Gewalt und Normalität

Gewalt und Normalität

In der internationalen Justiz sind die Kriterien der Strafverfolgung ungeklärt.

Luis Moreno-Ocampo hat sich viel vorgenommen. »Der International Criminal Court repräsentiert ein neues Gesetz, das Straffreiheit nicht länger zulässt. Entweder werden die nationalen Gerichte tätig oder wir«, sagte der Staatsanwalt des ICC. In der vergangenen Woche besuchte er Kolumbien. Wenn er die juristische Aufarbeitung der im Kampf zwischen Guerilla, Regierung und Paramilitärs begangenen Verbrechen für unzureichend befindet, will er selbst Ermittlungen einleiten.
Viele Gesprächspartner Ocampos sind potenzielle Angeklagte, wegen Verbindungen zu den Paramilitärs ermittelt die kolumbianische Justiz u.a. gegen zahlreiche Politiker und Parlamentarier. Ocampo hat bewiesen, dass er den Konflikt mit den Mächtigen nicht scheut, u.a. klagte er Mitglieder der argentinischen Militärjunta an. Doch mit Anklagen wegen des kolumbianischen Bürgerkriegs würde sich der ICC erstmals der Normalität der Gewalt widmen. Der Drogenkrieg in Mexiko wird nicht weniger brutal geführt, die von Politikern gesteuerte Gewalt nach den Wahlen im Dezember in Kenia kostete mehr Menschen das Leben. Das Statut von Rom gestattet ihm, selbst Ermittlungen zu beginnen. Nach welchen Kriterien aber soll Ocampo entscheiden, ob ein Massaker einfach nur ein Massaker oder ein »Verbrechen gegen die Menschheit« ist?
Eine solche Entscheidung darf weder einem einzelnen Menschen überlassen werden, noch, wie es bei Auftragsermittlungen des ICC der Fall ist, einer Regierung oder dem UN-Sicherheitsrat. Eigentlich hätte diese Frage vor der Einrichtung des ICC diskutiert werden müssen, ebenso wie das Ziel der internationalen Justiz.
Es ist bekannt, dass die abschreckende Wirkung hoher Strafen gering ist. Warum sollte dies ausgerechnet bei Warlords und rechtsextremen Politikern, für die Größenwahn eine Grundqualifikation im Job ist, anders sein? Die Verhaftung eines noch aktiven Massenmörders könnte dessen Kriegspartei schwächen. Eine Anklage ohne Verhaftung hingegen, wie im Fall Omar al-Bashirs, kann andere Täter davon überzeugen, dass sie nur vermeiden müssen, den Krieg zu verlieren. Auch die aufklärende Wirkung der Offenlegung von Kriegsverbrechen ist fraglich, teils weil rechts­extreme Milieus immun gegen Argumente sind, teils wegen der Politisierung der Justiz.
So bleibt vorläufig nur die Ächtung bestimmter Verbrechen. Doch welcher? Die internationale Justiz ist eine Simulation bürgerlichen Rechts, denn die »Staatengemeinschaft« hat die aristokratische Herrschaft der Großmächte im Sicherheitsrat noch nicht überwunden. Gleichheit vor dem Gesetz kann es so nicht geben, zumindest aber müssen die Kriterien der Strafverfolgung geklärt werden.