Die ökonomische Verwertung des brasilianischen Regenwaldes

Viele Finger im Weihwasser

Die Abholzung des brasilianischen Regenwaldes hat sich immens beschleunigt. Ungeachtet ökologischer Bekenntnisse hat für die Regierung Lulas die ökonomi­sche Verwertung des Regenwaldes Vorrang.

Wenn es um den Schutz des tropischen Regenwaldes geht, möchte der brasilianische Präsident Luiz Inácio Lula da Silva sich von niemandem hineinreden lassen. Mit dem Wald sei es wie mit dem Weihwasser, »in das jeder glaubt, den Finger stecken zu müssen«, meinte er. Auch Kritik aus dem Kabinett ist unerwünscht, Mitte Mai trat Umweltministerin Marina da Silva nach zahlreichen Konflikten mit dem Präsidenten, unter anderem wegen des Baus von Staudämmen in Re­gen­waldgebieten, kurz vor dem Besuch Angela Merkels zurück. Die deutsche Kanzlerin nannte den Rücktritt ein »Warnzeichen« und versprach Lula, beim Schutz des Regenwaldes »partnerschaftlich« und »nicht bevormundend« vorzugehen.
Die Abholzung geht unterdessen weiter. Ein Anfang Juni veröffentlichter Bericht des Brazilian National Space Research Institute stellt fest, dass allein im April 1 123 Quadratkilometer Regenwald verschwanden. Warum und wie dies geschieht, dokumentiert ein am Montag veröffentlichtes Video. Es zeigt einen Angriff Bewaffneter auf ein Dorf der Makuxi im Bundesstaat Roraima, bei dem zehn Bewohner verletzt wurden. Der mutmaßliche Auftraggeber war der Großgrundbesitzer Paulo César Quartiero, auf dessen Anwesen die Polizei ein Waffenlager fand.

Der Aufstieg Brasiliens zu einem der führenden Agrarexportländer beruht nicht zuletzt auf der Tätigkeit von Männern wie Quartiero, die auch von einer Regierungspolitik profitieren, die in ihrem ehrgeizigen Wachstumsplan PAC (Jungle World 29/07) wenig Rücksicht auf ökologische Belange nimmt. Der chronische Finanzmangel des Umweltministeriums verhindert, dass die Gesetzgebung zum Schutz des Regenwaldes auch praktische Wirkung hat.
Auch der Konflikt in Roraima ist bezeichnend für die Politik Lulas, die der komplexen sozialen und ökologischen Situation in den Gebieten des tropischen Regenwaldes nicht gerecht wird. Im Jahr 2005 übertrug der brasilianische Präsident 270 000 Hektar des 1,8 Millionen Hektar großen Reservats per Dekret den fünf dort lebenden indigenen Gruppen. Absprachen mit den in der Region lebenden nicht indigenen Bevölkerungsgruppen gab es nicht, schnell brachen heftige Konflikte aus. Reisbauern, die teilweise seit 30 Jahren in dem Gebiet leben, wehrten sich gegen eine polizeilich erzwungene Umsiedlung. Sowohl den Antrag der fünf indigenen Gruppen, die ei­ne Beendigung der Zwangsumsiedlung forderten, um Konflikte zu vermeiden, als auch die Bitte der Reisbauern, das Ende der Ernte abzuwarten, lehnte das Institut für Landreform ab. Nachdem mindestens neun Indigenas ermordet worden waren, stoppte das Oberste Gericht schließlich die Operationen der Polizei, die warten soll, bis über die Klagen gegen die Enteignung entschieden wor­den ist.

