Der tunesische Bürgerrechtler Tarek Ben Hiba im Gespräch über die Mittelmeerunion

»Die Deutschen haben die Mittelmeerunion inhaltsleer gemacht«

Kommenden Sonntag wird in Paris unter dem Vorsitz des französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy der Gründungsgipfel der »Uni­on für das Mittelmeer« abgehalten. Der Sitz dieser Union wird vor­aus­sicht­­lich in der tunesischen Hauptstadt Tunis sein. Der aus Tunesien stammende Tarek Ben Hiba ist Mitglied der in Paris ansässigen FTCR und seit 2004 Parlamentsangehöriger der Pariser Region Île-de-France. Er wurde als Parteiloser auf einer offenen Liste der fran­zösischen KP gewählt. Ben Hiba engagiert sich in zahlreichen Initiativen gegen Rassismus, für Bürgerrechte, internationale Solidarität und die Rechte von Einwanderern.

Sie gehören einer Vereinigung an, die für »Bür­gerrechte auf beiden Ufern des Mittelmeers« kämpft. Entspricht die geplante »Union für das Mittelmeer« Ihren Forderungen?
Nein. Würde es sich um eine wirkliche Union für das Mittelmeer handeln, dann wäre ich einverstanden, denn der Mittelmeerraum ist ein ge­schichts­trächtiges Territorium, in dem zahlreiche unterschiedliche Kulturen aufeinandergetroffen sind, von den Phöniziern über die Griechen und die Araber bis zu den Abendländern. In dieser Zone haben sich zahlreiche Tragödien abgespielt: Kriege, der Kampf um Reichtümer oder die Dramen der Haraga, wie die so genannten illegalen Auswanderer in Nordafrika genannt wer­­­­den. Der Boden des Mittelmeers ist ein Friedhof, denn unzählige Haraga bezahlten ihren Traum mit dem Leben. Es wäre also phantastisch, wenn für die Bewohner des Mittelmeerraums ein gemein­samer politischer Rahmen geschaffen werden würde.
Also nur Pluspunkte für Sarkozys Vorhaben?
Überhaupt nicht. Denn was da vorgeschlagen wird, hat gar nichts mit einer politischen Union für die Menschen im Mittelmeerraum zu tun. Zunächst einmal handelt es sich bei dem, was am kommen­den Wochenende in Paris stattfindet, um eine reine PR-Veranstaltung. Zuvor haben die anderen EU-Länder und insbesondere die Deutschen die anfänglich proklamierten politischen Ambitionen der Mittelmeerunion bekämpft und damit inhaltsleer gemacht. Der Grund dafür war, dass Sar­kozy alleine tätig werden und auf die Interessen seiner Verbündeten nicht genügend Rücksicht neh­men wollte. Deutschland war gegen das ursprüng­lich formulierte Projekt und hat eine Neuausrichtung erreicht, Spanien steht noch immer im Konflikt mit Frankreich.
Glauben Sie, unabhängig davon, wie die Mittelmeerunion ursprünglich geplant war und was heute noch davon übrig ist, dass dennoch eine politische Annäherung zwischen den Ländern am Nord- und am Südrand des Mittelmeers stattfindet?
Das, was Sarkozy vorschlägt, ist ein rein zwischen­staatliches Forum. Es ist keinerlei Raum für Bürger­rechtsbewegungen, Gewerkschaften, soziale Bewegungen oder kritische Diskussionen vor­ge­sehen. Insofern ist das Projekt noch schlechter als der so genannte EuroMed-Dialog, den die EU im November 1995 in Barcelona begann und der zum Abschluss bilateraler Abkommen mit den Staa­­ten im Osten und Süden des Mittelmeers füh­ren sollte. Im Rahmen des so genannten Barcelona-Prozesses war immerhin noch offiziell vorgesehen, dass auch Nichtregierungsorganisationen aus dem Süden ihre Anliegen vortragen sollten. Das hatte zwar in der Praxis keinerlei Konsequen­zen, es blieb bei Versprechungen. Aber die NGO und die Zivilgesellschaft waren dadurch bislang immerhin noch als Gesprächspartner anerkannt.
Die jetzigen Gesprächspartner Frankreichs und der Europäischen Union sind ausschließlich die Regierungen und Regimes, von denen ein Groß­teil autoritär geführt wird: Ben Ali in Tunesien, Mubarak in Ägypten, Assad in Syrien, Ghaddafi in Libyen.
Ghaddafi scheint ja nun definitiv nicht zum Grün­dungsgipfel zu kommen.
Richtig. Aber er wurde und wird von Frankreichs Staatsspitze bis zuletzt umworben, auch wenn er nun eine Absage erteilt hat. Und wenn wir einen Blick auf den Inhalt der politischen Vorhaben werfen, die Präsident Sarkozy für die »Union für das Mittelmeer« in Aussicht gestellt hat, sehen wir Folgendes: Konkret sind vier relativ kleine Pro­jekte vorgesehen. Das erste ist etwa die Säuberung des Mittelmeers von Umweltgiften. Ein nobles und richtiges Vorhaben, aber bislang ist keinerlei Haushalt dafür vorgestellt worden. Es wird lediglich ein Wille geäußert, aber zum jet­zigen Zeitpunkt sind keine konkreten Mittel dafür eingeplant.
