate von der gelben Fassade des NPD-Büros, auf denen steht: »Schöner leben ohne Naziläden«. Eine Hundertschaft Bereitschaftspolizei eilt um die Ecke und umringt die Gruppe der Antifas. Redebeiträge seien nicht gestattet, bis man die Spontankundgebung genehmigt habe. Mario Ertel erscheint in kurzen Hosen und mit Cyber-Sonnenbrille. Grimmig erstattet er Anzeige wegen Sachbeschädigung und Hausfriedensbruch. Über das Mikrophon schallt ihm entgegen, dass die NPD nach wie vor nationalistisch, antisemitisch und rassistisch sei, auch wenn sie versuche, sich als normale, bürgerliche Partei darzustellen.
Die Antifa-Gruppe bricht auf in die Richtung von Ertels Geschäften, einer Autolackiererei und einer Pizzeria. Aufkleber mit Parolen wie »Sozial geht nur national« oder »Nationaler Sozialismus jetzt« säumen den Weg zum einige hundert Meter entfernten Gewerbegebiet. Ein Mann Ende 50 steht schwatzend vor einem Wohnblock. »Die NPD ist mir und meiner Frau zu brutal«, sagt er. Recht hätte die Partei ja, vor allem wegen der Ausländer. Mit denen in dem Heim um die Ecke gebe es immer nur Stress. 350 Menschen leben da in einem alten NVA-Gebäude. Was für Stress? Dem Kamenzer fällt kein konkreter Vorfall ein.
Ein paar Meter weiter kommentiert ein etwas jüngerer Mann die Demonstration: »Rotzlöffel sind das. Was der ganze Polizeieinsatz kostet. Das bezahlen wir mit unseren Steuergeldern.« Ver­ständnis für die Notwendigkeit, rechtsextreme Propaganda zu kritisieren, äußert er nicht.
An die Bushaltestelle hat jemand Worte gekritzelt: »Ehre, Blut, Stolz«, »Plattenbaukidz« und »Gleich gibt’s aufs Maul«. Zwei Männer mit migrantischem Hintergrund sagen vorsichtig, dass sie die NPD nicht so gerne mögen. Auf dem Seiten­streifen wartet ein Autofahrer mit seinem Kind, bis die Antifa-Gruppe vorbeigezogen ist. Die Demonstration findet er »nicht so gut«, aber das Anliegen richtig. Zu den Kommunalwahlen gehe er in diesem Jahr seit langer Zeit mal wieder – »als Protestwähler«. Die Linkspartei wolle er wählen. Denn politisch müsse »einiges anders« werden, beispielweise was das Thema Asyl betreffe. Es könne nicht sein, dass die Polizei, wie kürz­lich bei einem Überfall auf eine Tankstelle in Kamenz, vor dem Asylbewerberheim stehe und nicht hineingelassen werde, obwohl der Täter in das Gebäude geflohen sei. Um zehn Uhr abends ist Schließzeit, habe es geheißen. Einer der Bereitschaftspolizisten ereifert sich: »Mit Maschinenpistolen müsste man da eigentlich rein und alles kurz und klein schlagen.« So weit will der »Pro­testwähler« nicht gehen, auch wenn er Verständnis für die Empörung des Polizisten zeigt.

Inzwischen ist es Nachmittag, und die Antifas sammeln sich am Bus. Weiter geht’s. An einigen Laternenmasten hängt ein Plakat mit der Aufschrift: »Politik der klaren Worte – parteilos – Henry Nitzsche«. Der Bundestagsabgeordnete, früher Mit­glied der CDU, tritt erstmals mit seiner neuen Wählervereinigung »Arbeit, Familie, Vaterland« an. Bus und Autos parken vor dem Gebäude der Oßlinger Feuerwehr gleich neben der Hundertschaft der Bereitschaftspolizei. Einige ältere Leute stehen mit Fotoapparaten an ihren Gartenzäunen und begutachten die Ansammlung junger, überwiegend schwarz gekleideter Menschen, die vor Nitzsches Grundstück eine große Karte von Ostdeutschland auf die Straße gelegt haben und ein Spiel spielen: Zwei Teams bewegen sich würfelnd »durch die Region«. Auf jedem Feld einer Großstadt wird ein passendes Zitat von Henry Nitzsche verlesen. Wer Dresden erreicht, muss sich anhören, was Nitzsche dort 2003 vor Burschenschaftlern zum Besten gab: dass es sich bei der Mehrheit der Asylbewerber um »Wirtschaftsflüchtlinge« handele und »in unseren auf Pump finanzierten Sozialsystemen der letzte Ali aus der letzten Moschee Zuflucht nehmen« könne. Dafür erhält der Spieler ein Deutschlandfähnchen.
Nitzsches Nachbarn loben den ehemaligen Bürgermeister für die vielen neuen Straßen und die Mittelschule, die ohne ihn angeblich geschlossen worden wäre. Ein 23jähriger erzählt, Nitzsche habe sich gegen die Wittichenauer CDU-Kollegen durchgesetzt, die lieber ihre Mittelschule vor der Schließung bewahrt hätten. Aus Rache hätten die dann seine islamfeindlichen Sprüche aus der Schublade gezogen. Er selbst habe »schon vor Jahren« Wahlplakate der NPD abgerissen, meint der 23jährige.

Der Nachmittag neigt sich dem Ende zu. Der Konvoi verlässt Oßling in Richtung Hoyerswerda. In der Stadt angekommen, heißt es warten. Die Polizei müsse die angemeldete Demonstrationsroute erst überprüfen. Während der halben Stunde kommen auf dem zentralen Platz etwa ein Dutzend Menschen und ebenso viele Autos vorbei. An der Lausitz-Halle, dem städtischen Kulturzentrum, prangt die Einladung zu Gerd Duden­höfers »Familie-Heinz-Becker«-Show. Plötzlich tauchen acht Neonazis auf, manche von ihnen zeigen stolz die Ergebnisse ihrer Plackerei im Fitnessstudio. Sie flüchten zwischen die Wohn­blöcke, als die Polizei auf sie zustürmt.
Als die Demonstration endlich beginnt, schimpft ein älterer Mann: »Euch Pack, wenn ihr meine Kinder wärt, würde ich euch übers Knie legen und euch den Hintern versohlen!« An der ersten Verkehrskreuzung stehen die Neonazis und drohen noch einmal, mit geballten Fäusten. Zwei Kilometer geht es geradeaus an sanierten Plattenbauten vorbei. Weiß, gelb, grün, orange, grün, altrosa, dazwischen vergilbte Deutschlandflaggen. Im dritten Stock schüttelt jemand den Kopf, im siebten Stock applaudiert jemand. Der Hoyerswerdaer Pfarrer Jörg Michel meint, das Bewusstsein über die rechte Szene sei gewachsen. Ein von Neo­nazis betriebenes Geschäft oder eine Kneipe gebe es nicht, aber man sehe Neonazis immer häufiger in der Stadt.
Früher Abend. Die sächsischen Antifas kühlen ihre Füße im Hoyerswerdaer Stadtteich. Drei ortsansässige Jugendliche schauen skeptisch von ihrer Bank herüber, im Schatten der Büsche stehen zwei Kästen Bier. Einzelne Polizeifahrzeuge parken wartend am Rand.