Massentourismus am Ballerman

Helmut, Monika und der Bierkönig

Wenn Deutsche Urlaub auf Mallorca machen, tun sie dies in der Regel in El Arenal, genauer rund um den Strandabschnitt Balneario Nr. 6, den der deutsche Massentourist »Ballermann« getauft hat. Auch die Jungle World wagte sich unter die Ballermänner.

Balla Balla
Unsere Stars auf Mallorca. Am Ballermann hängen ihre Portraits. Jürgen Drews natürlich, Bernhard Brink für die ganz Alten, Nic für die ganz Jungen, DJ Haufi für die ganz Doofen. Und der Jürgen, der Big-Brother-Jürgen. Für wen auch immer.
Leider tritt jetzt niemand von ihnen auf, wir sind nachmittags hier, zur Filterkaffeezeit; egal, hier ist immer was los. Endlich am Ballermann, der Besuch gehört für jeden Deutschen zum Pflicht­programm wie der Eiffelturm in Paris oder die Totenkirche in Treysa. Wie bei jeder Touristen­attraktion, von der man längst alles weiß, ohne selbst da gewesen zu sein, sieht man genau das, was man erwartet hat, in diesem Fall eben lallen­de Männergruppen und zünftiges Deutschtum in XXL. Es geht nur noch um die Frage: Wie grauen­voll ist das alles wirklich im Selbsttest.
Und da gehen die Meinungen stark auseinander. Die einen finden, frei nach den Goldenen Zitronen: »Was solln die Deutschen raus aus Baller­man-Malle? Was hätte das für ein Sinn? Die Deutschen können doch net naus, denn hier jehörn se hin.« Alles nicht so schlimm, heißt es, hier kann der Prolet halt mal zwei Wochen im Jahr die Sau rauslassen, bevor er daheim wieder den Rest des Jahres von seinem Chef herumkommandiert wird. Und es kann ja nicht jeder immer nur ins Theater gehen wollen.
Die anderen dagegen finden Typen, die sich als Kühe verkleiden oder gruppenweise in zwanghaft spaßigem Partnerlook mit Sangriaflecken un­terwegs sind und die sich ganz offensichtlich darauf vorbereiten, sich später in irgendeinem der zahlreichen Etablissements zu »Finger im Po – Mexiko« vor der Deutschlandfahne nackig zu ma­chen, nicht unbedingt normal. Einer mit Motto-T-Shirt sagt, so dass es auch wirklich jeder hören kann: »Ich geh mir daheim mal schön den Sack rasieren.« Das hätte man dann lieber nicht so genau in Erfahrung gebracht. Die Straßenhändler aus Westafrika versuchen währenddessen, genau diesen Leuten ihren Nippes zu verticken. Sie reden deutsche Männer konsequent mit »Helmut« an, Frauen heißen immer Monika. Die Angesprochenen wissen immerhin, wer gemeint ist.
Andreas Hartmann

Antideutsche Schaumschläger
Deutsche gehen zum Ballermann, Antideutsche, also die Briten, nach Magaluf. Das deutsche Party-Refugium El Arenal befindet sich östlich, das britische Magaluf westlich der Hauptstadt Palma, die sozusagen die Rolle des Ärmelkanals einnimmt. Es kommt also kaum zu offenen Kampfhandlungen. Angeblich trauen sich nur selten Deutsche nach Magaluf. Die Ängste sind aber völ­lig unbegründet, denn die Briten sind ja ausgesprochen nette Leute, jedenfalls in der Nebensaison. Ob im gemütlichen Irish Pub oder in der Mega-Diskothek BCM: We are family. Okay, Sie wol­len sicher wissen, wie es ist auf so einer Schaumparty. Also gut: Stellen Sie sich vor, Sie befinden sich in der Trommel einer Waschmaschine, zusammen mit 1 000 glitschigen halbwüchsigen Eng­ländern und Engländerinnen und 1 000 Litern Spülmittel. Genau so. Das kann man toll finden oder ganz schrecklich oder vollkommen verrückt, auf jeden Fall ist es eins: nass. Verdammt nass. Aber man ist definitiv sauber hinterher, das muss man sagen.
Im Irish Pub, wo die Rentner verkehren, läuft Folk statt Bernhard Brink und im BCM schlechter Disko-Techno statt »Zehn nackte Frisösen«. Auch in musikalischer Hinsicht also zeigen die Engländer (relativ) mehr Geschmack als die Deutschen. Gut, sich von Animateuren die Brüste mit Sahne besprühen und ablecken zu lassen und dergleichen, ist sicher nicht jedermanns oder jederfraus Sache, aber das muss man ja nicht machen. Und wenn die beiden sehr dicken Herren auf dem Tresen ihre nackten, sehr dicken Hintern blitzen lassen, kann man auch weggucken. Der hohe Eintrittspreis von bereits heruntergehandelten 25 Euro ist absolut angemessen, weil alle Getränke im Preis inbegriffen sind. Im deutschen Bierkönig in der Schinkenstraße in El Arenal kostet es zwar keinen Eintritt, dafür zahlt man für die Getränke, sprich: Am Ende ist man weniger besoffen und ärmer. So sind sie, die Krauts, denken wir Briten und wir Briten im Geiste uns still – und meiden den Ballermann.
Ivo Bozic