Gleichzeitig enthält das Projekt der »Union für das Mittelmeer« keinen Ansatz, um die großen politischen Probleme zu lösen. So sind beispielsweise die Besetzung der palästinensischen Gebiete und die Siedlungspolitik Israels nach wie vor ungelöst. Wir von der FTCR sind der Auffassung, dass der Staat Israel erst dann an einer politischen Union teilnehmen darf, wenn auch die palästinensische Bevölkerung über ihr Schick­sal bestimmen kann und über einen lebensfähigen Staat verfügt. Sarkozy favorisiert die umgekehrte Methode: Auf zwischenstaatlicher Ebene sollen der Staat Israel und die autoritären ara­bischen Regimes im Rahmen der Institution der neuen Union näher zusammenrücken. Die je­weiligen Be­wohner werden nicht nach ihrer Meinung gefragt. Sie dürfen ihre Vorstellungen und Bedürfnisse nicht äußern.
Der Sitz der »Union für das Mittelmeer« soll, so wird vermutet, in Tunis angesiedelt werden. Was halten Sie als Vertreter einer französisch-tunesischen Vereinigung davon?
Bislang ist es noch spekulativ, sich zu den Fragen der Aufteilung der künftigen Posten in der neuen Union zu äußern. Um sich die Unterstützung der Staaten für sein Projekt zu sichern, ist Sarkozy dabei, an den einen oder den anderen eifrig Zuckerstücke zu verteilen. Zu welchem Kom­­promiss das am Ende zwischen den unterschiedlichen staatlichen Interessen führt, bleibt abzuwarten.
Aber falls der Sitz tatsächlich in Tunis angesiedelt wird, dann sollte man sich klar machen, dass er in einem Land wäre, das polizeistaatlich regiert wird und in dem es keine auch nur ansatzweise vorhandene Presse- und Informationsfreiheit gibt. In Tunesien wird selbst das Internet zensiert. Das tunesische Regime zählt zu den repressivsten im ganzen Mittelmeerraum, auch wenn es unspektakulär auftritt und keine Ideologie proklamiert. So ist das Regime derzeit dabei, der tunesischen Liga für Menschenrechte (LTDH) nach achtjährigen zähen Auseinandersetzungen und Prozessen endgültig den Garaus zu machen. Präsident Ben Ali versucht, noch vor der kommenden Präsidentschaftswahl 2009 erneut eine von zahlreichen Verfassungsänderungen zu seinen Gunsten durchzupeitschen; dieses Mal, um den einzigen aussichtsreichen Be­wer­ber der legalen und demokratischen Opposition, Nadjib Chebbi, durch neue formale Anforderungen an einer Kandidatur zu hindern. Diese politischen Verhältnisse würden es kaum zulassen, dass die Institution einer solchen Mittelmeerunion in Tunis die Forderungen des demokratischen Teils der tunesischen Gesellschaft zur Kenntnis nimmt, da Äußerungen demokratischer Bewegungen von staatlicher Seite im Keim erstickt werden.
Was wäre aus Ihrer Sicht eine Alternative zu der derzeit geplanten »Union für das Mittelmeer«?
Von der französischen EU-Ratspräsidentschaft erwarte ich zunächst einmal überhaupt nichts. Eher noch haben die nordeuropäischen Staaten für die Anliegen der Zivilgesellschaft ein offenes Ohr. Ansonsten hofften wir darauf, dass Gewerkschaften, soziale Initiativen und Menschenrechtsverteidiger auf beiden Seiten des Mittelmeers laut für ihre Forderungen eintreten und miteinander kommunizieren. In Tunesien gibt es etwa eine soziale Revolte im Bergbaugebiet von Gafsa, die seit Januar dieses Jahres andauert. Es ist eine Bewegung gegen die mafiöse Einstellungspraxis in den Phosphatbergwerken, für bessere Lebensbedingungen und für die Würde der Menschen und stellt eine soziale Bewegung völlig neuen Typs dar, wie wir sie bisher nicht ge­kannt haben. Es ist weder ein klassischer, von Gewerkschaften angeführter Arbeitskampf noch ein Aufstand, der innerhalb weniger Tage zusammenbricht. Die Leute in dem Bergbaugebiet haben ihr Schicksal in die eigene Hand genommen, und obwohl ihre Bewegung harter Repression ausgesetzt ist, haben die Machthaber sie nicht niederschlagen können. Hinzu kommt, dass der Protest viel Solidarität in Paris, Nantes und anderen französischen Städten erfahren hat, in denen viele Tunesier aus der Region von Gafsa leben. Unsere Hoffnung liegt in solchen Ansätzen.