Der angebliche Friedensplan für Israel und die palästinensischen Gebiete

Der utopische Korridor

Umgehend lehnten die Palästinenser den Friedensplan des israelischen Premierministers Olmert ab. Doch gibt es den Plan überhaupt?

Ein vermeintliches Friedensangebot des israelischen Premierministers Ehud Olmert an die Palästinenser hat in europäischen Medien schon Anlass gegeben zu zahlreichen Analysen und Kommentaren. Doch derzeit gibt es keinen offiziellen Friedensplan, sondern nur einen Zeitungsartikel von Aluf Benn in der Tageszeitung Ha’aretz. Ihm wurde angeblich ein Dokument zugespielt, das Olmert bei einem der regelmäßigen Treffen dem palästinensischen Präsidenten Mahmoud Abbas übergeben haben soll. Vielleicht ist das ganze auch nur eine Erfindung, mit der sich Olmert kurz vor seinem Rücktritt als Friedensbringer profilieren will, während die Palästinenser zu einem vorhersehbaren »Nein« provoziert werden sollten, damit Israel ihnen die Schuld am Scheitern der Friedensverhandlungen zuschieben könne. So interpretierten manche deutsche Kommentatoren den vermeintlichen Friedensplan.
Tatsächlich lehnte Abbas den Vorschlag als »gänzlich unakzeptabel« ab. Sein Unterhändler Saeb Erekat ging einen Schritt weiter und bezeichnete den von Ha’aretz veröffentlichen Ge­heimplan als einen »Haufen Halbwahrheiten, zusammengebastelt aus Bruchstücken der Verhandlungen«.
Der Inhalt des vermeintlichen Angebots ist nicht neu. Israel will den Palästinensern 93 Prozent des besetzten Westjordanlandes überlassen und sieben Prozent mit den Großsiedlungen annektieren. Dieser Vorschlag war schon in einem kurz gefassten Friedensplan des US-Präsidenten Bill Clinton enthalten, der am 23. Dezember 2000 veröffentlicht wurde. Israel akzeptierte grundsätzlich das Dokument, während Präsident Yassir Arafat es zunächst ablehnte und dann doch im April 2002 akzeptierte, als die Israelis sein Hauptquartier, die Muqata in Ramallah, gestürmt und teilweise zerstört hatten. Auch die Idee, dass Israel den Palästinensern ein entsprechendes Gebiet bei Gaza im Tausch überlassen könne, ist nicht neu. US-Präsident George W. Bush hatte zudem Premierminister Ariel Sharon zugestanden, dass Israel die Großsiedlungen annektieren dürfe.
Ein weiteres Zugeständnis ist Ha’aretz zufolge eine Landverbindung zwischen dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland. Eine solche »sichere Passage« wurde bereits im Rahmen der Osloer Verträge zwischen Arafat und Jitzhak Rabin ausgehandelt. Die damals aufgestellten Straßenschilder stehen heute noch. Es gab drei alternative Routen für die Passage, doch die Palästinenser verlangten »aus Gründen der Ehre«, dass palästinensische Polizisten israelisches Territorium mitsamt ihren Dienstwaffen ungeprüft passieren dürften. Nachdem zwei dieser Polizisten mit ihren Dienstwaffen tödliche Anschläge in Jerusalem verübt hatten, erübrigte sich die »sichere Passage«.

