Interview mit Klaus Farin über die »Brutalisierung« der Rechtsextremen und neue Nazi-Subkultur

»Nazis modernisieren sich nicht«

Klaus Farin ist Mitbegründer des »Archivs der Jugendkultur« und Autor zahlreicher Publikationen zu Jugend- und Subkulturen, Neonazis und Jugendgewalt.

In den vergangenen Wochen fällt im Zusammenhang mit rechten Gewalttaten immer wieder das Schlagwort der »Brutalisierung«. Der Bremer Verfassungsschutz beispielsweise spricht von einem Rückgang rechter Gewalttaten bei gleichzeitigem Anstieg der Brutalität. Teilen Sie diese Beobachtung?
Eigentlich nicht. Ich halte das für genauso falsch wie die Behauptung, dass die Jugend immer brutaler wird. Es sind lediglich ein bis zwei Prozent der Gewaltstraftäter, die offenbar brutaler vor­gehen, darunter nur ein verschwindender Teil Jugendlicher. Die Medien sind immer schnell dabei, von steigender Gewalt zu sprechen. Dabei gab es in den vergangenen Jahren eine Reihe äußerst brutaler rechter Gewalttaten. Da wurden Leute ertränkt, weil sie blond gefärbte Haare hatten. Bereits 1985 wurde ein Türke mit einer Gehwegplatte erschlagen, ein anderer vor die Straßenbahn getrieben.
Derzeit wird aber davon geredet, dass die ­Gewalt der Nazis immer willkürlicher werde. Opfer seien nicht mehr nur eindeutig Linke, Ausländer etc.
Das ist einerseits richtig, andererseits hatten die Nazis schon immer ein sehr großes Reservoir an Feindbildern. Es reichen eine Brille oder ein bisschen zu lange Haare. Jeder, der nach Skater oder HipHopper aussieht, sprich »undeutsche« Kultur verkörpert, ist in bestimmten Gegenden vor Nazis nicht sicher. Ein Großteil der Neonazis hat ein Gewalt- und ein Alkoholismusproblem. Das ist überhaupt der Grund, warum diese Leute sich bevorzugt in dieser Szene finden und nicht unter Theologie-Studenten. Das Kennzeichen der militanten rechten Szene ist ja gar nicht das Politische, sondern der gelebte Sozialdarwinismus, die gelebte Rambo-Kultur.
Trotzdem wurde in den vergangenen Jahren die Organisation der Autonomen Nationalisten (AN) stärker. Entwickelt sich diese Organisation zum Vorbild für jugendliche Rechte?
Ja, aber sie werden häufig überschätzt. Ohne das gleichzusetzen zu wollen, aber der schwarze Block in Göttingen hatte auch eine clevere PR-Strategie, war aber nie repräsentativ für die autonome Szene. Die AN sind politisch, strategisch und clever, aber eine kleine Gruppe, wie im Übrigen der gesamte organisierte Bereich. Es gibt knapp 10 000 organisierte, militante Rechts­extremisten. Aber es gibt weit über 100 000 Jugendliche in rechten Schlägercliquen.
Hat deren Anzahl in den vergangenen Jahren zugenommen?
Nein. Ich würde eher das Gegenteil behaupten. Wenn man früher durch den Oranienburger Bahnhof gelaufen ist, musste man durch ein Spalier von Nazis gehen. Heute sitzen da Punks oder Skater. Im Osten hat zum Teil eine Rück­eroberung des öffentlichen Raumes stattgefunden. Der Nazi gilt auch unter den Jugendlichen im Osten nicht mehr als so cool.
Nazis im autonomen Look haben also keine Chance, die neue Nazi-Subkultur zu werden?
Die Behauptung, dass die Nazis sich modernisieren, ist ein Mythos. Guckt man sich in rechten Jugendclubs oder auf Demos um, sieht man Skinheads und normal Gekleidete. Die drei rechten Iro-Träger, die es gibt, kennt man inzwischen. Man trifft in der rechten Szene keine Skater oder HipHopper, weil das die Gegner sind, weil das »undeutsche« Kultur ist. Die vermeintliche Modernisierung, die die Rechten gerne proklamieren, wird peinlicherweise von Teilen der Antifa, den Medien und auch dem Verfassungsschutz als Wahr­heit behandelt. Dabei ist das so, wie wenn die NPD ständig behauptet, dass sie einen enormen Zuwachs an Frauen hätten. Natürlich sind Organisationen wie die AN darum bemüht, ein zeitgemäßes Auftreten zu inszenieren, aber es gibt dafür keine ausreichende Klientel. Nazis modernisieren sich nicht. Eein gewöhnlicher Rechter will dort sein, wo er nicht auf »Negermusik« trifft, wo nichts Fremdes durch die Türe kommt und alles beim Alten bleibt. Eine wirkliche Modernisierung der Nazis würde doch dazu führen, dass sich ihre Klientel auflöst.
Könnte die politische und militante Radikalisierung der rechten Szene durch die an eine Entwicklung in Richtung rechter Terror nehmen?
Es gibt immer Durchgeknallte. Aber für ein politisches Konzept von rechtem Terror sind die Nazis zu dumm und haben zu viele Denunzianten in den eigenen Reihen. Wenn das klappt, dann nur mit Hilfe des Staatsschutzes. Allerdings kann eine Radikalisierung aus einem Ohnmachtsgefühl heraus derzeit durchaus erfolgen, weil der parlamentarische Erfolg der Rechten ausbleibt, und das hat immer wieder zu solchen Entwicklungen geführt.