Der Film »Das Fremde in mir«

Glücklich im Sorgenkino

Das Baby ist da! Jetzt steht Mutterliebe auf dem Programm. Der Film »Das Fremde in mir« verhandelt das deutsche Tabuthema Wochenbettdepression.

Die Botenstoffe sind durcheinander geraten. Armes junges Ding. Das erste Kind ist da, und nun das: Wochenbettdepression. Das kann den Job kosten. Vielleicht den im Blumenladen. Den als Mutter auf jeden Fall. »Das Fremde in mir«, mit diesem schönen Titel ist der Film von Regisseurin Emily Atef über die Festivals getourt – z.B. Cannes – und hat die Preise abgeräumt. Beim Internationalen Filmfest in Oldenburg gleich drei, u.a. »Bes­ter deutscher Film« und Publikumspreis.
Die Leute mögen die Erzählweise der Emily Atef. »Das Fremde in mir« ist erklärendes, froh machendes Sorgenkino: Wie, wo, wann bekomme ich diese Krankheit? Und was ist sie genau? Was mache ich damit, wenn ich sie habe? Und wie begegnen mir die Nachbarn und Freunde?
Das hat den Charme der »Sendung mit der Maus«, und die ist nun mal nicht umsonst berühmt: Kino ist gut und schön, aber wenn es was zu lernen gibt, ist das noch besser. Dieser pädagogische Ansatz begegnet einem im deutschen Film neuerdings an vielen Ecken. Randale, wie geht die eigentlich? (»Berlin – 1. Mai«, D 2007). Als junger Bürgermeister in einer niederrheinischen Stadt seine Frau betrügen, wie macht man das? (»Die Dinge zwischen uns«, D 2007); die Frau verhaut zu Hause ihren Mann, geht das über­haupt? (»Gegenüber«, D 2007) und nicht zu guter Letzt: Wie gründet man eigentlich eine bewaffnete Bande – mit Anleitung zum Rohrbombenbau (»Der Baader Meinhof Komplex«, D 2008).
Nach Recherchen der Regisseurin Emily Atef sind rund 20 Prozent der deutschen Mütter nach der Geburt depressiv. Ein Tabuthema, wie Atef zu berichten weiß. Auch wenn sie keinen Grund anführen kann, warum ausgerechnet die Wochenbettdepression in der Öffentlichkeit breitgetreten werden sollte, so ist ihr doch ein passabler Krankenfilm gelungen.
Es könnte so schön sein. Wie eben bei Rebecca und Julian (Johann von Bülow), dem Filmpärchen Anfang 30, das die Karrierefrage leidlich beantwortet hat (Er: Architekt mit Zeitvertrag, Sie: eigener Blumenladen) und sich nun zu vergrößern gedenkt.
»Hecheln, hecheln, hecheln«, rät die Hebamme, und da ist auch schon der neue Erdenbürger, juchhu, ein Junge. Im Normalfall versenden die glücklichen Eltern nun tolle Postkarten mit dem Foto eines quietschfidelen Säuglings und berichten dem Finanzamt von der Notwendigkeit einer neuen Steuernummer.
Nicht so Rebecca. Die Brüste tun es nicht wie vorgesehen, sondern weh. Der Einsatz der Milchpumpe bleibt sinnlos. Ein Schreikind ist der neue Sohn auch noch. Urgewalt des Kosmos, durch diesen Balg redet sie. Keine Frage: Diese Frau hasst den Klapperstorch. Das Kind würde sie nun gern zurückgeben und nur die Pralinen behalten wegen der sedierenden Wirkung. So schütteln sie die Weinkrämpfe.
Eine Aufgabe für eine Schauspielerin. Zunächst wird das Gesicht der Depressiven wenig bildtaugliche Informationen bieten. Dann aber wird Rebecca-Darstellerin Susanne Wolff tun, was die Verrückten so tun: durchknallen, völlig. Sich in den Busch verkriechen oder an den Baum hängen. Denn die Krankheit bietet der Schauspielerei immer ein gutes Podium.
Dass auch sonst nicht alles gerade ist in der Szenerie, dafür sorgen die Dialoge der Verwandten: »Wie geht es Matthew?« – »Nicht gut seit dem letzten Schub.«
Es sind solche Szenen, die den Betrachter ins Kinostück hineinziehen – o ja, seit dem letzten Schub geht es uns allen nicht mehr so gut. Wer würde das nicht unterschreiben.
