Die Untersuchung der Friedrich-Ebert-Stiftung, »Ein Blick in die Mitte«

Frau Meier mag die Türken nicht

»Ein Blick in die Mitte« zeigt es: Einer gleich­namigen Studie zufolge ist eine rassistische, antidemokratische und autoritäre Ge­sinnung für einen großen Teil der Deutschen zur Selbstverständlichkeit geworden.

Einen ungünstigeren Zeitpunkt hätten sich die Wissenschaftler wohl kaum aussuchen können, um ihre Studie über antidemokratische und ausländerfeindliche Einstellungen der Deutschen zu präsentieren. Nur kurz tauchte die Untersuchung »Ein Blick in die Mitte«, die von der Friedrich-Ebert-Stiftung in Auftrag gegeben worden war, in den Meldungen auf. Die schlechte Botschaft, die die Forscher zu verkünden hatten, wurde schon am nächsten Tag vom »Wunder in Basel«, also dem Sieg der deutschen Nationalmannschaft gegen Portugal, aus den Nachrichten verdrängt.

Tatsächlich passen die Ergebnisse der qualitativen Untersuchung nicht so gut zum neuen »Som­mermärchen« und dem Bild eines »fröhlichen und geläuterten Patriotismus«, der während und nach der Weltmeisterschaft 2006 propagiert wur­de. Die Feststellungen von Elmar Brähler und Oliver Decker von der Universität Leipzig zeigen eine andere Republik. Bereits vor zwei Jahren legten sie die repräsentative Umfrage »Vom Rand in die Mitte« vor, die eine drastische Zunahme von Ausländerfeindlichkeit und Chauvinismus be­legte: 37 Prozent der Befragten meinten, dass Migranten nur nach Deutschland kämen, um »un­seren Sozialstaat auszunutzen«. Etwa 39 Prozent fanden »Deutschland von Ausländern überfremdet«. Jeder vierte sehnte sich nach einer »ein­zigen starken Partei, die die Volksgemeinschaft insgesamt verkörpert«.
Die neue Untersuchung sollte nun zeigen, wie diese Einstellungen zustande kommen. Dafür wurden an mehreren Orten in Deutschland Diskussionsrunden organisiert. Die insgesamt 60 Teilnehmer sprachen dabei ihre rassistischen Vor­urteile mit einer solchen »besorgniserregenden Selbstverständlichkeit« aus, dass die Wissenschaft­ler an ihren früheren Ergebnissen zweifelten. »Offenbar wurde die Ausländerfeindlichkeit in der ersten Studie unterschätzt«, sagte die Psychologin und Co-Autorin der Studie, Katharina Rothe.
In den Gruppen herrschte schnell der Konsens, alles »Fremde« abzulehnen und Ausländer auszugrenzen. Als Standardargument diente dabei die Formulierung: »Die passen einfach nicht zu uns.« So sagte beispielsweise eine gewisse Frau Meier aus Dortmund während einer Diskussion, die Türken nähmen »sich Sachen raus, was die Deutschen nicht dürften«, sie nähmen überhand, »die kaufen jedes Geschäft auf, die kaufen jedes Haus, was leer wird, auf«. Decker bezeichnet eine derartige Haltung als eine neue Form des »kulturellen Rassismus«. Der »hohe Normierungsdruck« habe aber auch zur Folge, dass andere Abweichungen ebenfalls sanktioniert werden: Der Hass richtet sich auch gegen Arbeitslose oder sozial Schwächere.
Die Einsichten decken sich mit anderen Untersuchungen wie zum Beispiel der Langzeitstudie »Deutsche Zustände« von Wilhelm Heitmeyer von der Universität Bielefeld. Seit Jahren stellt der Soziologe eine Zunahme der »gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit« fest – wer nicht ins Raster passt, wird verachtet und gehasst. Die Ergebnisse der neuen Studie bestätigen auch, was zuvor bereits einfache Statistiken gezeigt haben: So gab es während der Weltmeisterschaft vor zwei Jahren eine deutlich höhere Zahl rassistischer Angriffe als sonst – nur wurden sie kaum zur Kenntnis genommen, weil diese Zahlen nicht zum »Sommermärchen« passten. Der angeblich so unbeschwerte »Party-Patriotismus« hat offensicht­lich nicht dazu geführt, dass der Rassismus abnimmt, wie etliche damals prognostizierten. Viel­mehr wird Rassismus derzeit offener formuliert als je zuvor.

