Tierschutz statt Tierrechtsideologie!

Menschlich bleiben!

Ein Plädoyer für den Tierschutz und gegen politischen Veganismus und die Tierrechtsideologie.
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»Ich empfand es als besonderes Glück, dass ich neben meinen Söhnen junge Menschenaffen großziehen konnte. Einen großen Unterschied im Verhalten zwischen Menschen- und Affenkindern habe ich nicht bemerkt. Beide waren, je nachdem, lustig und ausgelassen oder traurig und schlecht gelaunt. Und alle brauchten Mutter­liebe und viel Verständnis.« Hildegard Grzimek, die Frau des 1987 verstorbenen Zoologen und Tier­forschers Bernhard Grzimek, beschrieb in dem Buch »In meinem Herzen haben viele Tiere Platz« (1970) sehr anschaulich, wie unfassbar ähnlich sich die Schimpansen und Rhesusaffen, die ihr Mann aus dem Frankfurter Zoo mit nach Hause brachte, und die eigenen Kinder (in den ersten Lebensjahren) beim Essen und Spielen verhielten und wie wenig Unterschiede sie bei der »Erziehung« machen musste.
Bernhard Grzimek war ein großer Tierfreund und ein engagierter Tierschützer. Ein Tierrechtler war er nicht. Ich weiß noch, wie verwirrt ich war, als mir Grzimek in einem Brief schrieb, dass er nicht grundsätzlich gegen Tierversuche sei. Ich war acht Jahre alt und hatte gerade den Tier-Rettungs-Dienst (T.R.D.) gegründet und Grzimek als Ehrenmitglied gewonnen. Tierrechtler gab es damals noch nicht in meiner Wahrnehmung, ebenso wenig eine antispeziesistische Ideologie. Es war allein mein kindliches Gemüt, das Ungerechtigkeit empfand angesichts der Bilder blutig geschlachteter Robbenbabys. Mein erstes Flugblatt argumentierte in holprigem Grundschuldeutsch gegen Pelzmäntel, wir haben mit un­serem Club auch Flugblätter gegen Massentierhaltung verteilt – und einen entflogenen Wellensittich zu seinem Besitzer zurückgebracht. Auf die Idee, Vegetarier zu werden, bin ich nie gekommen. Ich habe mich aber auch wirklich für Tiere interessiert, ging gerne in den Zoo und habe Grzimeks Fernsehsendung »Ein Platz für Tiere« immer mit großem Interesse verfolgt. Daher wusste ich: Tiere essen Tiere, das ist keine Schande.

