Ein Gespräch mit dem Musikjournalisten Boris Fust über dessen ersten Roman

»Ich bin auch früher besoffen mit dem Taxi gefahren, nur dass ich heute dafür arbeiten muss«

Der in Berlin lebende Musikjournalist Boris Fust hat seinen ersten Roman geschrieben. »Zwölf Stunden sind kein Tag« wird vom Verlag als »Praktikantenroman« verkauft. Im Grunde ist das Buch aber eine real-satirische Erzählung über das sinnentleerte Arbeitsleben in Agenturen

Sie arbeiten hauptberuflich beim Intro-­Verlag. Was genau ist dort Ihre Funktion?
Schwer zu sagen. In meinem Arbeitsvertrag steht Texter & Konzepter. Dahinter verbirgt sich ganz komisches Markenzeugs-Getexte, Consulting usw. Das darf aber keiner wissen – es schädigt unsere Credibility.
Wie sind Sie auf das Praktikantenthema gestoßen? Haben Sie selbst bei der »Intro« als Praktikant angefangen?
Nein, ich habe mir ganz einfach überlegt: Was kann ich als Journalist überhaupt in Romanform glaubwürdig schreiben? Es wäre beispielsweise schwierig, eine Geschichte in Somalia anzusiedeln, ohne dort entsprechend zwei Jahre recherchiert zu haben. Die Arbeit als Praktikant muss man nicht zwangsläufig selber erlebt haben, die Rolle ist aber prototypisch für eine klassische Loser-Geschichte. Es hätte aber auch genauso gut ein Fahrradkurier sein können.
Wie lange haben Sie an dem Roman gearbeitet?
Schwer zu sagen. Es gab zuerst ein Exposé zur Buchmesse im Frühjahr 2007. Dann tat sich eine ganze Zeit lang gar nichts, schließlich signa­lisierte der Piper-Verlag Interesse, darauf passierte aber auch erst mal wieder nichts. Im Win­ter habe ich den Roman schließlich fertig geschrieben.
Es ist völlig schockierend, wie langsam Verlage arbeiten. Da kommt es tatsächlich vor, dass jemand keine Zeit hat, etwas zu lesen, weil er ein halbes Jahr im Urlaub war und danach erst mal sein liegengebliebenes Süddeutsche-Zeitungs-Abo durcharbeiten muss.
Sind die Figuren in dem Roman von Ihrem Freundes- und Bekanntenkreis inspiriert?
Nein, man wird ein paar Orte hier in Berlin wiederfinden, aber die Figuren sind erfunden. Natürlich gibt es ein, zwei Sätze, die nicht von mir sind. Worte, die ich abends irgendwo aufgeschnappt habe. Ich besitze so ein komisches Sketchbook, in das solche Sätze reinkommen. Darum baut man schon mal ein ganzes Kapitel.
Die Berliner Zeitung hat Sie neulich augenzwinkernd in die Schublade der Popliteraten gepackt.
Dieser Begriff ist einfach in der Welt. So lange man sich als Musikjournalist ins Romanfach bewegt, wird man ihn auch nicht los. Man kann nichts dagegen tun. Allerdings wird man für die 18- bis 20jährigen von heute bestimmt bald eine neue Schublade aufmachen.
So lange unsere Generation aber bei Pop­literatur noch zugreift …
Klar, jetzt kommt ja erst mal eine ganze Reihe Charlotte-Roche-Spin-Offs.
Ich habe mich für die Popliteratur von Kracht & Co. nie wirklich interessiert.
Bei Kracht haben die Leute einfach das Problem, dass er »Faserland« geschrieben hat, ein Buch, in dem einfach zu oft das Wort Sylt vorkommt und in dem alle Figuren wahnsinnig unsym­pathisch sind. Dann hat die Person Kracht selbst noch so einen komischen Habitus: Prokurist im Springer-Verlag usw. Ich finde Kracht aber super.
Das Praktikantenthema ist seit Jahren ein Dauerlutscher. Hat der Praktikant überhaupt noch eine Zukunft?
Ich glaube, man merkt mittlerweile, dass die Praktikanten doch teurer sind, als man dachte. Natürlich sieht das erst mal günstig aus. Man hat aber eine sehr hohe Fluktuation und vermit­telt Wissen, das dann in die Welt hinausgetragen wird. Wenn man das mal vernünftig betriebs­wirtschaftlich durchrechnet, stellt man fest, dass eine 20-Stunden-Kraft in Festanstellung für die Firmen rentabler ist. Deswegen werden Praktikantenstellen auch stärker nachgefragt als angeboten. Aber es gibt sie natürlich: die Praktikanten-Karriere.
Sie meinen die so genannten Berufs-Quereinsteiger?
Klar. Ich habe ja auch allen möglichen Scheiß studiert. Mir ist irgendwann – während des Stu­diums der Musikwissenschaften und der Linguistik – aufgefallen, dass ich den Beruf, auf den ich hinstudiere – also den des Musikjournalisten –, bereits ausübte. Das Studium kam mir nur noch albern vor. Ich musste mich nur mit der Realität abfinden, dass ich jetzt »nichts Tolles« mehr bei einer Versicherung werde. Oder beim Goethe-Institut.
Viele werden ja erst zufrieden, wenn sie ihr Berufsleben von Sinn und einer möglichen Karriere abkoppeln.
Menschen gehen ja auch arbeiten, weil sie denken, »dann kann ich viel verreisen«. So etwas ist ein typisches Büroschicksal. Natürlich: Man lebt auf einem hohen Niveau – Zentralheizung statt Kohleofen. Nur irgendwann stellt man fest: »Ich bin auch früher besoffen mit dem Taxi gefahren, nur dass ich heute dafür arbeiten muss.«
