Styles und Massenmilitanz der »Autonomen Nationalisten«

Brauner Block in Schwarz

Nach dem Style kopieren Neonazis jetzt auch die Massenmilitanz der Autonomen. Am Wochenende zogen »Autonome Nationalisten« durch Dortmund, ihr Konzept scheint Potenzial zu haben.

Samstagnachmittag in Dortmund: Parolen gegen »imperialistische Aggressionskriege« schallen durch die Straßen. »Wir wollen, dass Schluss ist mit imperialistischen Kriegstreibereien«, fordern Redner und warnen vor »innerem Wesen und Funktionsprinzipien« des Kapitalismus, die dem amerikanischen Staat ebenso wie den übrigen Staaten westlich-demokratischer Prägung zugrunde lägen. Die Demonstranten tragen überwiegend dunkle Baseballcaps, Sonnenbrillen, Kapuzenpullover, schwarze Hosen und Sport­schuhe. Hier ziehen am 6. September allerdings nicht modische Friedensbefürworter mit antiimpe­rialistischer Intention vom Südbad zum S-Bahnhof Körne. Fünf Tage nach dem Antikriegstag mar­schieren Neonazis durch die Straßen und grölen: »Nie mehr Krieg – nach unserem Sieg«. Da und dort sind auch noch Nazis mit Glatzen zu sehen, »Schwarze Blöcke« der »Autonomen Nationalisten« dominieren jedoch den Marsch. Jene Aktivisten aus dem Netzwerk der »Freien Kameradschaften« also, die bemüht dynamischer und militanter auftreten.