Wer heute jung ist und Tiere mag, gerät viel leich­ter als damals in eine Szene, die sich »Tierrechtler« oder »Tierbefreier« nennt. Vegetarisch zu leben oder gar vegan, gehört selbst in der radikalen Linken und bei Antideutschen zum guten Ton. Sogar als kommunistische Herrschaftskritik wird die Tierrechtsideologie gepriesen. In einem Aufruf zum »Antispeziesistischen Kongress« im August hieß es: »Durch die kapitalistische Produktionsweise wird ›das Tier‹ zum verwertbaren Objekt.« Als ob die Steinzeitmenschen nicht gewusst hätten, wie man Tiere verwertet.
Aus Sicht dieser neuen Tierrechtlerbewegung, die grundsätzlich jedes Töten von Tieren ablehnt und für Tiere Menschenrechte fordert wie etwa das Recht auf physische und psychische Unversehrtheit, ist der Zoodirektor Grzimek vermutlich ein Verräter. Doch was tun diese Leute in der Praxis? Sie verzichten darauf, Fleisch und alle tierischen Produkte zu essen, sägen Hochsitze von Jägern an und demonstrieren gegen Pelztierzucht oder befreien gar ein paar Hühner aus einer Hühnerfarm. Effektiv haben sie damit kaum den Tod auch nur eines Tieres verhindert, denn das Ei, das sie nicht essen, isst eben jemand anderes, vielleicht sogar ich. Vor allem beruhigen sie ihr Gewissen. Grzimeks Engagement hingegen verdanken wir unter anderem den Serengeti-Nationalpark.
Bei Veganismus und Tierrechten geht es nicht um Tierschutz, sondern um Ideologie. Eine gefährliche Ideologie, denn sie untergräbt die Menschenrechte, die sich wohlweislich von den meist brutalen und alles andere als gerechten »Gesetzen der Natur« unterscheiden. Ihr wichtigstes Anliegen ist es, die Grenze, die zwischen Mensch und Tier gezogen wurde, in Frage zu stellen. Eine Grenze, die dazu dient, für ausnahmslos alle Men­schen das gleiche Recht auf Leben, Freiheit und Unversehrtheit einfordern zu können.
Warum habe ich zu Beginn die Szene aus dem Hause Grzimek beschrieben, in der diese Grenze doch so offensichtlich dekonstruiert wird? Weil diese Grenze, da haben die Tierrechtler Recht, eine biologisch willkürliche, künstliche, eben mensch­liche ist, weil es gar nicht um den von Tierrechtlern – zuweilen mit Judith Butler im Gepäck – gerne kritisierten »Mensch-Tier-Dualismus« geht. Den möchten die Tierrechtler gerne aufheben, nur: Es gibt ihn (außerhalb einiger Religionen) gar nicht, kein seriöser Biologe würde ihn behaupten. Der Mensch wird allgemein der Familie der Menschenaffen zugeordnet, Menschen und Affen sind sich ganz offensichtlich sehr ähnlich, ähnlicher jedenfalls als ein Wurm und ein Gorilla. Es ließe sich, biologisch argumentiert, genauso plausibel darlegen, weshalb die Grenze zwischen Säuge- und Kriechtieren oder zwischen Vögeln und Insekten oder zwischen Fischen und Pflanzen gezogen werden sollte, statt zwischen Mensch und Tier.
Die Tatsache, dass wir ausgerechnet zwischen Menschen und den restlichen Tieren trennen, ist nicht biologisch oder ethisch zu begründen. Je­de andere Grenzziehung aber auch nicht. Und da, wo es versucht wird, wird es gefährlich. Etwa wenn der Spiritus rector der Tierrechtsideologie, Peter Singer, versucht zu erklären, dass das entscheidende Kriterium zur Unterscheidung die Leidensfähigkeit von Lebewesen sei, und damit manchen behinderten Menschen und Neuge­borenen das grundsätzliche Recht auf Leben abspricht.

Gar keine Grenze zu ziehen, zu behaupten, Tiere allgemein, also jedes Tier, hätten dasselbe Recht auf Leben wie Menschen, würde aber bedeuten, sämtliche Menschen zu Mördern zu ­erklären. Auch der konsequenteste Veganer tötet jeden Tag Hunderte, wenn nicht Tausende Tiere. Allein auf seinem Weg zum Bio-Markt zerquetscht er sie achtlos unter seiner Sohle. Konsequenterweise müssten nach der Logik der Tierrechtler aus­nahms­los alle Menschen und ebenso Tiere bestraft werden – oder man befände Mord allgemein für legitim. Wohin die Relativierung von menschlichen Verbrechen führt, kann man an der Tierrechtsbewegung sehen, in der regelmäßig Vergleiche zwischen Tierquälerei und dem Holocaust angestellt werden.
Doch die Veganer kümmern sich in der Regel gar nicht um Ameisen, Würmer und anderes Geschmeiß, sondern um Tiere mit großen Augen, die einen traurig oder süß angucken können. Um Affen, Hunde, Katzen, Rinder, Lämmer, Küken und kuschelige Pelztiere. Die anderen 99 Prozent der Tierwelt kommen in ihrer Gedankenwelt kaum vor. Menschenrechte für Tsetsefliegen und Motten fordern sie nur indirekt oder zum Teil auch gar nicht. Damit ziehen sie aber genauso willkürlich eine Grenze, die nicht biologisch erklärt werden kann. Also muss sie ethisch erklärt werden, und folglich kommt man um Kriterien wie »Leidensfähigkeit« oder ähnliches nicht herum. Keines solcher ethischen Kriterien kann ­jedoch auf jeden einzelnen Menschen zutreffen, und genau deshalb untergräbt diese Ideo­logie die Menschenrechte.
Auch die Tatsache, dass sich der Mensch grund­sätzlich vom Tier dadurch unterscheidet, dass er selbstreflektierend ist, über seine Instinkte hi­naus und gegen sie handeln kann, eine Geschichts­schreibung pflegt und über die persönliche Zukunft hinaus planen kann, ist zwar eine wich­tige Feststellung, die erklärt, weshalb die Spezies Mensch in der Tat etwas ganz Besonderes ist, taugt aber für die Festlegung einer Rechtsgrenze nicht. Denn man könnte wiederum manche geistig behinderte Menschen, Kleinkinder, Koma-Patienten usw. davon ausschließen, im Grunde sogar schlafende Menschen.
Welch enorme Bedeutung die allgemeine Verständigung darauf hat, die Grenze nicht zwischen bestimmten Tierarten, sondern kategorisch zwischen Mensch und Tier zu ziehen, erkennt man auch daran, dass dies früher nicht selbstverständlich war. Noch Anfang des 20. Jahrhunderts wurden in Zoos bei so genannten Völkerschauen neben Tieren auch Menschen anderer Kontinente zur Schau gestellt. Stellt man die Mensch-Tier-Grenze in Frage, öffnet man dafür die Tür, Grenzen zwischen den Menschen zu ziehen. Und welche Auswirkungen es hatte, die Menschen in verschiedenwertige »Rassen« zu unterteilen, muss an dieser Stelle nicht ausgeführt werden.

