Die Rehabilitierung des »guten« Faschismus in Italien

Faschisten in gutem Glauben

Die regierenden Postfaschisten in Italien gehen in die vergangenheitspolitische Offen­sive. Immer häufiger bekennen sich ihre Vertreter zum »guten« Faschismus und stellen damit die Grundprinzipien der italienischen Verfassung in Frage. Die Linke steht diesem neuen Revisionismus ratlos gegenüber.

In Italien ist die Aufarbeitung der faschistischen Vergangenheit eine Glaubensfrage. Anfang September verkündete Verteidigungsminister Ignazio La Russa, einst militanter Anhänger der faschistischen Nachfolgepartei MSI und heute einer der prominentesten Vertreter der post-faschistischen Alleanza Nazionale (AN), dass die »historische Komplexität des totalitären Phänomens in Italien« nur zu verstehen sei, wenn auch diejenigen geehrt würden, die »in gutem Glauben« in der Uni­form der faschistischen Republik von Salò für die Sache des Faschismus kämpften und starben.

Der Zeitpunkt des vergangenheitspolitischen Angriffs war bewusst gewählt. Vor 65 Jahren, am 8. September 1943, vereinbarte die italienische Regierung mit den anglo-amerikanischen Alliierten einen Waffenstillstand. Daraufhin wurde Italien vom Norden her bis zur Hauptstadt von der Wehrmacht besetzt. Unter der Protektion Nazideutschlands wurde in Salò die Sozialrepublik Italien ausgerufen und Benito Mussolini als Staatschef einer faschistischen Marionettenregierung eingesetzt.
Seit Jahren schon polemisiert die Rechte gegen die Tradition, am 8. September der italienischen Widerstandsbewegung, der Resistenza, zu gedenken. Dieses Datum gilt ihr nicht als Geburtsstunde der antifaschistischen, demokratischen Republik, deren Prinzipien nach dem Krieg in einer bis heute geltenden Verfassung festgeschrieben wurden, sondern als nationale Tragödie, die den »Tod des Vaterlandes« markiert.
Diese offen revisionistische Haltung konnte sich aufgrund der wiederholten Wahlerfolge des Rechts­bündnisses etablieren. Die von Silvio Berlus­coni angeführte Koalition setzt sich ausschließlich aus Parteien zusammen, die nicht an der Ausarbeitung der Verfassung beteiligt waren, sie fühlt sich deshalb der italienischen Verfassung auch nicht verpflichtet und strebt seit jeher eine »institutionelle Reform«, eine als »Modernisierung« getarnte Aufhebung der bisherigen Verfassungsordnung an, mit dem Ziel, die parlamentarische Demokratie durch ein starkes Präsidialsystem zu ersetzen.
Die Wiederwahl Berlusconis im Frühjahr sollte deshalb nicht als schlichte Neuauflage des ewig gleichen Rechtsbündnisses missverstanden werden. Die rassistische Migrations- und Ausländerpolitik, verbunden mit der Militarisierung des öffentlichen Raums, stehen für ein qualitativ anderes Verständnis der Republik. Viele Gesetze werden mittlerweile per Dekret erlassen, womit die parlamentarische Debatte und Kontrolle de facto aufgehoben ist. Unter dem Vorwand, einen »Notstand« beheben zu müssen, werden fundamentale Grundrechte der Verfassung eingeschränkt oder ganz außer Kraft gesetzt. Die Regierung beruft sich zur Rechtfertigung ihrer autoritären Politik auf die »Volkssouveränität«. Nicht auf die mittelbare, die das Grundgesetz mit einer Garantie für die Minderheit festschreibt, sondern auf die unmittelbare, die in den Meinungsumfragen als »Mehrheit« zum Ausdruck kommt.