»We will rock you« und andere anglizistische Parolen wie »Fight the system« sind längst kein Tabu mehr. In Dortmund greifen Neonazis aus dem Aufmarsch heraus auch Polizeibeamte an. Feuerwerkskörper, Fahnenstangen, Batterien und Flaschen fliegen den Beamten entgegen. Wenige Meter vor dem Ort der Abschlusskundgebung beendet die Polizei den Marsch. Der Anmelder Dennis Giemsch aus Dortmund dürfte ­verstimmt gewesen sein. Mit Pfefferspray geht die Polizei gegen seine Kameraden vor, die eine Verkürzung der Route nicht akzeptieren wollen.
»Viele Teilnehmer zeigten ein hohes Gewalt- und Aggressionspotenzial«, erklärt später Polizei­einsatzleiter Dieter Keil. Die lokale Presse wird noch deutlicher: »Es ist der Neonazi-Aufmarsch in Dortmund mit dem bisher größten Aggres­sions- und Gewaltpotenzial.« Seit vier Jahren rich­tet vor allem der »Nationale Widerstand Dortmund« diese vermeintliche Friedensdemonstration aus. Im vergangenen Jahr kamen 500 Kameraden zu dem Marsch. Nun, 2008, folgten 1 100 Neonazis dem Aufruf. Ein Zulauf, der bereits dem Mythos der »Autonomen Nationalisten« mit geschuldet sein kann.
Am 1. Mai dieses Jahres war die Polizei in Hamburg von jenen »Freien Kameradschaften« überrascht worden. Aus Nordrhein-Westfalen waren zahlreiche »Autonome Nationalisten« an die Elbe zu dem Marsch unter dem Motto »Arbeit und soziale Gerechtigkeit für alle Deutschen« angereist. Schon auf dem Weg zum Auftaktsort an der S-Bahn Barmbek gerieten Neonazis und Gegendemonstranten aneinander. Begleitet von Parolen wie »Keine Kontrolle« und »No justice, no peace, fight the police« versuchten die Neonazis später, sich Polizeikontrollen zu entziehen, griffen dann während des Marsches Journalisten, Polizisten und Gegendemonstranten an.
Am Tag darauf räumte Hamburgs Polizeipräsident Werner Jantosch ein, auf dieses »rechts­extre­me Gewaltpotential« nicht eingestellt gewesen zu sein. Polizeieinsatzleiter Peter Born ergänzte: »Auf Stichwort schlugen sie auf Linksautonome ein.« Den Auftritt feierten nicht bloß »Freien Kameradschaften«. Im Internet finden sich bei Youtube diverse Clips zum rechten 1. Mai an der Elbe. Unterlegt mit Rechtsrock zeigen sie, wie »Autonome Nationalisten« Polizisten wegdrängen, Bauzäune umreißen und Journalisten schlagen.
»Was geht in Dortmund?« wird sich so auch mancher auf dem Weg gespannt gefragt haben. Der große Zulauf am 6. September dürfte auch durch die starke Präsenz der »Autonomen Nationalisten« in Nordrhein-Westfalen mit möglich geworden sein. Bundesweit treten in den vergangenen Jahren verstärkt »Freie Kameradschaftler« im bei den Linksautonomen kopierten Style, Methodik und Habitus auf. Das bedeutet aber nicht zwangsläufig, dass sie sich auch als »Autonome Nationalisten« verstehen. Manch ein Neonazi wechselt bloß den Dress, um endlich ohne Glatze, Bomberjacke und Springerstiefel hip zu erscheinen. Vor allem jüngere Neonazis im Alter von 18 bis 25 Jahren schließen sich solchen Kameradschaften an. Eine »militante Randerscheinung« erklärte noch 2007 Verfassungsschutzchef Heinz Fromm. Nun, im Jahr 2008, spricht er von einer »neuen Qualität« der rechtsextremen Gewalt und schätzt die sich selbst als »Autonome Nationalisten« verstehenden Neonazis auf etwa 500 Personen. Tendenz steigend, denn insbesondere ihr aktionistischer Style, ihr erlebnisorientiertes Auftreten ziehen an.
In Nordrhein-Westfalen wenden sich so auch weiterhin Kameradschaften diesem Habitus zu. »Mittlerweile bestehen an die 20 Gruppen der ›Autonomen Nationalisten‹«, erklärt Jürgen Peters vom »Antirassistischen Bildungsverein« und hebt hervor: »Hier scheinen sie auch für sich neue Aktionsformen und Ausdrucksweisen auszuprobieren.« Der »Nationale Widerstand Dortmund« verfolgt dieses Konzept ganz gezielt. Ein Videoclip auf seiner Website zeigt, vertont mit Rechtsrock und aufgepeppt mit Schwarz-Weiß-Effekten, wie die Kameraden Aufkleber anbringen, Parolen wie »Nationaler Sozialismus oder Untergang« sprayen und plakatieren. Dynamische Bilder von Aufmärschen und Gerangel mit der Polizei folgen, bevor eine vermummte jung Frau erklärt: »Wir wollen eine Volksgemeinschaft, in der man füreinander da ist.« Ein ebensowenig erkennbarer junger Mann meint, durch die Zuwan­derung seien Deutsche genötigt, für Billiglöhne zu arbeiten und ein weiterer sagt: »Das System der Politiker ist nur fürs Kapital.«
Erstmals tauchten »Autonomen Nationalisten« im Jahr 2002 auf. Linke Styles und autonome Aktionsformen kopierten Neonazis nach 1945 aber schon häufiger. Der Mitbegründer der »Feien Kameradschaften«, Christian Worch aus Hamburg, räumt selbst ein, bei den Linken abgeguckt zu haben. Nach Verboten von neonazistischen Kleinstparteien und Vereinen Anfang der neunziger Jahre überlegte er, warum »bei der radikalen Linken und Antifa Verbote ohnehin nicht greifen«. Nicht uneitel führt er aus, Ende 1992, Anfang 1993 habe er das Konzept der Kameradschaften als strukturelle Organisation ohne formale Organisation entwickelt. Ein Erfolgsmodell für die »nationale Bewegung«. Mit diesem Netzwerk aus militanten Neonazis, aggressiven Rechtsrockmusikern und gewaltbereiten Neonazi­skinheads gelang es, insbesondere rechtsorientierte Jugendliche anzusprechen, da das »Kameradschaftsleben zwischen Aufmärschen, Konzerten und Partys ausstrahlt«. Lässig laufen deren Anhänger mit Che-Guevara-Shirts herum oder tragen Palästinensertücher, als sichtbares »Nein« zum Staat Israel. »Jeder, der begriffen hat, dass wir mit Betteln nicht weiterkommen, sondern uns unsere Forderungen erkämpfen müssen, kann beim nationalrevolutionären schwarzen Block mitmachen«, schrieben »Autonome Na­tionalisten« 2004 und: »Suppport your local NS black block«.

