Unbezahlbare Energie

Keine Kohle für Strom

Nicht nur die drastisch steigenden Rohstoff­kosten machen den Strom in Deutschland so kostspielig. Politik und Konzerne schieben sich gegenseitig die Verantwortung zu. Unterdessen können immer mehr Haushalte die hohen Energiepreise nicht mehr bezahlen.

Äußerlich macht sie nicht viel her. Dennoch gilt sie als Synonym für bares Geld, neben Wörtern wie »Zaster«, »Moneten« und »Schotter«. Spätestens nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die Kohle zum Gold der einfachen Leute, als sie zeitweise zur Ersatzwährung wurde. Brachte die Kohle in der Zeit der Industrialisierung Wachstum und zumindest für einige Wohlstand, lässt sie heute die Politik und die Verbraucher verzweifeln. Denn die Kohle, die in deutschen Kraftwerken nach wie vor bevorzugt verbrannt wird, ist wieder viel wert – zu viel. Und nicht nur sie. Auch Öl und Gas haben sich längst von allen Preisvorhersagen selbstständig gemacht. Die Rohstoffpreise erreichen eine Rekordmarke nach der nächsten.
Seit dem Jahr 2000 ist die durchschnittliche Stromrechnung für einen Drei-Personen-Haushalt dem Energieverband BDEW zufolge um über 20 Euro gestiegen und liegt heute bei 62,50 Euro. Allein Anfang Juli haben viele Unternehmen ihre Preise noch mal um im Schnitt 5,2 Prozent erhöht. Noch höher steigt der Gaspreis. Teilweise 31 Prozent schlugen die Energieanbieter jüngst drauf. Beim Preisanstieg gibt das Öl den Ton an. Nicht nur das Erdgas ist an dessen Preis gekoppelt, auch die Kohle wird nach einiger Zeit teurer, wenn der Ölpreis steigt. Und der steigt derzeit beträchtlich. Es reicht schon ein Nebensatz des iranischen Ölministers über das heimische Atomprogramm, um den Preis nach oben zu treiben.

In Deutschland bekommen die Verbraucher das besonders stark zu spüren. Nur in wenigen Ländern der Europäischen Union ist der Strom noch teurer. Die Politik hat die Hoffnung auf sinkende Preise anscheinend aufgegeben. Um die Ursachen der Entwicklung geht es in den Lösungsvorschlägen derzeit kaum noch, stattdessen rufen viele nach Sozialtarifen, damit zumindest ein Teil der Geringverdiener seine Stromrechnung bezahlen kann. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso, Bundesumweltminister Sigmar Gabriel (SPD) und Politiker der Linkspartei haben sich in den vergangenen Tagen dafür eingesetzt. »In einem so reichen Land wie Deutschland darf es keine Energie- oder Brennstoffarmut geben«, sagte Gabriel bereits im Januar und forderte die Anbieter auf, über vergünstigte Verträge für Strom und Gas nachzudenken. SPD und Linkspartei arbeiten auf Bundesebene derzeit an konkreten Vorschlägen. Solche Vorhaben resultieren nicht nur aus der Einsicht, dass man inzwischen hervorragend Wahlkampf mit dem Thema Energie machen kann. In anderen Ländern wie Frankreich, Belgien und Großbritannien gibt es solche günstigen Tarife schon heute.
Von 1991 bis 2005 sind die Ausgaben der deutschen Haushalte für Energie um fast 60 Prozent gestiegen. Für viele ist die finanzielle Grenze bei Strom und Wärme längst überschritten. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen schätzt, dass jährlich 800 000 Haushalten der Stromanschluss gesperrt wird. Der größte deutsche Stromanbieter Eon bietet bereits einen Sozialrabatt an, den Kunden nutzen dürfen, die von den Rundfunkgebühren befreit sind. Davon profitiert heute jedoch nur ein kleiner Teil der Stromverbraucher. 30 000 Kunden nutzen den Eon-Sondertarif, also noch nicht einmal vier Prozent der Haushalte, die damit womöglich eine Stromsperre umgehen können.
Nicht nur von erwartbarer Seite wie der CDU und der FDP kommt Kritik an der Idee, noch mehr Sozialtarife einzuführen. Die Grünen lehnen eine Subventionierung der Energie ab. Stattdessen müsse sparsamer mit Energie umgegangen werden. Selbst einige Verbraucherschützer bezweifeln den Nutzen solcher Sonderangebote. »Es ist fraglich, ob Sozialtarife Sinn machen, vor allem, wenn sie nicht allen Bedürftigen zur Verfügung stehen«, sagt Thorsten Kasper, Energiereferent des Bundesverbands der Verbraucherzentralen. Lieber wären ihm Energiesparfonds, die Konsumenten beim Stromsparen helfen, zum Beispiel indem sie effizientere Kühlschränke spendieren. Ein »ALG II-Tarif« würde Arbeitslose nur noch stärker gesellschaftlich stigmatisieren, sagt Kasper.

