Zweierlei Maß beim Datenschutz

Bankdaten für die Datenbänke

Nach dem jüngsten Skandal um den illegalen Handel mit Bankdaten wollen Politiker aller Parteien den Datenschutz verbessern. Doch staatliche Maßnahmen wie die Vorratsdatenspeicherung und das geplante zentrale Melderegister werden nicht in Frage gestellt.

Deutschlands Datenschützer haben einen Helden: Detlef Tiegel heißt der ehemalige Mitarbeiter eines Callcenters, der die derzeitige Sorge um den Datenschutz ausgelöst hat. Seit er der Verbraucherzentrale Schleswig-Holstein 17 000 Datensätze zukommen ließ, die sein vormaliger Arbeitgeber »Hanseservice« offenbar illegal aus Beständen der Süddeutschen Klassenlotterie erworben haben soll, ist eine recht konkrete Vorstellung davon entstanden, wo die persönlichen Daten landen, die fast alle großen Unternehmen akribisch sammeln. Detlef Tiegel legte der Staatsanwaltschaft Informationen über weitere 1,5 Millionen Personen vor, deren Daten das Lübecker Callcenter gekauft haben soll.

Mitarbeiter der Verbraucherzentrale forschten weiter und konnten innerhalb von zwei Tagen Informationen über sechs Millionen Bürger für nur 850 Euro über das Internet erwerben. Nach Angaben von Gerd Billen, dem Vorstand des Bundesverbandes der Verbraucherzentralen, stammten sie von der Süddeutschen und der Nordwestdeutschen Klassenlotterie, aus Handyverträgen und von karitativen Spendensammlern. Die ARD-Sendung »Kriminalreport« berichtete über 30 Millionen gestohlene Datensätze von der Deutschen Telekom, die vor dem Weiterverkauf sogar telefonisch mit den Betroffenen abge­glichen wurden. Die Krankenkasse DAK geriet in die Kritik, weil sie medizinische Informationen über 200 000 Kunden mit chronischen Krankheiten an die Firma Healthways übergeben ­hat­te, die zum Teil an ein Berliner Callcenter weitergereicht wurden.
Die Kontonummern vieler Kunden von Hanseservice wurden verwendet, um Abbuchungen ohne Einwilligung der Kontoinhaber vorzunehmen. Das hat der Öffentlichkeit verdeutlicht, dass Datenschutz und Privat­sphäre nicht nur die abstrakten Begriffe idealistischer Bürgerrechtler sind. Auch wer den staatlichen Angriffen auf den Datenschutz gleichgültig begegnet, weil er »nichts zu verbergen« hat, wie es häufig heißt, muss zumindest seine Kontodaten verstecken.
Nun übertreffen sich diejenigen mit Vorschlägen zur Verbesserung des Datenschutzes, die diesen in den vergangenen Jahren vor allem als Hindernis für die Terror- und Kriminalitätsbekämpfung gesehen haben. Um den offensicht­lichen Widerspruch zwischen den derzeitigen Forderungen nach einem besseren Datenschutz und der Erweiterung staatlicher Überwachung aufzulösen, berufen sich autoritäre Innenpoli­tiker auf den vermeintlichen Unterschied zwischen dem staatlichen und privatwirtschaftlichen Sammeln von Daten. Dieter Wiefels­pütz, der innenpolitische Sprecher der SPD, zieht die Grenze auf der Webseite »abgeordnetenwatch.de« so: »Im staatlichen Bereich ist der Datenschutz grundsätzlich gewährleistet. Im privatwirtschaftlichen Bereich sieht das offenbar ganz anders aus.« Eine Begründung für seinen Glauben an den staatlichen Datenschutz bleibt Wiefelspütz schuldig. Sie dürfte ihm schwer fallen: So greift beispielsweise die Bundesagentur für Arbeit nach Angaben des Betreibers der Personensuchmaschine Yasni mehr als 20 000 Mal im Monat auf den Dienst zu, vermutlich um Arbeitslosen hinterherzuschnüffeln.

