Serie über Serien: »Pete & Pete«

Eine ganz normale Jugend

Serie über Serien. Jonas Engelmann ist in der traurigsten Provinz aufgewachsen, zum Glück gab es »Pete & Pete«

In einem Dorf von 300 Einwohnern die Jugend verbringen zu müssen, kann mitunter die Hölle sein. Man lebt vor sich hin, langweilt sich und beginnt mit Glück irgendwann später, auf Konzerte zu trampen und Fanzines mit skurrilen Inhalten zu produzieren.
Mitte der Neunziger, pünktlich zur schlimmsten Zeit meiner Jugend, hat der Kabelsender Nickelo­deon, bevor er einging, um viele Jahre später wieder aufzuerstehen, die Serie »Pete & Pete« (im Original: »The Adventures of Pete & Pete«) ausgestrahlt, wahrschein­lich das Beste, was das Kabel in mein Dorf gebracht hat. Auf den ersten Blick entsteht vielleicht der Eindruck, es handele sich um eine weitere dieser Neunziger-Jahre-Serien über das Erwachsenwerden – »Wunderbare Jahre«, »Willkommen im Leben« und wie sie alle hießen –, aber »Pete & Pete« war immer etwas anderes und etwas Besonderes. Sowohl Parodie auf diese Form von Wohl­fühlerwachsenwerden samt Pro­blemen, die immer irgendwie gelöst werden, als auch Ausdruck der Ödnis von Jugend in einem amerikanischen Kleinstadt-Vorort namens Wellsville.
Die beiden Brüder Pete und Pete Wrigley sind zu Beginn der ersten Staffel etwa zehn und 14 Jahre alt, warum sie denselben Vornamen tragen, wird niemals aufgeklärt. Der Jüngere besitzt immer­hin zwei Tätowierungen, der Ältere ist der reflektierende Erzähler der Serie, und gemeinsam haben zwar auch sie mit den üblichen Problemen Pu­bertierender zu kämpfen, aber sie finden genug Absurdität in ihren Rollen, um über die üblichen Klischees hinauszuwachsen.
Ausgangspunkt der einzelnen Folgen ist meist ein alltägliches Ereignis – der Schulausflug, Halloween oder die Zeitumstellung –, das nach wenigen Minuten ins Surreale gleitet und etwas ganz anderes mit der Handlung macht, als man es von solchen Serien erwartet. Sei es, dass der jüngere Pete das Haus seiner Eltern verkauft, während diese im Urlaub sind, oder mit dem Rasenmähertraktor nach Kanada zu fliehen versucht, um dem Ordnungsfanatismus seines Vaters zu entkommen.
Im Hintergrund läuft bei »Pete & Pete« meist ein Song von den Magnetic Fields oder Ähnliches, und der wahrscheinlich einzige Superheld mit dicker Hornbrille –Artie, der stärkste Mann der Welt – taucht immer mal wieder auf, um die Kleinstadtidylle noch mehr ins Chaos zu stürzen. Steve Buscemi und Iggy Pop spielten die Nach­barn der Gebrüder, Debbie Harry, L L Cool J, Gordon Gano, Michael Stipe und sogar Hunter S. Thompson hatten Gastauftritte.
Zentral ist immer der Kampf der Kinder und Jugendlichen gegen die Welt der Erwachsenen, den Pete und Pete mit ihren Freundinnen Nona, Ellen, Monica oder – unvergessen – Wayne Pardue zu führen haben. Im Kampf gegen die Internationale Erwachsenenverschwörung, wie der jüngere Pete es nennt, bleibt er in einer Episode elf Tage am Stück wach, um damit gegen die faschistischen Zubettgehzeiten zu demonstrieren, die seine Eltern für ihn vorgesehen haben. Alltag also, irgendwie, aber doch nicht mit der scheinbaren Schwere anderer Serien und vor allem ohne Moral. Das Leben ist absurd.
Glücklicherweise kam damals mit dem Kabelfernsehen auch ein Videorecorder ins Eltern­haus, so dass sich zumindest ein Teil der Serie in von Jahr zu Jahr schlechter werdender Qualität erhalten hat. Denn auf DVD ist »Pete & Pete« in Deutschland leider nie erschienen.