Alles im Eimer
Ein böses Gerücht geht um unter den Deutschen auf Mallorca: Es sei verboten, aus Eimern zu trinken. Die Wahrheit ist: Es ist verboten, alkoholische Getränke in Eimern auszuschenken. Wer sich das lästige Nachschenken oder Nachbestellen ersparen will, muss nur einen der Supermärkte an der Ballermann-Meile aufsuchen. Dort erhält er, hin und wieder vielleicht auch sie, ein Rundum-Sorglos-Paket. Zum Beispiel einen Eimer, vier Flaschen mit jeweils 1,5 Litern San­gria, Eis sowie zehn Strohhalme für 9,40 Euro. Ähnliche Kombinationen werden für Sekt-, Brandy-,Wodka- und Likör-Liebhaber angeboten.
Einem weit verbreiteten Vorurteil zufolge ist das Trinken aus Eimern der Gipfel der barbarischen Enthemmung. Doch handelt es sich eher um ein gemeinsames Streben nach kollektiver Ekstase, das einem strengen Reglement folgt. Oft bereitet sich die Trinkergruppe durch das Anlegen spe­zieller Kleidung auf das Ritual vor. Alle tragen das gleiche bedruckte T-Shirt. Häufig gibt das T-Shirt den Mitmenschen auch Auskunft darüber, woher die Gruppe kommt und wie oft ihre Mitglieder das Ritual schon absolviert haben. Wenn es am Strand gegen Abend zu kühl und zu windig wird, ziehen die Trinker sich hinter die schützenden Wände des »Megapark« zurück. Dort ist Sangria nur literweise erhältlich, doch die Sitte, gemeinsam aus Strohhalmen zu trinken, wird weiter gepflegt. Ein archaisches Ritual, das den Brauch, alle Stammesangehörigen gemeinsam aus einem ausgehöhlten Baumstamm trinken zu lassen, wieder aufleben lässt? Eine zeitgemäße Form der proletarischen Kollekti­vierung? Eine moderne Variante der gemeinsamen Suche nach der Erleuchtung?
Tatsächlich erinnert der »Megapark« ein wenig an einen Tempel, der christliche und heidnische Elemente vereinigt. Geheiligt wird das gemein­same Besäufnis durch die bunten Glasfenster, die Kirchenfenstern nachempfunden sind, allerdings weltliche Motive zeigen. Auf der Kanzel steht ein DJ, der die Gemeinde zum Singen von Cho­rälen auffordert, anstelle eines Taufbeckens findet sich hier ein kleiner Pool. Tempeldiener eilen zwischen den Tischen umher und versorgen die Durstigen, während Tänzerinnen sie unterhalten. Bei den Festen zu Ehren des Baal mag es ähn­lich zugegangen sein, allerdings fehlte es den Men­schen damals an so nützlichen Erfindungen wie Kopfschmerztabletten und Plastikeimern. Für die meisten Besucher des »Megapark« ist es wohl ratsam, spätestens auf dem Rückweg einen Eimer zu erwerben. Denn dieses vielseitige Behältnis ist auch geeignet, alles aufzunehmen, was man nach übermäßigem Alkoholkonsum wieder von sich geben muss.
Jörn Schulz