Eine ähnliche Entwicklung belegt die Studie »Blick in die Mitte« auch in der Auseinandersetzung mit der NS-Geschichte. Seit Jahren beschäftigen sich die Medien und die Literatur vor allem mit den deutschen Opfern, unermüdlich wird die »Ent­tabuisierung« des Redens über Flucht, Vertreibung und Bombenkrieg beschworen: Nur so könn­ten die Deutschen ihr Verhältnis zur Geschichte und zur Nation wieder »normalisieren«, heißt es.
Der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangen­heit messen die Autoren eine »Schlüsselposition« zu, da sie rechtsextreme Tendenzen und Verhaltensmuster hemmen könne. Nach unzähligen Folgen Geschichtsfernsehen nach der Machart eines Guido Knopp und nach Bestsellern wie Jörg Friedrichs »Der Brand« hat sich das Geschichts­bild tatsächlich verändert. In den Diskussionen »scheint sowohl ein Verschwinden der Täter der nationalsozialistischen Verbrechen auf«, schreiben die Autoren, wie auch »eine Verschiebung der deutschen Selbstwahrnehmung vom Täter zum Opfer«.
Zudem sind viele Menschen demokratischer Ent­scheidungen überdrüssig. In der ersten Studie sagte etwa die Hälfte der Befragten im Westen, dass die Demokratie nur »für die da oben« gut sei und Wahlen sowieso nichts änderten. Das sag­ten auch drei Viertel in Ostdeutschland. Die »alar­mierende Geringschätzung des demokratischen Systems« bezeichnen die Autoren als »narzisstische Zeitplombe«. Demokratische Strukturen wür­den nur akzeptiert, solange sie Wohlstand garantierten. Gehe er verloren, nähmen antidemokratische Meinungen zu – wie etwa nach der »Wende« in Ostdeutschland.
Um diese Entwicklung zu erklären, zitieren die Autoren aus »Die Unfähigkeit zu trauern« von Alexander und Margarete Mitscherlich. Demnach trat an die Stelle des »kollektiven Narzissmus«, der durch den Zusammenbruch des Nationalsozialismus schwer geschädigt wurde, »der wirtschaftliche Aufschwung, das Bewusstsein, wie tüch­tig wir sind«. Antidemokratische Einstellungen seien damals wie in einer Plombe verschlossen worden. Mit der zunehmenden Angst vor dem sozialen Abstieg öffne sich die Plombe wieder – und setze auch die autoritären und rechtsextremen Ansichten frei.
Vermittelt werden diese Ansichten vor allem durch autoritäre Strukturen in der Familie. So ver­weist die Studie mehrfach auf das Konzept der »autoritären Persönlichkeit«, mit dem bereits die Frankfurter Schule das Aufkommen des Nationalsozialismus psychologisch zu erklären versuch­te. Doch während sich die ältere Generation noch oft auf die klassischen Autoritäten bezieht, machen sich unter Jüngeren die gesellschaftlichen Veränderungen bemerkbar. Ihre autoritären Vorstellungen sind willkürlicher und nicht mehr unbedingt an den Vater oder staatliche Institutionen gebunden. Während die Älteren noch nach der »harten Hand« des Staats rufen, schlagen die Jungen gleich selbst zu.

Auffallend ist, dass der Studie zufolge rechts­ex­treme Ansichten in allen Teilen Deutschlands weit verbreitet sind – im Westen sogar noch stärker als im Osten. Das wirkt angesichts der jüngsten Wahlerfolge der NPD in Sachsen zunächst befremdlich. Die Autoren erklären die Feststellung damit, dass sie nicht die Handlungen, sondern die zugrunde liegenden Haltungen untersucht ha­ben. Für die möglichen Opfer des Rassismus ist freilich der Unterschied zwischen einer Einstellung und einer Handlung existenziell. Die Wahrscheinlichkeit, an einem brandenburgischen Baggersee von rechtsextremen Schlägern malträtiert zu werden, ist für Ausländer ungleich höher als zum Beispiel an einem See in Bayern – selbst wenn die Vorurteile in beiden Bundesländern in gleichem Maße verbreitet sind.
Tatsächlich lässt die Untersuchung keine Schlüsse über das mögliche Wahlverhalten zu. Es ist zwar naheliegend, dass sich die autoritären Persönlichkeiten von Roland Kochs rassistischem Wahlkampf in Hessen angesprochen und bestätigt fühlten. Dass aber auch die Linkspartei Wähler mit einem autoritären Weltbild anzieht, ist bekannt.
Seit Jahren betreiben auch die Sozialdemokraten den »positiven« Nationalismus, wie zum Beispiel der ehemalige Bundeskanzler Gerhard Schrö­der, der die Rede von der »selbstbewussten Nation« einführte. Dass nun ausgerechnet die der SPD nahestehende Friedrich-Ebert-Stiftung in einer Auftragsstudie vor den Folgen dieser Politik warnt, entbehrt nicht einer gewissen Ironie, zumal die »selbstbewusste Nation« auch während dieser Eu­ropameisterschaft rassistische Angriffe und Über­fälle zu verzeichnen hat.