Interview mit Mohammed Saif-Alden Wattad über das Selbstverständnis arabischer Israelis im jüdischen Staat Israel

»Manchmal arbeitet die Zeit gegen uns«

Zehntausende Palästinenser kommen täglich mit einer Arbeitserlaubnis in den jüdischen Teil Jerusalems. Am 2. Juli tötete dort ein Palästinenser mit einem Bagger drei Menschen, 45 weitere wurden verletzt. Vorige Woche kam es zu einer fast identischen Attacke, bei der 16 Menschen verletzt wurden. Über das Zusammenleben von Arabern und Juden in Israel wird nicht nur wegen der Attentate immer wieder diskutiert, sondern auch, weil die Konstitution Israels als »jüdischer Staat« in den Nahost-Verhandlungen eine große Rolle spielt, vor allem bei der Frage nach dem so genannten Rückkehrrecht palästinensischer Flüchtlinge. Beim Gipfel der Mittelmeer-Union Mitte Juli in Paris musste die Schluss­erklärung um­geschrieben werden, weil die palästinensische Delegation das Wort »Nationalstaat« für Israel nicht gelten lassen wollte. Dr. Mohammed Saif-Alden Wat­tad ist arabischer Israeli und derzeit Visiting Scholar am Max-Planck-Institut für Ausländisches und Internationales Straf­recht in Freiburg.