Die Linke hat dem nichts entgegenzusetzen. Sie hat nicht nur den Kontakt zu ihrer Wählerschaft verloren. Das »Volk«, auf das sie sich bisher stets unkritisch bezog, ist ihr angesichts der fortgesetzten xenophoben Hetzkampagnen fremd geworden. Seine Verwandlung in eine gefährliche, hasserfüllte »Plebs«, diese scheinbar plötzliche »Unsensibilität der Massen«, schreibt der Turiner Politologe Marco Revelli, sei für die Linke »unverständlich« und nur schwer zu »entschlüsseln«.
Dem Revisionismus der Rechten begegnet die Linke mit moralischer Empörung und einer zur traurigen Rhetorik erstarrten Verteidigung der Resistenza. Dabei wäre eine Entmythologisierung des italienischen Widerstands längst überfällig. Dass die Resistenza keine Massenbasis hatte und von keiner einheitlichen, antifaschistischen Identität getragen wurde, hat eine kritische, keineswegs anti-antifaschistische Historiographie längst nachgewiesen. Diese Forschungsergebnisse bestimmen aber nicht das allgemeine linke Bewusstsein. Vor allem fehlt eine kritische Auseinandersetzung mit den zwei Jahrzehnten faschistischer Herrschaft, die dem Befreiungskrieg vorausgingen. Die in der Gesellschaft verbreiteten rassistischen, antislawischen und antisemitischen Vorurteile werden nie im Kontext der nicht aufgearbeiteten Vergangenheit der Kolonialkriege in Afrika, der faschistischen Expansion auf dem Balkan und der nicht erst auf Drängen Nazideutschlands eingeführten antisemitischen »Rassengesetze« betrachtet. Im Gegenteil. Die stereotype Abwehr, die den als »zingari« beschimpften Sinti und Roma auch von linksliberalen Parteigängern entgegenschlägt, vor allem aber die aggressive Frontstellung gegen Israel, wie sie für die radikale Linke typisch ist, machen deutlich, wie sehr die italienische Linke selbst mit der Geschichte der »unsensiblen« Massen verbunden ist.

Anstatt sich dieser Geschichte zu stellen, wird der politische Gegner stets unreflektiert als »Faschist« bezeichnet. Auch jetzt wird der historische Vergleich wieder bemüht, um die Politik der Rechten als »postmodernen« oder »postfordistischen«, jedenfalls irgendwie »neuen« Faschismus anzuprangern. Die Suche nach dem geeigneten Adjektiv wirkt umso hilfloser, je offener sich namhafte Vertreter der rechten Koalition zur Tradition des historischen Faschismus bekennen.
Noch bevor La Russa das faschistische Fall­schirm­jägerbataillon Nembo mit allen offiziellen Ehren bedacht sehen wollte, hatte bereits der römische Bürgermeister Gianni Alemanno, ausgerechnet anlässlich seines Besuchs in Jerusalem, den Faschismus nicht grundsätzlich verdammen wollen. Die »Rassengesetze« seien wohl »absolut böse« gewesen, gehörten aber nicht zum originären Faschismus. Damit predigt Alemanno vom Kapitol der italienischen Hauptstadt herab die alte neofaschistische Unterscheidung zwischen einem »bösen«, rassistischen Nazifaschismus und einem guten, »sozialen« Mussolinismus.
Auch diesem, ungleich schärferen revisionistischen Angriff wird die Linke nicht entgegentreten können, solange sie sich weigert, das Fortleben der faschistischen Ideologie innerhalb der italienischen Demokratie zu reflektieren. Die Beschwörung des Resistenza-Mythos vernebelt ihr den Blick. So begrüßten die linken Leitartikler nahezu einstimmig die »Klarstellung« des Vorsitzenden der AN und Präsidenten der Abgeordnetenkammer Gianfranco Fini, auch wer »in gutem Glauben« für Salò gekämpft habe, habe »auf der falschen Seite« gestanden. Dass er gleichzeitig betonte, nur jene Partisanen, die nicht in den Reihen der Kommunisten kämpften, hätten auf der richtigen Seite gestanden, und damit das Erbe des ehrenwerten Antifaschismus für die antikommunistische Rechte vereinnahmte, überhörten die meisten Kommentatoren.
Nicht zu überhören war dagegen die laute und schroffe Ablehnung, die Fini nach seinem Auftritt vor der Parteijugend entgegenschlug. Die Jugendlichen der AN sympathisieren offen mit militanten neofaschistischen Gruppierungen. Finis Bestrebungen, die Partei ins bürgerlich-konservative Lager zu führen, stoßen jedenfalls an der Parteibasis auf entschiedenen Widerstand.