Ein Parteikollege von Wiefelspütz, Sebastian Edathy, kündigte in seiner Funktion als Vorsitzender des Bundestagsinnenausschusses ein Krisentreffen nach der Sommerpause an, auf dem ein verbessertes Datenschutzgesetz erarbeitet werden soll. Wie fast alle Abgeordneten aus der Großen Koalition gehörte Edathy zu der großen Mehrheit, die vor weniger als einem Jahr dem Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung zugestimmt haben. Es verpflichtet Telekommunikationsunternehmen, fast das gesamte Kommunikationsverhalten ihrer Kunden zu protokollieren und sechs Monate lang zu speichern.
Zurzeit setzen sich zahlreiche weitere Koalitionspolitiker für einen verbesserten Datenschutz ein: Die Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) und der SPD-Parteivorsitzende Kurt Beck, der Verbraucherschutzminister Horst Seehofer (CSU) sowie der stellvertretende Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Wolfgang Bosbach, und der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) haben sich offenbar schon darauf geeinigt, dass Unternehmen künftig die Daten ihrer Kunden nur noch mit deren ausdrücklicher Zustimmung weitergeben dürfen, während sie der Verwendung der Informationen bislang ausdrücklich widersprechen mussten. Der Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) hat sogar vorgeschlagen, den Handel mit persönlichen Daten zu verbieten.
Sicherheitspolitiker wollen indes vermeiden, dass die Diskussion um den Datenschutz Auswirkungen auf die staatlichen Datensammlungen hat. August Hanning, Staatssekretär im ­Innenministerium, sagte dazu in der »Tagesschau«: »Wenn ich Datenschutz betreibe, kom­me ich in die Gefahr, Täterschutz zu betreiben.« Die Vorratsdatenspeicherung, die erst vor wenigen Wochen eingeführte bundesweite persönli­che Identifikationsnummer des Finanzamts und das von CDU-Politikern geplante zentrale Melde­register sollen von der Debatte unberührt bleiben.
Für die Opposition bietet der wenig glaubwürdige Aktionismus der Regierungskoalition die Möglichkeit, sich als Bewahrerin der Privatsphäre darzustellen. So fordert die ehemalige Verbraucherschutzministerin Renate Künast (Grüne) eine Aufnahme des Datenschutzes ins Grundgesetz und höhere Bußgelder. Dass Künast solche Ideen nicht während ihrer Amtszeit verwirklicht hat, lag ihr zufolge ausschließlich am damaligen Koalitionspartner SPD.

Der Handel mit persönlichen Daten prosperiert schon seit Jahren. Die Gewinne basieren wahrscheinlich nur zum kleineren Teil auf betrügerischen Abbuchungen und zum größeren auf sehr effizienter, weil zielgruppengerechter Werbung. Unternehmen wie die Deutsche Bahn machen den anonymen Kauf ihrer Produkte deshalb so schwer wie möglich. Mit Rabattsystemen häufen beispielsweise Firmen wie AOL und Apollo-Optik, die Drogeriekette »dm«, Europcar, Kaufhof, Real und RWE systematisch Kundendaten an.
Die persönliche Information wird zur Ware: Der Kunde erhält für Auskünfte über sich und sein Konsumverhalten Prämien. Natürlich muss sich dieses Vorgehen für die Firmen lohnen. Die Verbraucherzentrale schätzt den Wert eines Datensatzes auf 50 Cent bis zwei Euro. Nach Angaben des Chaos-Computer-Clubs gibt es in Deutschland 1 300 registrierte Adressenhändler, allein der europäische Marktführer Schober Information Group soll über 50 Millionen Adressen aus Deutschland mit zehn Milliarden Zusatzdaten besitzen.
Verbote, strengere Gesetze und die von Datenschützern geforderten Datenfahnder könnten den Handel mit persönlichen Informationen kurzfristig tatsächlich eindämmen. Doch auch legal gesammelte Daten werden immer wieder für das profitable Geschäft genutzt, durch Diebstahl, outgesourcte Callcenter oder auf anderen Wegen gelangen sie zu den Firmen. Digitalisierung und zentrale Lagerung vereinfachen dies besonders. Ob die Daten ursprünglich von einer Behörde, von der Wirtschaft oder mit der Einwilligung der Betroffenen erhoben wurden, spielt dabei eine geringe Rolle.