Warum leben Sie als Araber gerne in Israel?
Ich mag Israel, weil hier das rechtsstaatliche Prinzip einen hohen Stellenwert hat und weil Meinungsfreiheit und Menschenrechte eine große Rolle spielen. Israel hat zwar eine blutige Entstehungsgeschichte, aber es hat in 60 Jahren erreicht, was viele westliche und aufgeklärte europäische Länder in mehreren hundert Jahren nicht geschafft haben. Dank unseres Obersten Gerichtshofs können wir sagen: Die israelischen Soldaten halten zwar ein Gewehr in der Hand, dafür tragen sie auf ihrem Rücken immer einen riesigen Rucksack mit Menschenrechten.
Warum ist es für Sie als arabischer Israeli wichtig, den Staat Israel zu verteidigen?
Ich mache das, weil es viele populistische Stimmen gibt, die ein falsches Bild von Israel wiedergeben und behaupten, Israel sei ein Apartheidstaat. Wie jedes Land hat Israel seine positiven und seine negativen Seiten. Aber wer Israel beschreiben will, sollte über alle Aspekte reden, nicht nur über die, die einem gelegen kommen.
Eine der negativen Seiten ist anti-arabischer Rassismus. Wie geht der Staat damit um?
Es gab Phasen, in denen eine diskriminierende Politik gegenüber den Arabern in der Regierungsarbeit erkennbar war, aber das hat sich geändert. Es ist ja nicht so, dass im Alltag nur Araber diskriminiert werden; es gibt Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Religion, Hautfarbe, Alter, sexueller Orientierung. Aber eines stimmt definitiv nicht, und zwar, dass es in Israel Apartheid gäbe. Arabische Israelis arbeiten im Parlament und in Parteien, dazu hat insbesondere der Oberste Gerichtshof beigetragen und den Menschen zu ihrem Recht verholfen. Trotzdem kommt es leider im alltäglichen Zusammenleben immer noch zu Diskriminierungen.
Werden in der israelischen Öffentlichkeit diskriminierende Identitätszuschreibungen problematisiert?
Natürlich sprechen die Leute darüber, es ist eigentlich das Tagesthema, insbesondere bei Arabern, die über Diskriminierung reden. Aber auch Lesben und Schwule sind ständig damit konfrontiert, genauso wie Frauen oder ältere Leute. Man kann nur hoffen, dass die Bemühungen der offiziellen Seite von noch mehr Menschen aufgegriffen werden, die dazu ermutigt werden, offen über Diskriminierung zu reden.
Ist das angesichts der ständigen terroristischen Bedrohung nicht ein wenig optimistisch gedacht?
Ja, ich bin ein Optimist. Und ich denke, das ist wichtig. Nur zu jammern, hilft nichts, wir müssen reden, diskutieren, verhandeln und das Beste hoffen. Und das ist Arbeit.
Stehen Sie mit Ihrer Meinung alleine da?
Nein. Meine Ansichten teilen nicht wenige in Israel, und nicht nur jüdische, sondern auch arabische Israelis. Aber diese Dinge offen auszusprechen, ist für arabische Israelis einfach nicht so attraktiv. Ich tue das, um anderen Mut zu machen. Ich wünsche mir Veränderungen in Israel, und deswegen sage ich das auch laut.
Sie haben für das Israeli Democracy Institute gearbeitet. Wo liegen die Stärken und wo die Schwächen der israelischen Demokratie?
Die Stärke liegt eindeutig beim Obersten Gerichtshof. Die schwächeren Komponenten sind das Parlament und die Regierung. Und zwischen diesen drei Institutionen herrscht ein ständiger Konflikt. Eine große Stärke sind die Menschenrechte und der offene Geist für Veränderungen. Als Schwäche würde ich noch hinzufügen, dass wir manchmal etwas langsam sind. Oft kennen wir bereits die Lösung des Problems, reagieren aber nicht gleich. Manchmal arbeitet die Zeit dann gegen uns.
Der Charakter Israels als jüdischer Staat wird von Palästinensern, auch von arabischen Israelis, oft als Problem bezeichnet. Fühlen Sie sich zum Beispiel von der Flagge und der Hymne Israels angesprochen?
Die Flagge und die Hymne sprechen derzeit nur jüdische Israelis an. Aber Israel ist nicht nur ein jüdischer, sondern auch ein demokratischer Staat. Und Demokratie bedeutet, dass alle Staatsbürger gleich sind. Politische Symbole wie Flagge und Hymne eines Staates sollten alle Bürger gleichermaßen ansprechen. Und dazu müssten die Hymne und die Flagge Israels verändert werden. Das wäre für den Integrationsprozess deshalb wichtig, weil eine solche Veränderung weder die Identität der Araber noch den jüdischen Charakter Israels unterlaufen würde. Das ist ein einfacher intellektueller Trick, der aber für Veränderungen in Israel substanziell bedeutsam wäre.
Sie meinen, es gibt in Israel eine Diskrepanz zwischen Nationalität und Staatsbürgerschaft?
Ja. Nur weil man jüdisch ist, heißt das ja nicht, dass man Israeli ist. Und arabisch zu sein, heißt auch nicht gleich, dass man Israeli ist. Die arabische Welt ist auf viele Länder verteilt, von denen jedes seine eigene politische Identität hat, und es gibt Konflikte zwischen den arabischen Staaten. Und so ist das auch mit Israel. Vielleicht standen wir der Gründung Israels anfangs skeptisch gegenüber, aber jetzt profitieren wir davon, dass Israel ein demokratischer Staat ist, leben hier und sind Teil des Staats. Deswegen verstehe ich nicht, dass man gegen den Staat Israel argumentiert, nur weil er Konflikte mit arabischen Staaten hat. Ich möchte weg von all diesen Dogmen und den Punkt erreichen, an dem man fair, realistisch und angemessen diskutiert.
Sie sagen, dass Israel mit denselben Konflikten zu tun hat wie die arabischen Staaten. Nivellieren Sie damit nicht die besondere Situation Israels hinsichtlich der arabischen Minderheit?
Ich würde eher sagen, dass alle arabischen Staaten jüdische Minderheiten haben, und das stellt deren Existenz auch nicht in Frage. Ich verstehe einfach nicht, warum sich die Diskussion immer nur um Israel dreht. Ich sage immer: Vergiss nicht deine Geschichte, aber achte auf eine bessere Zukunft! Und das ist übrigens genau das, was Juden in Israel machen.
Welche arabischen Gesprächspartner sind für einen Frieden im Nahen Osten notwendig?
Ich denke, alle sollten Gesprächspartner sein. Denn Dialogpartner für den Frieden im Nahen Osten sind einander ja per se nicht Freunde, sondern Feinde, also Syrien, Libanon, Palästina und auch die Hamas und die Hizbollah. Man muss einfach direkt miteinander kommunizieren. Die PLO war aus Sicht Israels auch einmal eine Terror­organisation und wurde dann zur Friedenspartnerin. Im Vergleich zu den Problemen, die Israel mit anderen arabischen Staaten hat, wären die simplen zwischenstaatlichen Konflikte mit Syrien und Libanon kein großes Problem, wenn nicht Syrien Beziehungen zum Iran hätte und als gemüt­liches Verweilplätzchen für Terrorgruppen dienen würde. Syrien weiß, dass es von diesen Beziehungen profitiert. Aber ich denke, dass ein Friedensabkommen mit Israel mehr Vorteile hätte.
Die Terrorgruppen Hamas und Hizbollah ­sollten Teil des Friedensabkommens sein?
Ja, das glaube ich fest, denn das würde das Abkommen stärken. Wie gesagt: Frieden schließt man zwischen Feinden.