Streit um Erika Steinbach

Die Unbestechliche

Was tun mit Erika Steinbach? Die Große Koalition streitet über ihre zukünftige Rolle in der Stiftung »Flucht, Vertreibung, Versöhnung«. Nicht nur zum »Tag der Heimat« zeigt die CDU ihre Verbundenheit mit ihr. Im von der CDU regierten Nieder­sachsen wurde die »Flucht und Vertreibung« bereits als Pflichtthema an den Schulen eingeführt.

Als »fairen Partner der Vertriebenenorganisa­tionen« bezeichnet der Bund der Vertriebenen (BdV) Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU). Dieser wird als Vertreter der Bundesregierung am diesjährigen »Tag der Heimat« am 6. September in Berlin sprechen. Dass auf dem zentralen Festakt der Vertriebenenverbände hochrangige Regierungsvertreter sprechen, ist nichts Neues. Erst recht nicht, wenn es sich um Unionspolitiker handelt.

Während die Union die Pläne des BdV für ein deutsches »Zentrum gegen Vertreibungen« von Anfang an unterstützte, sah die SPD das Vorhaben zunächst etwas kritischer. Im Koalitionsvertrag von 2005 übernahm die Große Koalition jedoch das Anliegen des BdV. Union und SPD vereinbarten, in Berlin ein »sichtbares Zeichen« zur Erinnerung an die Vertreibung von Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg zu setzen. Nachdem die genaue Konzeption lange nicht feststand, hat der Kulturstaatsminister Bernd Neumann (CDU) im März einen Gesetzesentwurf vorgelegt. Diesem zufolge ist es vorgesehen, eine Stiftung mit dem Namen »Flucht, Vertreibung, Versöhnung« mit dem Deutschen Historischen Museum (DHM) als zuständigem Rechtsträger einzurichten. Schwerpunkt der Stiftung soll eine Dauerausstellung im »Deutschland-Haus« in der Nähe des Holocaust-Mahnmals sein, die inhaltlich auf der 2006 im DHM gezeigten Ausstellung »Flucht. Vertreibung. Integra­tion« basieren wird, die vom Haus der Geschichte in Bonn (HDG) konzipiert wurde. Neben der zukünftigen Dauerausstellung sind Wechselausstellungen, Publikationen, Symposien und ein »wissenschaftliches Dokumentationszentrum« geplant. Für die Sanierung des Deutschland-Hauses und die Konzeption der Aus­stellung sollen in den nächsten zwei Jahren 29 Millionen Euro bereitgestellt werden. Jährlich sind für die Stiftung 2,4 Millionen Euro vorgesehen – also fast so viel wie für die Stiftung »Denkmal für die ermordeten Juden Europas«.
Dem Aufsicht führenden Stiftungsrat sollen dem Gesetzesentwurf zufolge neben drei Mitgliedern der Bundesregierung, zweien des Bundestags, je einem Vertreter des DHM, des HDG, der evangelischen und der katholischen Kirche und des Judentums auch drei Repräsentanten des BdV angehören. Um diese BdV-Vertreter gibt es nach wie vor Streit in der Großen Koalition. So wurde der für die vergangene Woche angesetzte Kabinettsbeschluss über Neumanns Gesetzesentwurf überraschend verschoben, vordergründig wegen rechtlicher Unklarheiten über die Umwandlung des DHM in eine Stiftung. Anzunehmen ist jedoch, dass durch die Verschiebung erneut Zeit ge­wonnen werden soll, um endlich den Konflikt um die Rolle der BdV-Präsidentin Erika Steinbach (CDU) beizulegen.
Anlässlich der Präsentation der Pläne für ein »sichtbares Zeichen« im Oktober 2007 hatte der Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse (SPD) noch gesagt, der BdV sei nicht an dem Projekt be­teiligt. Kulturstaatsminister Neumann und Steinbach selbst hatten schon damals widersprochen. Dem Regierungssprecher Thomas Steg zufolge ist es eine »autonome Entscheidung« des BdV, wel­che Personen er in den Stiftungsrat entsende.