Eine theoretisch-ideologische Positionierung fand sich lange nicht bei den »Autonomen Nationalisten«. Erst im Juni 2007 erklärten die »AN Nord-West«: »Das Konzept des politischen Soldaten ist der exekutiven Macht des Systems heute nicht mehr gewachsen. An seine Stelle tritt der politische Partisan, der sich (…) anonym in der Gesellschaft, die er ablehnt, bewegt, um sie gezielt im Sinne der nationalen Revolution zu unterwandern.« Feste Strukturen würden durch ein dich­tes Netzwerk an Aktivisten überflüssig, schrei­ben sie weiter in ihrem »Selbstverständnis«. Die »Autonomen Nationalisten Bundesweite Aktion« (ANBA) betonen in einer Selbstdarstellung vom April 2008 ein »nationalistisches und sozialistisches Deutschland« erkämpfen zu wollen. Hauptfeinde für sie: Staat, Antifa und Amerika.
In Nordrhein-Westfalen diskutiert die Antifa-Szene, wie sich Nazi-sein mit »autonom« überhaupt vertragen kann. »Gar nicht«, meint Peters: »Die ›Autonomen Nationalisten‹ treten für ›eine deutsche Kultur‹ mit internationalen Codes und Symbolen an – mehr als nur ein Widerspruch.« Das brüchige Konzept, warnt Peters, müsse aber nicht den Zulauf bremsen. »In Hamburg bestehen solche Gruppen nicht«, sagt Stefan Bauer vom »Antifa Info Pool« und betont, bei den Gewalttaten seien auch altbekannte Neonazischläger beteiligt gewesen. Das Rechte Linke kopieren, führt an der Elbe zu keinen großen Debatten in der linksautonomen Szene. »Offenbart das nicht eher wieder die zusammengeklaubte Identitätssuche der Neonazis?« fragt Bauer.

Als »Nationale Sozialisten« bezeichnen sich in Sach­sen alle Kameradschaften des »Freien Netzes«, die zugleich die autonomen Aktionsformen immer mehr übernehmen. Claudia Schmidt von der »Antifaschistischen Aktion Karl-Marx-Stadt« erklärt: »Der Lifestyle der Rechten ähnelt dem von Linken immer mehr, in Chemnitz dis­kutieren wir das selbstverständlich.« Von einem »Klauen« will sie aber nicht sprechen, sie betont stattdessen: »Viele Nazis haben einfach keinen Bock mehr auf die verbohrte Ideologie der ›Alten‹ und suchen sich halt was Neues.« Selbstkritisch reflektiert werden müsse, weshalb sich der »linke Lifestyle« so einfach von Neonazis kopieren lasse, meint Schmidt.
Aber auch die NPD zeigt sich immer wieder besorgt über die kopierten links-autonomen Erscheinungsformen des rechtsextremen Nachwuchses, natürlich aus ganz anderen Gründen. Denn quer durch die Partei befürchten Kader, dass ihre mühevoll aufgebaute Verbürgerlichungs­politik durch diese massive Gewaltpraxis der »Autonomen Nationalisten« karikiert werden könnte. Worch warnt schon vor tiefen Brüchen. Und der Samstag in Dortmund dürfte die Diskussion bundesweit anheizen.