Weniger einsatzfreudig ist die Polizei im Umgang mit Großgrundbesitzern, das Vorgehen gegen Quartiero war wohl vor allem der Lobbyarbeit diverser NGO zu verdanken. Bereits Anfang der siebziger Jahre förderte die damalige Militärregierung die Verwertung des Regenwaldes. Systematisch wurden dort Menschen angesiedelt, die den nationalen und internationalen Unterneh­men als billige Arbeitskräfte dienen sollten. Da sich das meiste Tropenholz und andere Ressourcen auf ihrem Gebiet befanden, wurden die meis­ten Indigenas von ihrem Land vertrieben.
Regierung und Geschäftswelt arbeiteten Hand in Hand. So kooperierte beispielsweise das Immobilienunternehmen Sinop S.A., das seit 1938 im amazonischen Bundesstaat Mato Grosso tätig war, mit der Militärregierung unter General João Batista Figueredo, einem Freund des Firmenchefs Enio Pepino, bei der Suche nach Landkäufern und Pächtern sowie der Ansiedlung von Unternehmen. Die Zusammenarbeit zwischen dem Staat und Großunternehmen kennzeichnet die wirtschaftliche Struktur der amazonischen Bundesstaaten. 1997 stammten 57 Prozent der Steuergelder des Bundesstaats Mato Grosso aus solchen Projekten.
Die Gouverneure dieser Bundesstaaten gehören deshalb zu den entschiedensten Gegnern ökologischer Schutzbestimmungen. So empörte sich Blairo Maggi, Gouverneur von Mato Grosso und Besitzer des Grupo Amaggi, eines der weltweit größten Sojaproduzenten, auf einer Konferenz in Itaúba gegen den neuen Umweltminister Carlos Minc. Minc hatte darauf hingewiesen, dass die Abholzung in Mato Grosso im letzten Vier­tel des Jahres 2007 um 60 Prozent gestiegen war. »Die Kritiker, die die Landwirtschaft kritisieren, vergessen, dass Lebensmittel nicht in den Supermarktregalen wachsen«, sagte Maggi. Obwohl Soja vor allem für den Export angebaut wird, sind viele Brasilianer angesichts des Anstiegs der Preise für Lebensmittel empfänglich für solche Argumente.

Seit 1970 ist in Brasilien ein Regenwaldgebiet von der Größe Frankreichs abgeholzt worden. Die Entwaldung war zwischen 2005 und Ende 2007 rückläufig, nahm dann jedoch abrupt zu. Genutzt werden abgeholzte Gebiete vor allem für die Rinderzucht und den Sojaanbau, doch auch der legale und illegale Handel mit Tropenholz ist profitabel, die Abholzung hat nach der Ansiedelung asiatischer Holzfirmen seit Mitte der neunziger Jahre zugenommen.
Auch der von Lula forcierte Anbau von Zuckerrohr für die Produktion von Biosprit trägt zur beschleunigten Abholzung bei. Die Forderungen der meisten NGO sind nicht sonderlich ambitioniert. Auf einer Konferenz von Umweltexperten in Berlin im Februar schlugen Paulo Moutinho vom Institut für Umweltforschung in Amazonien und Philip Fearnside vom Nationalen Institut für die Erforschung Amazoniens vor, den Schutz des Waldes in den internationalen Handel mit Kohlendioxid-Emissionspapieren zu integrieren. Christoph Bals von der NGO German Watch befürchtet hingegen, dass Konzerne und Industrienationen diese Möglichkeit nutzen werden, um die teuren Maßnahmen zur Verringerung des Koh­lendioxid­ausstoßes hinauszuschieben. Er schlug die Einrichtung eines Fonds zur Rettung des Regenwaldes vor.
Über die Beteiligung der Bevölkerung in den Regenwaldgebieten an Schutzmaßnahmen und eine Berücksichtigung ihrer Interessen wird nur selten debattiert. Merkel und Lula einigten sich auf ein Energieabkommen, das die Zusammenarbeit bei der »nachhaltigen« Nutzung von Biokraftstoffen vorsieht. Für Deutschland und andere europäische Importeure ist das die bequemste Lösung. Wenn der »partnerschaftliche« Schutz des Regenwaldes scheitert, kann man den uneinsichtigen Brasilianern die Schuld geben und durch die Subventionen für Biosprit dennoch die Nachfrage steigern.