Im Februar hatte der Kulturstaatsminister dem Deutschland-Beauftragten der polnischen Regierung, Wladyslaw Bartoszewski, das Konzept vorgestellt. Dass Polen trotz der geplanten Beteiligung des BdV keine prinzipiellen Einwände mehr erhob, wurde in Deutschland als »Einigung« gefeiert. In Polen gilt das »sichtbare Zeichen« hingegen als ausschließlich deutsches Projekt, an dem man sich nicht beteiligen will (Jungle World 01/08). Im Juni machte Bartoszewski jedoch ­erneut deutlich, dass eine Beteiligung von Erika Steinbach am Stiftungsrat für Polen inakzeptabel sei.
Die Bundesregierung ist deshalb Zeitungsberichten zufolge derzeit bemüht, Steinbach zu einem Verzicht auf eine Funktion im Stiftungsrat zu bewegen. Der BdV beharrt allerdings auf seiner Entscheidungsfreiheit. Steinbach lässt sich auch nicht mit einem in Aussicht gestellten Bundesverdienstkreuz umstimmen. »Wer glaubt, man könne mir das Verdienstkreuz als Kaufpreis für den Verzicht auf die Mitgliedschaft im Stiftungsrat anbieten, irrt. Ich bin nicht käuflich«, sagte sie in der vergangenen Woche der Welt am Sonntag.
Bereits im Mai war der Streit um Steinbach in der Großen Koalition eskaliert. Nachdem der SPD-Vorsitzende Kurt Beck während eines Besuchs in Warschau gesagt hatte, die SPD werde »im außenpolitischen Interesse Deutschlands alles in unserer Macht Stehende tun, dass Frau Steinbach keine Rolle im Kuratorium spielt«, konterte der bayrische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) auf dem »Sudetendeutschen Tag« in Nürnberg: »Ein solches Zentrum ist nur sinnvoll, wenn es auch Frau Steinbach als Kuratoriums­mitglied mitgestalten kann. Alles andere wäre scheinheilig.« Während die Union unablässig die Vertriebenenverbände unterstützt, hat die SPD ihre Kritik allmählich aufgegeben, inzwischen geht es nur noch um die Person Steinbach.
Auch an anderer Stelle unterstützt die Union die Vertriebenenverbände. Das niedersächsische Kultusministerium hat zum Beginn des neuen Schuljahres Ende August die »Vertreibung und Flucht aus den deutschen Ostgebieten« als verbindliches Unterrichtsthema in allen allgemeinbildenden Schulen des Landes eingeführt. Diese Änderung im Lehrplan ist der Initiative des CDU-Landtagsabgeordneten Rudolf Götz zu verdanken, der seit 2003 der Landesbeauftragte für Heimatvertriebene und Spätaussiedler in Niedersachsen ist. Zu den Aufgaben des CDU-Politikers gehört es, »die Verbundenheit der Landesregierung mit den Heimatvertriebenen« zu betonen und zu stärken. Es gehe vor allem darum, sagt Götz, die »Erinnerung an die schweren Nachkriegsjahre« auch in den jüngeren Generationen zu bewahren.

Die polnische Zeitung Nasz Dziennik berichtete, dass es Bestrebungen, das Thema Vertreibung zum Pflichtstoff in Schulen zu machen, auch in Baden-Württemberg, Bayern und Nordrhein-Westfalen gebe. Der Zeitung zufolge geht der Plan Erika Steinbachs, die deutschen Vertriebenen zu gleichberechtigten Opfern neben den Über­­leben­den des Holocaust zu machen, »langsam, aber sicher« auf. »Die Deutschen schaffen sich eine neue Identität«, lautete die Überschrift des Artikels.
Außerhalb des katholisch-nationalistischen Spektrums, zu dem Nasz Dziennik gehört, berichte­ten die polnischen Medien allerdings nur vereinzelt über das Vorhaben des niedersächsischen Kultusministeriums. Die Entwicklungen in der so genannten Erinnerungskultur in Deutschland werden in Polen nicht mehr als eine starke Bedrohung wahrgenommen, wie auch jüngere Umfragen zeigen. Andere Themen, wie die deutsch-russische Gas-Pipeline oder das Verhalten Deutsch­lands im Georgien-Konflikt, sind aus polnischer Sicht deutlich wichtiger.