Massenweise Qualität
Deutsche Touristen sind auf Mallorca eigentlich beliebt – denn sie bringen Geld. Die Mallorquiner sind auch nur mäßig geschockt von deutschen Abiturienten-Bataillonen und Junggesellen­abschieds-Trupps, die sich am Ballermann schwer daneben benehmen. Das liegt weniger an der Gleichmütigkeit und Toleranz der Mallorquiner als vielmehr daran, dass sie das alles in der Regel gar nicht mitbekommen. Solange die Deutschen nicht aus ihrem Areal in El Arenal herauskommen, sollen sie dort ruhig den Bürgersteig vollkotzen, wen juckt’s?
Dennoch gingen im vorigen Jahr rund 40 000 In­sulaner auf die Straße, um gegen die Auswirkungen des Tourismus auf Mallorca zu demonstrieren. Aber nicht wegen des Ballermanns. Seit Neckermann 1963 den Mallorca-Urlaub erfand, hat sich einiges verändert. Gerade in den vergangenen Jahren. Weg vom Massen- hin zum »Qualitätstou­rismus«, heißt die Devise. Immer mehr wurde die gesamte Insel mit Ferienhäusern, Zweitwohnsitzen, Golfplätzen und Wellness-Hotels überzogen. Dass dies nicht unbedingt ein Fortschritt für Mallorca ist, zeigt auch eine Studie des Geowissenschaftlers Thomas Schmitt von der Ruhr-Universität Bochum. Sie kommt zu dem Ergebnis: »Ballermann war besser.« Der Massentourismus erziele »sehr viel höhere Einnahmen bei gleichzeitig sehr viel geringerem Landschafts­verbrauch«. Nun aber ist der Ballermann offen.
Obwohl die Lokalregierung seit Jahren versucht, den Bauboom auf der Insel einzudämmen, Uferpromenaden zu Fußgängerzonen macht und Bauanträge von Ausländern für Fincas immer häufiger ablehnt, breiten sie sich unaufhörlich aus, diese Deutschen. Hatte man sie früher in ihrem Problembezirk unter Kontrolle, sind sie heute überall. Gestern gehörte ihnen der Ballermann, morgen vielleicht schon die ganze Insel.
Ivo Bozic

Du bist Ballermann
Deutsch, deutscher, am deutschesten. Wie man das auch immer steigern mag, das ist der Ballermann. Keine weltbewegende Feststellung, das gebe ich zu. Entweder deutsch sein oder Deutsche gucken, andere Optionen hat man hier nicht. Da ich nicht deutsch sein kann, bleibt mir nur die eine Möglichkeit. Deutsche am Ballermann gucken ist schlimm, dachte ich, bis mir klar wurde: Wenn der Ballermann zu den Antideutschen kommt, ist es schlimmer. Szenenwechsel: Abends auf der Terrasse unserer Finca sitze ich mit den Kollegen vor dem beleuchteten Pool. Die Flasche Sekt steht relativ unbeachtet auf dem Tisch, der Konsum von Dosenbier nimmt bedenklich zu. Wir sind seit zwei Tagen hier, erste Eindrücke über die Insel werden ausgetauscht. Die Enttäuschung ist deutlich zu spüren, die paar besoffenen Deutschlandprolls, die derzeit – es ist Neben­saison – am Ballermann herumhängen, haben die Kollegen nicht sonderlich beeindruckt. Ich fange an, mich ein wenig deplatziert zu fühlen. Der Kollege aus Treysa erzählt von der Kirmes in seiner Stadt, der aus Düsseldorf vom verrückten Karneval, der aus Hamburg von der Reeperbahn … Fazit: Daheim geht es deutlich mehr ab. Die ultimative Deutschland-Party war nirgendwo zu finden, der totale Trash-Kick blieb aus. Sollen wir noch mal am Wochenende vorbeischauen, vielleicht tritt Willi Herren (»Wer hat den Größten? Ich, ich, ich! Wer hat den Kleinsten? Du, du, du!«) im »Megapark« auf. Nein, am Wochenende steht schon die Schaumparty in Magaluf an. Briten gucken.
Es bleibt also nichts anderes übrig: Wir holen uns den Ballermann nach Hause! Mit Niveau aber. Mit Namen wie Jürgen Drews, Marius Müller-Westernhagen, Peter Maffay und Udo Lindenberg kann ich nichts anfangen, von der Youtube-Karaokeparty, die hier bis spät in die Nacht geht, bleibe ich ausgeschlossen.
Einige einfühlsame Kollegen merken das, es wird umgeschaltet. Endlich. Jetzt kommt mein Trash: Sabrina (»Boys, boys, boys«), Umberto Toz­zi (»Ti amo«), Al Bano und Romina Power (»Felicitá«). Ich bin beruhigt. Die antideutschen Ballermänner und -frauen grölen auf Italienisch weiter. Ein bisschen wie zu Hause fühle ich mich jetzt auch. Federica Matteoni