Der österreichische Autor Josef Winkler erhält den Büchner-Preis

Der Anti-Mosebach

Der österreichische Autor Josef Winkler erhält den diesjährigen Büchner-Preis.

Mit osef Winkler erhält endlich wieder ein Autor den Büchner-Preis, der dem Namenspatron der Auszeichung alle Ehre macht, denn der 1953 geborene Österreicher ist einer der wenigen bedeutenden männlichen Gegenwartsautoren unter 60, die der kritischen Tradition der deutschsprachigen Literatur wirklich zuzurechnen sind. Die Büchner-Preis-Jury der Akademie für Sprache und Dichtung war sich nach der letztjährigen Prämierung Martin Mose­bachs anscheinend bewusst, dass sie etwas gutzumachen hatte. Dies ist ihr mit dieser Entscheidung so überzeugend gelungen, dass die Feuilletons jetzt Einspruch einlegen: Die Welt spricht von einer rückwärtsgewandten Entscheidung, die FAZ gar von einem Rückfall in die siebziger Jahre, der Spiegel vom Verharren im Kulturpessimismus. Mögen die Feuilletons auch schmollen, gerade unter linken Kolleginnen wie Elfriede Jelinek oder Friederike Mayröcker herrscht Freude und Zustimmung.
Winkler ist umstritten, und das ehrt ihn, denn viele Vorwürfe entspringen politischen Ressentiments und der Abneigung gegen einen Schriftsteller, der fortwährend gegen autoritäre Vaterfiguren aufbegehrt, der sich dem Zeitgeist und den intellektuellen Moden gegenüber reserviert verhält. Wenn man den Antikatholiken Winkler mit dem Katholiken Mose­bach vergleicht, Winklers expressionistisch-barocke Sprache und Meta­phorik mit dem oft ins Biedermeierliche gehenden Mosebachschen Klassizismus kontrastiert, dann fällt schnell auf, dass zwei deutschsprachige Autoren nahezu gleichen Alters gegensätzlicher kaum sein können. Auch mit den meist akademisch gebildeten jüngeren Autoren, die oft sogar ein Schriftstellerdiplom vorweisen können, verbindet Winkler wenig. Er ist ein Dichter des zweiten Bildungswegs, der sich mit Bürojobs über Wasser halten musste, bevor er ab 1982 als freier Schriftsteller leben konnte. Trotzdem oder vielleicht gerade deshalb ist er in seiner Intellektualität und sprachlichen Kunstfertigkeit vielen Kollegen überlegen.
Josef Winkler ist ein Außenseiter und hält dies auch für die dem Schriftsteller angemessene Position, wie er in seinen Frankfurter Poetikvorlesungen des Jahres 2007 durchaus programmatisch formulierte. Er bricht gezielt Tabus, schreibt gegen Alltagsfaschismus und Prüderie. Die offene Thematisierung der Homosexualität des bisexuellen Schriftstellers ist so wichtig wie das antikatholische Ressentiment, welches sein Werk von Anfang an kennzeichnet. Seine ersten literarischen Auftritte hatte er als Exponent der kritischen Heimatliteratur. Der Debütroman »Menschenkind« von 1979 führt sein Dauerthema ein, die alltägliche Repression und Dumpfheit in der katholisch-alpinen Dorfwelt, die zwei homosexuelle Knaben in den Selbstmord treibt. »Menschenkind« war der Auftakt zur Roman-Trilogie »Das wilde Kärnten«, mit der er sich seinen Platz in der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur sicherte.
Die heimische Dorfwelt, in der er durch seine autobiografischen Romane vom Outsider zum Ausgestoßenen wurde, war wieder und wieder Schauplatz seiner Romane. Irgendwann hat der sensible Winkler sich dann die ihm als Homosexuellen zugefügten Verletzungen von der Seele geschrieben. Fast unmerklich hat sich durch die damalige zweite Heimat des Autors in Rom eine Distanzierung und Themenverschiebung ergeben. Der 1990 erschienene Roman »Friedhof der bitteren Orangen« ist vorwiegend in Rom und Süditalien angesiedelt, die 2001 erschienene Fortsetzung »Natura Morta« spielt zur Gänze in der »ewigen Stadt«. War »Friedhof der bitteren Orangen« noch von häufigem Wechsel der Schau­plätze, von der permanenten Rückkehr des Erzählers aus Rom oder Süditalien in die Enge des heimischen Dorfes geprägt, braucht Winkler diese Rückversicherung in der Novelle »Natura Morta« nicht mehr.
