Hippies und Schlagermusik in den sechziger Jahren

Sie nennen es Flower Power

Was die Hippie-Kultur in der deutschen Schlagerbranche Ende der sechziger Jahre anrichtete, beleuchtet ein neuer Sampler.

Wer will nicht mit Gammlern verwechselt werden?« und »Wer hat den Mut, für euch sich zu schämen?« Die Fragen, die Freddy Quinn in seinem ultimativen Spießer-Song »Wir« stellt, sind immer rhetorisch, und die Antwort ist stets dieselbe: »Wir«.
»Wir« gegen »ihr«, erstaunlicherweise war es bereits 1966 in Deutschland angesagt, dass abgehalfterte Schlagersänger nicht mehr nur ungestört eine heile Welt beschwören konnten, in der die Verbrechen der Nazi-Zeit keine Rolle mehr spielten, sondern dass sie Stellung bezogen gegen diejenigen, die einen beim seligen Ver­gessen stören wollten.
Freddy Quinn zog im Namen der neuen bürger­lichen Deutschen und mit dem Wohlwollen vieler wieder in Würde und Amt stehender Altnazis erneut in den Krieg, dieses Mal gegen die langhaarigen Beatfans, die »Halbstarken«, die »Yeah-Yeah«-Hörer, die Rumlungerer, die ganz bestimmt so mancher wieder gerne ins Lager gesteckt hätte. Aus Freddy Quinn sprach ein Wirt­schafts­wundergeist, der es nicht fassen konn­te, dass es der deutschen Jugend plötzlich einfallen konnte, nicht mehr bloß mit Bürstenhaar­schnitt für den Neuaufbau der deutschen Na­tion stramm zu stehen. Dabei sollte das richtige Grauen für Freddy Quinn und seine Artgenossen ja erst noch kommen: der Minirock als Ma­ssenartikel, die Drogen, »Enteignet Springer«, überfüllte Adorno-Vorlesungen in der Uni, die Hippies, Ungekämmte und psychedelische Musik, damit ging es ja erst so richtig in den fol­genden Jahren auch in Deutschland los.
Wie die deutsche Schlagerszene auf diese, sagen wir: 68er-Ära der Jahre 1967 bis 1971 reagierte, dem geht nun die hübsche Compilation »Hippies, Hasch und Flower Power – 68er-Pop aus Deutsch­land« nach. Obskuritäten ohne Ende sind hier versammelt, wahnwitzige Schmunzler voll musikalischen Grauens, die allesamt Aus­druck dafür sind, wie die bundesrepublikanische Schlagerbranche zwischen Naivität, Hilflosigkeit und Aggression auf die nun auch in Deutschland einfallende British invasion genauso reagierte wie auf die Flower-Power-Welle, die bald von San Francisco aus bis nach Delmen­horst und in die Oberpfalz schwappte. Allein schon diese Songtitel: »Gammelshake«, »Verlieb dich nie in ein Hippie Mädchen«, »Wir sind verlauste Affen«. Bei manchen dieser Titel hat man das Gefühl, dass die Stürmer-Rhetorik direkt ihren Weg in die Sprache deutscher Schlagerbarden der Sechziger gefunden hatte.
Von den unterschiedlichsten Positionen aus wurden damals Antworten auf die jugendkulturelle Protestwelle gesucht, die sich stetig ausweitete und die man auch schon deswegen als Gefahr begriff, weil ihre Helden, wie etwa die Beat­les, dem deutschen Schlager zunehmend die vorderen Plätze in den Charts streitig machten. Manche versuchten sich mit milder Sozialpädagogik an einem Abwehrzauber, wie etwa Thomas Fritsch, der, obwohl er da selbst erst 23 Jahre alt war, gleichzeitig den Kritischen wie Verständnisvollen machte, der »Es ist gar nicht so leicht, erwachsen zu sein« säuselte, aber auch leicht verächtlich vom »Protest im warmen Nest« sang.
Erstaunlich sind dann aber auch so manch ver­steckte subversive Momente, die in derartigen Schlagern zu finden sind. Der Protestsong­ge­dan­ke, der weltweite Erfolg von Folksängern wie Bob Dylan und Joan Baez, unterwanderte teilweise sogar diese heile Welt, die noch ein Thomas Fritsch erhalten wollte. Etwa bei Heidi Franke, die die subversive Taktik amerikanischer Studenten, die Polizisten Blumen in die Gewehr­läufe zu stecken versuchten, auf deutsche Verhältnisse übertrug und den hiesigen Beamten scheinbar naiv in »Die Blumen sind für Sie, Herr Polizist« ein eher scheinheiliges Geschenk anbot und in ihrem Schlager durchaus kritisch über den Freund und Helfer urteilte, der sich zum Erfüllungsgehilfen des Staates gegen die Protestler auf der Straße machen ließ. »Wer steht stramm vor Prominenten / wer spritzt Wasser auf Studenten / wer macht den heißen Sommer in Berlin? / ja, sicher kennst du ihn«, so etwas sang Heidi Franke 1968 in einem Schlager.