Die Ideologie des Veganismus ist höchst gefährlich, vegetarisch zu leben nicht. Nichts spricht dagegen, dass sich Menschen entscheiden, weniger oder auch gar kein Fleisch zu essen. In der Tat hat der täglich wachsende Fleischkonsum weit­reichende Folgen für die globale Ökologie. Allerdings wird die Welternährung auch unabhängig vom Fleischkonsum eines Tages ein Problem werden. Es könnte dennoch nützlich sein, wenn insgesamt weniger Fleisch gegessen würde, nur darf man nicht und braucht man auch nicht dies tierrechtlerisch bzw. ethisch begründen. Das gilt auch für andere Aspekte des Tierschutzes.
Zum Beispiel Massentierhaltung. Tatsächlich erfüllen viele dieser Fabriken den Tatbestand der Tierquälerei, und es ist gut und notwendig, immer wieder eine bessere Tierhaltung einzufordern. Ein Verzicht auf die Massentierhaltung würde allerdings erfordern, wie in der Bio-Landwirtschaft sämtlichen Rindern auf Weideland Aus­lauf zu gewähren. Das jedoch würde eine Weide­fläche beanspruchen, bei der wohl kaum ein Urwald dieses Planeten überleben würde. Bio-Fleisch kann also keine Alternative sein. Fleischverzicht dann schon eher. Allerdings sind es vor allem die aufholenden Länder, die den Welt-Fleischkonsum erhöhen, und wer will als Wohlstandseuropäer, der sich im Supermarkt jederzeit ein wohlschmeckendes vegetarisches Menü zusammenstellen kann, ausgerechnet den Menschen in den Entwicklungsländern das Recht absprechen, jetzt auch mal ein ordentliches Steak zu essen statt immer nur Reispampe? Sich vegetarisch oder vegan zu ernähren, bedeutet im Übrigen nicht, dass dafür keine Tiere getötet wer­den. Man kann die Existenz-Frage »Kartoffel oder Kartoffelkäfer« bzw. »Reis oder Reiskäfer« nur dann zugunsten der Pflanzenschädlinge beantworten, wenn einem die Ernährung der Weltbevölkerung am Hintern vorbeigeht.
Anderes Beispiel: Tierversuche. Selbstverständ­lich ist es richtig, den überflüssigen Verbrauch von Tieren für die Entwicklung des hunderttausendsten Lippenstifts zu kritisieren (in Deutschland sind Tierversuche für Kosmetika allerdings bereits seit 1998 verboten). Doch wenn man auch nur ein bisschen Verantwortungsgefühl für z.B. die HIV-Katastrophe Afrikas besitzt, ist eine grundsätzliche Ablehnung aller Tierversuche indiskutabel. Die Alternative würde bedeuten, Medizin u.ä. an Menschen testen zu müssen, wie es die tierfreundlichen deutschen Nationalsozialisten praktizierten, die tatsächlich weitgehend Tierversuche abgeschafft hatten.
Eine sehr fortschrittliche Position vertreten po­li­tische Veganer allerdings (hier wäre auch der Link zu Gender-Theorien zulässig), nämlich die, dass der Mensch, unabhängig davon, dass er biologisch gesehen ein Allesfresser ist, sich entscheiden kann – auch gegen »seine Natur«. Dafür, kein Fleisch zu essen etwa. Genau diese Fähig­keit ist es jedoch, die den Menschen von allen anderen Spezies unterscheidet und auf der jede Kultur und Zivilisation gründet – und zugleich ist sie das offensichtlichste Argument gegen Anti­speziesismus. Für den Menschen ist die Natur ein Konstrukt, sie ist relativ. Für Tiere ist sie alles.