Der Dichter vom Land ist endgültig in der Stadt angekommen. Der »Allerheiligenhistoriker«, »Karfreitagspsychologe«, »Christihimmelfahrtsphilosoph« und »Mariaempfängnisneurotiker«, wie Kritiker ihn gelegentlich nannten, bewies hier aufs Schönste, dass er nicht auf kritische Heimatliteratur festzulegen ist, sondern genauso eindringliche und intensive Stadtliteratur schreiben kann. »Natura Morta« ist insgesamt weit weniger schräg, provokant und sexuell explizit als »Friedhof der bitteren Orangen«, vermutlich deshalb wurde die Novelle kurz nach ihrem Erscheinen mit dem Döblin-Preis bedacht. Rom, wie es wenige kennen, porträtiert er in beiden Werken. »Natura Morta« ist weit weniger komplex als der Roman »Friedhof der bitteren Orangen«, der Reisetagebuch, Stadtbeschreibung, österreichisches Gebetbuch, Mumien der Palermitaner Kapuziner­gruft, Zeitungsnotizen, italienische Lyrik und einige andere Ingredienzien zu einem hochliterarischen Text vermischt, in dem der Erzähler alltäglichem Schrecken und historischen Gräueltaten nachjagt. »Natura Morta« ist, wie der Name bereits sagt, eine Art Stillleben, kleinformatig und beschränkt in der Themenwahl, während »Friedhof der bitteren Orangen« ein barockes Großgemälde darstellt, das mit mehreren Handlungsebenen sowie einer Doppelbödigkeit prunkt und damit zum Besten zählt, was Winkler bisher geschrieben hat.
Der Roman hält sich von Pomp und Pracht des historischen Zentrums der Stadt Rom weitgehend fern, sein Erzähler verkehrt vor allem in den Quartieren der Unterschicht, die er mit einem an Pasolini geschulten Blick beschreibt. Zu seinen bevorzugten Schauplätzen zählt das Gründerzeitviertel Esquilin, hier leben die Armen, die Huren, die Junkies, die Stricher, die illegalen Farbigen und die Zigeuner. Der schwule Erzähler streift dabei meist durch eine fremde dunkle Schattenwelt, Armut, Elend und surreal-expressionistisch angehauchter Todeskult sind besondere Kennzeichen seines barock opulenten Narrativs. Dabei ist Winklers Darstellung keineswegs voraussetzungslos, ganz im Gegenteil, im Roman »Friedhof der bitteren Orangen«, der seinen Namen von einem Neapolitaner Armenfriedhof entlehnt, findet sich so manche Anspielung auf die Tradition der un­idea­lisierten Italien-Wahrnehmung. In »Natura Morta« wird jedes Kapitel durch einen Vers des italienischen Dichters Giuseppe Ungaretti eingeleitet, wobei Winkler die Übersetzung von Ingeborg Bachmann verwendet, deren Idee von der Poesie des römischen Alltagslebens ihn durchaus beeinflusst zu haben scheint.
Das Spannungsfeld zwischen Heimat und Fremde spielt in der zweiten Hälfte von Winklers bisherigem Schaffen eine wichtige Rolle, denn reisend hat er sich an neue Themen herangearbeitet. Nach Italien wurde Indien zum Gegenstand seiner Prosa, auch hier, am Ufer des Ganges, ist es der Todeskult, der ihn fasziniert und den er im Roman »Domra« (1996) zu seinem Thema macht. Sein letztes Buch »Roppongi, Requiem für einen Vater« (2007) ist ein Buch des endgültigen Abschieds vom übermächtigen Vater, aber auch von der Kärntner Dorfwelt, die so prägend für sein Schreiben gewesen ist. Für September 2008 ist der Essayband »Ich reiß mir eine Wimper aus und steche Dich damit tot« angekündigt, der vor allem Reisereportagen enthalten soll. Der Titel, der auf ein Chanson der zwanziger Jahre zurückgreift, verspricht einen gewandelten Josef Winkler.