Gemäß dem »Friedensplan« Olmerts will Israel eine Durchfahrt ohne Sicherheitskontrollen gewähren. Dies ist ein interessantes Detail, da Olmert demzufolge offenbar von einem Friedenszustand ausgeht, in dem kein Palästinenser mehr böswillige Absichten gegen Israelis oder Juden hegen werde. Nach allem, was in den vergangenen Jahren geschehen ist, und angesichts der extremistischen Ideologie nicht nur der islamistischen Hamas ist es derzeit kaum vorstellbar, dass Israel den Bürgern des künftigen Nachbarstaates Palästina eine unkontrollierte Durchfahrt ermöglichen könnte.
Gleichwohl gab es durchaus einen solchen Zustand bis zum Ausbruch der ersten Intifada im Jahr 1987. Keine einzige Straßensperre im ganzen Land störte den Verkehr, auch nicht zwischen Israel und den besetzten Gebieten. Dieses Detail deutet darauf hin, dass Ha’aretz entweder kein echtes Dokument vorlag oder aber dass Olmerts Friedensvorstellungen für eine utopische Zukunft gedacht sind.
Zu Olmerts »Bedingungen« gehört freilich die Absicht, zwar jetzt schon einen Vertrag zu unterzeichnen, ihn dann aber in der Schublade aufzubewahren, bis die Fatah wieder den derzeit von der Hamas beherrschten Gaza-Streifen kontrolliert. Dort hat die Hamas jedoch ihre Macht durch die Vertreibung des mit der Fatah verbündeten Hilles-Clans gefestigt. Es spricht wenig dafür, dass Abbas den Gaza-Streifen bald zurück­gewinnen kann, realistischer klingen da schon Drohungen der Hamas, bald auch das Westjor­danland an sich reißen zu wollen.

Die Passage soll den Palästinensern nicht übereignet werden. Ha’aretz schreibt, dass »dieses Gebiet offiziell unter israelischer Kontrolle bleiben« werde. Es fehlt jeder Hinweis, ob und wie dann die Israelis von Norden nach Süden fahren sollen. Denn eine etwa 100 Kilometer lange Querverbindung zwischen dem Gaza-Streifen und dem Westjordanland würde Israel teilen und den Norden vom Süden abtrennen.
Vielleicht wird über ein aufwändiges System von Brücken und Tunneln nachgedacht. Heute schon sind Israel und »Palästina« bei Bethlehem zweistöckig angelegt. Auf einer zwischen Israel und der PLO im Rahmen der Osloer Abkommen vereinbarten »Siedler-Umgehungsstraße« fahren Israelis im Tunnel unter den Häusern von Beth Jalla hindurch von Jerusalem ins südliche Westjordanland. Diese Umgehungsstraßen entsprachen einem Wunsch der Palästinenser, der israelische Durchgangsverkehr sollte nicht die palästinensischen autonomen Städte stören. Später erwies sich diese Regelung als nützlich für die Israelis. Als für sie das Betreten palästinensischer Gebiete lebensgefährlich wurde, untersagten die israelischen Behörden nach mehreren Morden ihren Bürgern strikt, weiterhin ausschließlich von Palästinensern kontrolliertes Gebiet zu besuchen.
Auch andere vermeintlich neue Vorschläge wurden bereits mehrmals ausdiskutiert oder ihre Verwirklichung scheiterte. Israelis und Palästinenser verhandeln nun schon seit 15 Jahren miteinander. Die geographische Enge lässt nur wenige Alternativen offen. Die Wirklichkeit schafft ständig neue Hindernisse: der gewalttätige Aufstand der zweiten Intifada, die Errichtung eines israelischen Sperrwalls mit einer Betonierung der potenziellen künftigen Grenze, die Spaltung der Palästinenser infolge des Putsches der Hamas in Gaza und die ständige Erweiterung der Siedlungen.

Die Grundpositionen bei entscheidenden Fragen wie der »Rückkehr der Flüchtlinge« oder dem Status Jerusalems lassen auf beiden Seiten wenig Spielraum offen. Zu den Flüchtlingen heißt es angeblich, dass sie nur in den künftigen palästinensischen Staat einwandern dürften, nicht aber nach Israel, von humanitären Ausnahmen abgesehen. Jerusalem sei völlig ausgespart worden, weil Olmert auf seinen Koalitionspartner, die orthodoxe Shas-Partei, Rücksicht nehme.
Da aber Olmert angeblich am 17. September, nach der Wahl seines Nachfolgers im Vorsitz der Kadima-Partei, zurücktreten will, ist nicht einleuchtend, wieso er derartige innenpolitische Rücksichten nehmen sollte. Beobachter in Israel gehen zudem davon aus, dass Olmert durchaus noch bis Februar oder März im Amt bleiben könnte. Denn falls es seinem Nachfolger als Parteivorsitzenden nicht gelingen sollte, eine neue Koalition zu bilden, würden Neuwahlen notwendig. Wegen der gesetzlich vorgeschriebenen Fristen bliebe Olmert als nicht absetzbarer »Übergangspremierminister« im Amt.