Kreuz und quer geht es auf diesem Sampler, der als chronologisch sortiertes Zeitdokument bestens funktioniert und im Booklet wunderbar bebildert und betextet wurde. Ein strenger Protestsong von Franz Josef Degenhardt darf in so einer Sammlung natürlich genauso wenig fehlen wie ein Blick über die Mauer, um zu sehen, wie in der DDR mit dem Hippiehaschgamm­lertum im dekadenten Westen umgegangen wurde. Interessant ist da der »Viet­nam-Song« von Manfred Krug zusammen mit dem Klaus-Lenz-Sextett, in dem 1968 letztlich nichts anderes als von westdeutschen oder amerikanischen Studenten gefordert wurde, nämlich: Amis raus aus Vietnam. Doch eine echte Verbrüderung mit westlichen Widerständlern strebte Krug dann lieber doch nicht an, um gegen den Klassenfeind zu sein, brauchte es seiner Meinung nach schließlich keine langen Haare. »Eure Hippies werfen Blumen auf die Straßen, eure Bomber in Vietnam werfen Tod«, singt er. »Eure Hippies«, darin liegt eine Abgrenzung, die Gammler sollten mal schön ein Westphänomen bleiben. Außerdem wird sich über die eher machtlosen Blumenwerfer, die den Bombern in Vietnam dann doch nichts Entscheidendes entgegenzusetzen wissen, eher lustig gemacht.
In der BRD schienen derweil, nach einer Phase der kritischen Auseinandersetzung mit der Hippiekultur, so legt der Sampler es nahe, Dieter Thomas Hecks Schützlinge mit teilweise schon delirierendem Willen zur Affirmation auf die neue bunte angloamerikanische »Peace and Love«-Bewegung reagiert zu haben. Auch bei den Schlagerfuzzis wich der adrette Heintje-Haarschnitt irgendwann den etwas verwegeneren Frisuren, und die ganz Mutigen ließen so­gar ihre Koteletten wuchern. Sie stürzten sich nun mitten rein in das aufregend Neue, sollte ja niemand behaupten, der Deutsche hätte Angst vor etwas Exotik. Pille, sexuelle Revolution und ein wenig Hippie-Esoterik machten bald auch vor den Barrikaden der so spießigen Schla­gerwelt nicht mehr halt.
Gudrun »Su« Kramer sang »Hare Krishna«, sie sah dabei zwar trotz Angela-Davis-Frisur immer noch aus wie die Kinderpflegerin, die sie ja auch war, aber, hey, selbst der Groove stimmte plötzlich. Geradezu kirre wurde auch Wencke Myhre, die den neuesten Schrei, den Minirock, nicht bloß als »Flower-Power-Kleid« besang, son­dern, als hätte jetzt auch sie einen Trip zu viel geschmissen, sage und schreibe mit den Worten »Ding-Dong-Bama-Lama-Sing-Song-Teeny-Weeny-Flower-Power-Kleid«. Dass es in der DDR dagegen zu der Zeit mit den Drogen nicht so weit hergewesen sein kann, beweist die vergleichsweise nüchterne und sachgerechte Benen­nung desselben Kleidungsstücks als »Der Minirock« im gleichnamigen Schlager von Horst und Benno zusammen mit dem Orchester Klaus Lenz. Im Westen machte es beim Minirock Ding-Dong, im Osten wurde, so legen die Liner-Notes ganz schlicht nahe, der Minirock einfach nur deswegen begrüßt, weil man sich erhoffte, dank dieser Mode dem maroden System »jede Menge Textilstoff einsparen« zu können.
Wie in den USA, wo 1969 die Charles-Manson-Morde die Hippie-Kultur in eine Katerstimmung versetzten, von der sie sich nicht mehr erholen sollte, bis zwei Jahre später auch noch Janis Joplin, Jim Morrison und Jimi Hendrix, die drei berühmten »J« der goldenen Ära, an ihrer eigenen Kotze verreckten oder nicht mehr aus der Badewanne rauskamen, war auch in Deutschland Ende der Sechziger, Anfang der Siebziger der ganze Spuk schon wieder vorbei.
Vivi Bach und Dietmar Schönherr erahnten 1971 in ihrer »Molotow-Cocktail-Party« bereits den deutschen Terror der RAF, der da stattdessen kommen sollte. Und Juliane Werding sang in »Am Tag, als Conny Kramer starb« darüber, dass Drogen wohl nicht bloß zu den bewusst­seinserweiternden Zuständen geführt hatten, die einem noch von Timothy Leary mit bunten Worten versprochen wurden, sondern auch zum Drogentod.
Flower Power war vorüber, und in Deutschland begann, von der großen Öffentlichkeit weitestgehend unbemerkt, das goldene Zeitalter des Krautrock und damit erstmals einer eigenständigen deutschen Rockkultur. Bis man sich dann Ende der Siebziger in einer völlig anderen Jugendkultur, im Punk, doch noch einmal an die Warnung erinnerte, die schon der unglaublich furchtbare Bill Ramsey 1968 von sich gab: »Verlieb dich nie in ein Hippie-Mädchen.«

»Hippies, Hasch und Flower Power – 68er-Pop aus Deutschland« (Bear Family)