Das Protokoll einer Ehe an der Unterkante der Mittelschicht, es wird noch richtig traurig. Im Schlafanzug flüchtet die junge Mutter in den nächtlichen Wald und mag dort nicht gefunden werden.
Rebecca hat sie nicht mehr alle. Grandios die Szene, in der sie das Kind einfach an der Straßenbahnhaltestelle liegen lässt. Erst viel später kommt die Panikattacke – aus dem Weg, mein Kind ist weg! Die Polizei ist immerhin schon nach 30 Minuten da. »Können Sie beweisen, dass das Ihr Kind ist?« In völlig irrem Zustand muss Rebecca zu Hause erst die Geburtsurkunde des Würmchens suchen, bis man ihr glaubt. Eingewiesen soll sie erst später werden. Die inzwischen einbezogenen öffentlichen Ordnungskräfte wie Polizei und Krankenhauspersonal attestieren der Patientin Unordentlichkeit und Suizidalität; damit kommt nun tatsächlich ein Tabuthema zum Vorschein – nicht nur in der besonderen Spielart Wochenbett-Trübsinn, sondern im Gesamtklassement Depression. Der Krankheit, bei der man sich die Schuhe nicht mehr selbst zubinden kann, weil man vor lauter Selbstmordabsichten vergessen hat, was Schuhe sind. Eine besondere Geisteshaltung, die verantwortlich sein soll für bis zu 13 000 Selbstmorde jedes Jahr nur in Deutschland. Das ist in der Tat ein relativ seltenes Thema.
Die Tabuisierung und Verharmlosung der Problematik verstärken das Leiden noch. Zumeist weiß die Umwelt einfach nicht, wie man mit dem Depressiven umgehen soll. Typische Reaktionen sind:
– Du hast doch nichts.
– Reiß dich zusammen.
– Ich mach den Job, damit du zu Hause bleiben kannst. Wir haben das gemeinsam so beschlossen.
– So ein süßer Fratz!
So spiegelt Atefs Film die neue Spießigkeit der Generation Post-Praktikum, die sich zumeist negativ auf die 68er-Eltern bezieht, aber hochgradig positiv auf die Großelterngeneration.
Und so ist die Situation der jungen Familie hier keine psychische Ausnahmesituation, sondern gilt als ein Verstoß gegen die Ordnung. Keiner bringt das schöner auf den Punkt als der Vater von Julian, der als Ehemann zwischen unsicherer Arbeit und prekärem Zuhause, zwischen Autorität und Verstehen hin- und herschwankt: »Es ist mir peinlich«, sagt der alte Mann, »dass mein Sohn so schwach ist.«
Selbst der Therapeut, den Rebecca in der Klinik kennenlernt, arbeitet nur aufs reibungslose Funktionieren hin: »Ich weiß, dass es Ihnen schlecht geht. Sie sind empfindlich wegen der Hormonschwankungen.« »Alle sind so begeistert von dem Geruch des Jungen«, antwortet die Mutter. »Ich hab da nichts gerochen. Ich hab’ gewollt, dass der wieder weg ist.«
Der Mann aus der Gesundheitsbranche kann da auch nur sprachlos in der Ratlosigkeit sitzen, beschienen vom Licht der Kuhfelllampe.
All dies ist schön und lehrreich gefilmt, erklärt aber noch nicht die Idee des Films. Die liegt meines Erachtens in der fundamentalen Gesellschaftskritik. Die Decke der Zivilisation ist dünn, und schon der Umstand, dass der Mensch ein Naturwesen ist, durchstößt sie. Rebecca kriecht nicht umsonst auf dem Waldboden herum, um sich zu erden. Die ganze Konzeption des neuen Kleinbürgertums mit seinen nicht abbezahlten Eigentumswohnungen, seinen Marken-Kinderspielsachen und verrückten Vornamen ist zum Scheitern verurteilt. Im kollektiven Unglück ist kein privates Glück möglich, so das Fazit von »Das Fremde in mir«. Da hilft kein Arzt.
Auch wenn es Rebecca irgendwann wieder prima geht, sie eine tolle Mutter wird und sich später einmal an die Krankheit wie an einen nächtlichen Spuk erinnern wird. Weil ausgerechnet das Fremde in einem das eigentlich Ureigene, und vor allem: das Urgewalttätige ist. Wehe, es wird losgelassen, wenn es einmal rausgelassen.

»Das Fremde in mir«. D 2007. R: Emily Atef. Start: 16.10.