Migration nach Mallorca

California Dreaming

Die mallorquinischen Behörden sehen endlose »Flüchtlingsströme« auf die Ba­learen zukommen.

Anfang dieses Jahres sah Señor Ramón Rocías einen schrecklichen Verdacht bestätigt: Global agierende »Schlepperbanden« hätten auch Mallorca als Tor nach Europa entdeckt. Den balea­rischen Inseln drohe das gleiche Schicksal wie den Kanaren, nämlich die unkontrollierte Inva­sion afrikanischer boat people. »Wir wahren an den Küsten der Balearen höchste Wachsamkeit, um zu verhindern, dass die Inselgruppe Ziel eines neuen Flüchtlingsstroms wird«, versprach der balearische Regierungsbeauftragte. Zur Abwehr potenzieller irregulärer Migranten und ­ihrer Transporteure forderte Rocías von der Zentralregierung in Ma­drid die Installation von Radaranlagen an den Küsten Mallorcas. Auslöser der Hysterie war der Fund zweier leerer Boote im ­Januar an der mallorquinischen Südküste. Beam­te der Guardia Civil nahmen daraufhin 34 Menschen, mehrheitlich aus Algerien, fest, die sich nicht ausweisen konnten.

Tatsächlich haben sich die Migrationsrouten von Afrika nach Europa diversifiziert, seit Frontex, die 2004 gegründete »Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen«, ihre Präsenz vor den Küsten des spanischen und italienischen Festlands sowie insbesondere vor Westafrika drastisch verstärkt hat und Boote afrikanischer Mi­granten, auch auf hoher See, konsequent zurückschickt. So hat sich die Anzahl der – lebendig – auf den kanarischen Inseln angelangten boat people von 30 000 im Jahr 2006 auf rund die Hälfte nur ein Jahr später reduziert. Angestiegen ist dagegen die Zahl der auf See ertrunkenen, verhungerten oder verdursteten Flüchtlinge, aber auch derjenigen, die mit ihren Booten auf der italienischen Insel Lampedusa, auf Malta oder eben auf den Balearen an­legen. Insgesamt zehn Boote mit mindestens 126 Insassen wurden nach Angaben der Guardia Civil seit Mitte 2006 an den Küsten Ibizas und Mallorcas gefunden.
Rocías Angst vor den boat people aus den subsaharischen Ländern ist indessen eher Ausdruck von antiafrikanischer Xenophobie als von einer realistischen Einschätzung der Einwanderung nach Mallorca. Der Deutschen liebste Sonneninsel ist seit der Jahrtausendwende dabei, ihr Image als 17. Bundesland, Ballermannstrand und Rent­ner­paradies abzulegen. Nach wie vor sind zwar von den rund 600 000 registrierten Einwohnern der Insel 50 000 so genannte Residenten mit deutschem Pass, die auf Mallorca Immobilien be­sitzen. Doch das Inselleben ändert sich, wird kosmopolitischer, wenn auch nicht sozial gerech­ter.

»Neu-Kalifornien« nannte der Migrationsexperte Pere Salva Tomas von der Universität der Balearen dieses Phänomen kürzlich in einem Radio­inter­view. Ähnlich wie im Süden der USA finde man auch auf Mallorca heutzutage einerseits »hochqualifizierte Migranten, die aus den Ländern der EU kommen und Unternehmer sind«. Sie verdienen an den Residenten, machen Geschäfte in der zumindest bis vor kurzem boomenden Immobilienbranche, betreiben Reise­büros oder bieten als Ärzte und Rechtsanwälte ihre Dienste an. Allerdings hat der Bau- und Spekulationsboom in Spanien, der Ende der neun­ziger Jahre einsetzte, auch die Einwanderung von Menschen aus Ländern außerhalb der EU, insbesondere aus Marokko, Senegal, Ecuador oder Kolumbien verstärkt. Allein 15 000 ecuadorianische Staatsbürger leben inzwischen offiziell auf der Insel.
Doch die meisten lateinamerikanischen und afrikanischen Migranten haben keinen legalen Aufenthaltsstatus, dafür aber einen oder meh­rere der zahlreichen schlecht bezahlten und ungesicherten Jobs auf dem Bau, in Hotels und Restaurants, in der Landwirtschaft oder als interna, als Hausangestellte wohlhabender Migranten, Residenten oder Insulaner. Mindestens 100 000 solcher irregulären Arbeiter und Arbeiterinnen sollen Salva Tomas zufolge auf Mallorca leben. Dies ist eine Art der Ausbeutung, ohne die die Tourismusbranche zusammenbrechen würde. Mehr als 90 Prozent der Immigranten legt allerdings nicht mit dem Boot an, sondern fliegt mit einer der Billigfluglinien und einem dreimona­tigem Touristenvisum aus Madrid oder Barcelona ein. Im gleichen Flugzeug wie die Residenten.