Doch selbst wenn Strom für Bedürftige bereitgestellt würde, an den horrenden Energiepreisen würde das nicht viel ändern. Womöglich könnten die Energieunternehmen das, was sie an den Bedürftigen weniger verdienen, sogar auf die regulären Preise draufschlagen.
Nicht nur die drastisch steigenden Rohstoffkosten, die insbesondere durch die zunehmende Energienachfrage vor allem in Asien angetrieben werden, machen den Strom in Deutschland so kostspielig. Auch die Politik ist Teil des Problems. Eigentlich wollte die nämlich längst für günstige Energie gesorgt haben. 1998 wurde der deutsche Strommarkt liberalisiert, kurz darauf der Gasmarkt – zumindest offiziell. Das Ergebnis ist: »Wir haben weniger Wettbewerb und gestiegene Strompreise.« So urteilte Claudia Kemfert, Energieexpertin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Mit dieser Einschätzung ist sie nicht allein.
Vier Großkonzerne betreiben heute die Stromerzeugung und die -netze. Auch der Gasmarkt wird von wenigen Großanbietern beherrscht, vorneweg Eon-Ruhrgas. Bei Strom und Gas herrscht also ein faktisches Oligopol. Sonderlich überrascht hat es daher nicht, als Anfang vergangenen Jahres durch öffentlich gewordene geheime Handelsdaten erstmals der Verdacht der Preisabsprache an der Leipziger Strombörse erhärtet wurde, welche die verdächtigten Unternehmen mit wenig Erfolg hartnäckig bestritten.
Die Europäische Union führt Kartellverfahren unter anderem gegen RWE und Eon. Als marktbeherrschend gelten ihr die Unternehmen vor allem, weil sie den größten Teil der deutschen Versorgungsnetze besitzen und somit die Durchleitungspreise für die Konkurrenz bestimmen. Beobachter werten es als Schuldeingeständnis, dass beide Konzerne vor kurzem angekündigt haben, Teile ihrer Versorgungsnetze verkaufen zu wollen. Auch das deutsche Kartellamt beobachtet die Energiekonzerne. Bei einer Durchsuchung gemein­sam mit der EU-Kommission im Jahr 2006 wurden dem Kartellamtspräsidenten Bernhard Heitzer zufolge Belege für Absprachen entdeckt. Außerdem haben die deutschen Wettbewerbshüter die mehrfach beantragte Erhöhung der Durchleitungsgebühren gering gehalten.
Solange sich aber an der Marktaufteilung nichts ändert, werden die Energiepreise hoch bleiben. Hans-Kurt Hill, energiepolitischer Sprecher der Bundestagsfraktion der Linkspartei, hält die Liberalisierung ohnehin für einen Fehler: »Dadurch werden die Strom- und Gaspreise weiterhin unkontrolliert steigen.« Weil der Staat heute kaum noch Kontrollmöglichkeiten bei den Strompreisen habe, brauche es wieder eine Genehmigungspflicht der Strom- und Gaspreise in den Ländern. Die ist vor einem Jahr abgeschafft worden. Die Regierungsparteien sind davon ausgegangen, dass die Aufsicht auf einem freien Markt keinen Sinn mehr habe. Seitdem müssen die Strom- genauso wie die Gaspreise nur noch vor den Kartellwächtern gerechtfertigt werden, wenn sie eine Veränderung von zehn Prozent oder mehr im Vergleich zum Durchschnittspreis ausmachen, kritisiert Hill. Und so bleibt der Politik nichts anderes mehr übrig, als die bösen Stromkonzerne verantwortlich zu machen, wenn die nächste Preiserhöhung ansteht.

Die Konzerne kontern, in Wirklichkeit sei der Staat schuld an den hohen Preisen. 40 Prozent der Stromrechnung kämen durch Vorgaben wie die Ökosteuer und Umlagen etwa für die erneuerbaren Energien zustande. »Der Staat hat die Strompreiserhöhungen bei den Privatkunden zu 100 Prozent verursacht«, echauffierte sich Konzernmanager Utz Claasen von EnBW in einem Interview mit der FAZ. Eine zumindest umstrittene These. Eine Studie in Auftrag des Industrieverbands VIK von Anfang 2007 ergab, dass die Energie-Handelspreise auch wegen der Marktmacht der Konzerne in Deutschland deutlich erhöht sind, um teilweise über 30 Prozent.
Im vergangenen Jahr verkündeten Eon, RWE, Vattenfall und EnBW erneut Milliardengewinne. An ihren abgeschriebenen Kohle- und Atomkraftwerken verdienen die Unternehmen besonders gut. Mit einem Atommeiler verdient nach Angaben von Uwe Leprich von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Saarbrücken der Betreiber täglich bis 1,5 Millionen Euro. »Das sollte man abschöpfen«, fordert der Energieexperte. Auch was die Netzdurchleitungsgebühren angeht.
Um sich von den Großanbietern unabhängiger zu machen, müssten die Bürger und Kommunen ihren Strom zunehmend selbst, also dezentral, erzeugen, fordert Hill von der Linkspartei. Das wünschen sich auch die Grünen. Ähnlich argumen­tieren die Globalisierungskritiker von Attac, die sich zudem für eine Enteignung und demokratische Kontrolle der Konzerne einsetzen. Bis diese ein Einsehen haben und sich zerlegen lassen, dürf­ten jedoch noch viele Preiserhöhungen anstehen. Zwar werden die Konzerne vom Kartellamt be­obachtet, komplette Transparenz fehlt aber nach wie vor, vor allem an der Strombörse. Weil die Rohstoffpreise zudem wohl noch weiter steigen werden, raten alle Experten den Vebrauchern zunächst mal eines: Energie sparen.