Haben Sie nie so etwas wie beruflichen Ehrgeiz gespürt?
Ich war auf einem guten Gymnasium und stam­me aus der Mittelschicht. Deshalb bin ich mit dem komischen, realitätsfernen Bewusstsein ausgestattet, dass ja eigentlich nichts passieren kann. Es kann im Grunde natürlich schon eine ganze Menge passieren, aber es interessiert mich nicht.
Es ging mir im Leben schon immer darum, bestimmte Berufe zu vermeiden. Dafür zu sorgen, bestimmte Anzüge nicht zu tragen, auch wenn ich das privat mittlerweile sehr gerne tue. Arbeit ist halt scheiße. Was ich jetzt mache, ist ein Kompromiss, allerdings einer, der die Maximalforderungen, die ich immer hatte, einlöst: Ich darf bei der Arbeit rauchen, mittags kann ich ein Bier trinken, wenn ich unbedingt möchte, und – man kann abends lange aufbleiben.
Ist Ihr Romandebüt also nur eine weitere Arbeitsvermeidungsmaßnahme?
Nun ja, es waren 400 000 Zeichen. Das ist keine ernstzunehmende Arbeitsverweigerungsmaßnahme. Man will ja vielleicht auch noch mal ein zweites Buch schreiben. Es ist ja eher so, dass hier Arbeit auf Arbeit folgt, möglicherweise bis an einen Punkt, wo man nicht mehr arbeiten muss.
Ganz besonders gelungen in Ihrem Roman finde ich die Idee des »Solaris-Projekts«. Ein fabelhafter, satirischer Umgang mit Hippie- und Esoterikhalbwissen.
Das ist mir komischerweise in das Buch hineingerutscht. Es war nicht geplant. Ich weiß auch gar nicht, warum. Ich hatte es irgendwann am Hals. Es wurde ja dann auch zum Hauptthema und hörte einfach nicht mehr auf. Ja, dieses Rein­steigern. Es wurde immer schlimmer …
Der Themenpark Esoterik erfährt ja auch keine natürlichen Begrenzungen.
Ja, und ich musste die Praktikanten-Protagonisten ja aus diesem Office-Scheiß herausbekom­men. Ich meine: Immer wieder die gleichen Fragen: Wie sieht es jetzt aus im Büro. Ja, wie ist es denn im Büro? Das kann man sich ja denken, wie es im Büro ist. Wobei es auch sehr schön ist, die sinnlosen Tätigkeiten, die bei der Büroarbeit täglich anfallen, detailliert zu beschreiben: Telefon, E-Mail, Fax.
Mir kommt es gerade so vor, als würden die Unternehmen auf dem freien Markt sich dank der EDV immer mehr zu Beamtenstuben ent­wickeln, während die Ämter gerade versuchen, sich ein cooles Dienstleistungs-Image zuzu­legen.
Ich habe eher den Eindruck, dass sich beispielsweise Telekommunikationsunternehmen vom Umgang her in Musikmagazine verwandeln. Da wird man in der ersten E-Mail noch mit »Sie« angeredet, in der zweiten fehlt die Anrede bereits komplett – man ist also kommentarlos beim »Du« –, dann bald überhaupt keine Zeichensetzung mehr, und in der vierten Mail werden einem ungefragt irgendwelche MySpace-Links zugeschickt.
Eine große Kommunikationsparty.
Ja, aber vermutlich liegt es gerade einfach an der Generation der Baby-Boomer in den Führungsetagen. Die praktizieren diesen Umgang ja so.
So wie in Ihrem Roman das Beispiel mit der ukrainischen MySpace-Metal-Band Mobserv, die den gleichen Namen trägt wie die Agentur. Der Mobserv-Chef gibt seinen Praktikanten den Auftrag, diesen MySpace-Account quasi zurückzugewinnen. Wie sich später im Roman herausstellt: eine unmögliche Mission.
Mobserv und Solaris wird es ja bald wirklich geben: Ich habe mit alten Musikfreunden das ­Album zum Buch aufgenommen, welches im September erscheint. Auch für die esoterische Entspannungsmusik, wie sie im Roman die Firma Mobserv später in dem Projekt Solaris herstellt, konnte ich tatsächlich eine Plattenfirma finden. Das soll sogar eine ganze Reihe werden!
Da muss ich an den Esoterikmusiker Oliver Shanti denken. Klingt Ihre Solaris-Musik genauso schlimm?
Ja, aber die Reihe soll schon mit einem gewissen Kunstanspruch produziert werden, also Documenta-Projekt-tauglich. Andererseits soll sie natürlich schon in dem Segment Entspannungsmusik von den Hörern als solche missver­standen werden. Es geht um »die härteste Entspannungsmusik der Welt«.
Zurück zum fake-ukrainischen Heavy-Metal: Was darf man demnächst zur Plattenveröffent­lichung erwarten? Eine Lesereise mit Livekonzert?
Das ist gerade die Frage: Ich bin 34 Jahre alt. Jetzt noch mal wieder damit anzufangen, Frikadellen an Autorasten in mich reinzuschlingen? Das habe ich damals als Schlagzeuger einer Punk­band schon mal gemacht. Ich fand das sehr anstrengend. Mein Mitgefühl gilt noch heute Bands, die auf Tour sind. Dann schon eher eine klassische Lesereise mit dem ICE. Ich hätte aber schon Lust, mit Mobserv ein paar Gigs zu spielen, wobei Mobserv keine richtige Metalband ge­worden ist. Eher Rock. Es tauchte irgendwann beim Produzieren die Frage auf, wie ernst wir das mit dem ukrainischen Metal nehmen. Leider lautet meine Antwort auf diese Frage: »Egal.«