Serie über Serien: »Dawson’s Creek«

Forever young

Serie über Serien. Dank »Dawson’s Creek« erinnert sich Jan Creutzenberg an seine erste heimliche Liebe

Vor gut zehn Jahren, samstagnachmittags, Sat.1, jeden Moment beginnt »Star Trek«. Aber noch rauschen strahlende Baumwipfel und komisch gekleidete Teenager zu seichter Popmusik über den Bildschirm. Dann geht die Sonne über einem glitzernden Gewässer unter – »Dawson’s Creek« ist vorüber, nun endlich: der Weltraum, unendliche Weiten!
Trotz dieses schlechten Starts gab ich »Daw­son’s Creek« aber später noch eine Chance, als ich voriges Jahr in der Wohnung einer Freundin eine DVD-Schachtel mit der Serie fand. Eher aus Mangel an Alternativen legte ich los – und wurde gleich angefixt. Es folgten Tage, die Jahre waren in Capeside, einer Kleinstadt an der amerikanischen Ostküste.
Der Namenspate von »Dawson’s Creek« ist ein Filmnarr mit fragwürdigem Geschmack. Sein Zimmer gleicht einem Heiligtum für Steven Spielberg: »E.T.« und der »Weiße Hai« in Plüsch auf dem Bett und die Wände tapeziert mit Postern von »Schindlers Liste« bis »Hook«. Aber Dawson Leery schaut nicht nur Filme, sondern dreht auch selbst welche. Gleich zu Beginn der Pilotfolge steht er hinter der Kamera, während seine besten Freunde Josephine »Joey« Potter und Pacey Witter die Schöne und das Monster aus der Tiefe geben. Die Ankunft von Jen Lindley, einer New Yorker Göre mit düsterer Vergangenheit, unterbricht nicht nur die Dreharbeiten, sondern etabliert auch die Dramaturgie der 128 Folgen: Wer mit wem?
Denn abgesehen von dem Film-Fimmel, einer autobiographischen Anleihe des Serien-Schöpfers Kevin Williamson, ist »Dawson’s Creek«, wie jede ernstzunehmende Teenie-Serie, zuallererst eine Folge von Küssen, Liebesschwüren und behutsamen sexuellen Annäherungen sowie den daraus resultierenden Diskussionen. Und natürlich gibt es Footballtraining und Halloweenspuk, Schultheater und Nachsitzen, eine Hochzeit und ein paar Todesfälle, ein Coming-out und ein Baby. Was aber fesselte mich so sehr an dieser Seifenoper über einen Haufen Teen­ager, die viel zu viel reden? Was hielt mich wochenlang bis tief in die Nacht vor dem Fernseher?
Erstens: der Trip in die Vergangenheit. In Capeside herrscht nicht nur eitel Sonnenschein, sondern auch der Süße Vogel Jugend. Dramatisch herausgeputzt und mit gestutztem Gefieder, nichts­desto­trotz verführerisch. Zwar fand in meinem eigenen Heimatort nie ein Schön­heits­wettbewerb statt, Tornados waren selten, und an Affären mit Lehrerinnen kann ich mich nicht entsinnen. Aber es gab auch dort die Ahnung unbegrenzter Möglichkeiten, das Drama einer heimlichen Liebe und die nächtliche Bootsanlegestelle, wo man mit Dosenbier Zeit tot­schla­gen konnte.
Zweitens: der Genuss des Immergleichen. Joey steigt die Leiter zu Dawsons Schlaf­zimmer­fenster hinauf, Pacey legt sich mit einem Lehrer an, Jen wird von ihrer Oma zum Kirchgang gedrängt, Dawson schaltet nach dem Video­abend zum Wetter – mit der tausendsten Wiederholung solcher Szenarien kommt eine be­ruhigen­de Illusion von Konstanz. Egal wie spek­takulär die Verwicklungen, pünktlich zum Abspann trifft sich die Clique vor dem Fernseher, sonst am nächsten Morgen in der Schule. Zwar beteuern die Figuren reih­um, dass sich end­lich »nun alles ändern wird«, aber eigentlich ändert sich nichts.
Und doch konnte ich Dawson und seinen Freun­den beim Wachsen zusehen. Aus Kinder­darstellern in kurzen Hosen wurden Erwachsene, nicht über Nacht, sondern von Folge zu Folge. Insbesondere Katie Holmes, heute vor allem durch ihre Ehe mit Tom Cruise bekannt, erhält mit der zynisch-verletzlichen Joey ein so irreales Alter Ego, dass ich die ausgeblichene Mutter-Diva von heute mit ganz neuen Augen sehe. Einmal verspottet Joey gar ihren späteren Gatten alias »Jerry Maguire« wegen seiner Frisur.
»Dawson’s Creek« ist also nicht nur Zeitmaschine und Zeitschleife, sondern auch Zeitdokument. Während das Raumschiff Enter­prise neue Welten entdeckte, drehte sich der klei­ne Capeside-Kosmos um sich selbst und wurde wie ein edler Wein mit den Jahren immer besser. Jedenfalls besser als das Dosenbier von damals.