Die »Mallorca Zeitung« und die Integration der Deutschen

Marlies sucht den Bio-Metzger

Nicht alle deutschen Migranten finden auf Mallorca das sonnig unbeschwerte Leben, das sie sich erträumt hatten. Die deutschsprachige Mallorca Zeitung bemüht sich um die Integration der Einwanderer.

In den spanischen Zeitungen war es nur eine kleine Nachricht: Eine deutsche Obdachlose war am 23. September in Palma de Mallorca zusammengeschlagen worden. Die Mallorca Zeitung mach­te aus der Meldung eine zweiseitige Reportage. »Unsere Themen finden wir oft in den spanischen Medien, die über Mallorca berichten«, meint Lokalreporterin Silke Droll, die sich auf die Suche nach der Deutschen machte. Der Journalistin aus Regensburg, die erst ein knappes Jahr auf der Insel lebt, fehlt zwar noch das auf Mallorca so wichtige Netz an persönlichen Kontakten zu Behördenvertretern, aber im Bedarfsfall leisten dann doch die Kollegen von der spanischen Schwes­ter­zeitung Diario Mallorca Amtshilfe. Die Schwester-Redaktion sitzt praktischerweise im selben Verlagshaus, und mit Unterstützung der spanischen Kollegen ließ sich die obdachlose Deutsche dann auch finden.

Ihre Geschichte, sie sprengt das Bild von den Deutschen im Inselglück. Die Frau aus Bayern lebt bereits seit zehn Jahren auf Mallorca und konnte doch nicht richtig Fuß fassen. 48 Jahre ist Ina W., das Zeitungsfoto zeigt ein verhärmtes Gesicht voller Sorgen- und Sonnenfalten. Zwei Tage hatte die Geprügelte im Krankenhaus verbracht, nun sitzt sie wieder wie andere Obdachlose an der Plaça d’Espanya im Zentrum von Palma. Zwei Jugendliche hatten die Schlafende im Vorraum einer Bankfiliale überrascht und mit Steinen und Stöcken auf sie eingeprügelt. Derartige Übergriffe seien Einzelfälle, betont die Polizei.
Droll stellt dieser Aussage in ihrem Artikel aller­dings entgegen, dass bereits im Februar Obdachlose in Palma angegriffen wurden und die obdach­lose Deutsche von wiederholten Übergriffen berichtet. Etwa 900 Obdachlose gibt es in Palma. Eine geplante Obdachlosenunterkunft sorgt derzeit für Diskussionen. Anwohner gründeten eine Initiative und versuchen das Wohnheim zu verhindern.
»Das Klischee von der Insel der reichen Deutschen stimmt so nicht«, kommentiert Ciro Kraut­hausen, der seit 2007 Chefredakteur der Mallorca Zeitung ist, den Fall. Krauthausen war als Korrespondent für die spanische Zeitung El Pais sowie für die taz tätig. Selbst in Kolumbien aufgewachsen, versteht er sein Blatt als Vermittlungsinstanz zwischen den Mallorquinern und den Deutschen. Die deutsche Migration auf Mallorca ist schichtübergreifend – von der Putzfrau über den Rentner und den Kreativen bis zum Millionär seien alle dabei, so Krauthausen.
Die Mallorca Zeitung ist eine der zwei deutschsprachigen Zeitungen der Insel. Konkurrent ist das alteingesessene Mallorca Magazin, das 1971 von einem Mallorquiner und einem Deutschen gegründet wurde. Beide Zeitungen erscheinen wöchentlich. Hinter dem Mallorca Magazin steht die Gruppe Serra, die Mallorca Zeitung gehört zum Verlag Prensa Iberica. Die beiden Verlage geben auch die wichtigsten Lokalzeitungen heraus, Serra Ultima Hora und Prensa Iberica Diario de Mallorca. Eine dritte deutschsprachige Zeitung, der Palma Kurier, konnte sich nur zwei Jahre am Markt behaupten. Kein Wunder, teilen sich die deutschen Blätter doch einen relativ überschaubaren Markt. 50 000 bis 60 000 Deutsche, die so genannten Residenten, leben auf der Insel. Dazu kommt allerdings die Masse von etwa drei Millionen Urlaubern jährlich.
Im Unterschied zum Mallorca Magazin hat die Mallorca Zeitung den Anspruch, anspruchsvoll zu sein. Junger und flotter wollen sie sein, buhlen beide Presseorgane doch um die gleichen Anzeigenkunden. Mit Berichten über Kultur, Gastronomie, Lifestyle und gut gemachten Geschichten aus dem Alltagsleben der Insulaner hat sich die Zeitung einen eigenen Leserkreis geschaffen. Nicht zuletzt leistet das Blatt eine wichtige Orientierungshilfe für die manchmal blauäugigen Einwan­derer, die kein Wort Spanisch sprechen, weil sie Mallorca für eine Art deutsches Bundesland halten. »Wir wollen ihnen die Insel erklären, ihnen die wichtigsten Lokalnachrichten präsentieren und ihnen Lust auf die Insel machen.«

Für planlose Neu-Insulaner stellt daher der Service­teil der Zeitung eine wichtige Überlebenshilfe dar. Barbara Pohle, die seit 26 Jahren auf Mallorca lebt, betreut das Service-Telefon und kennt die existenziellen Sorgen der deutschen Migranten. Dass sich das Alltagsleben automatisch leichter bewältigen lässt, wenn nur die Sonne scheint, hof­fen anfangs nicht wenige Umsiedler. Doch die meisten erkennen schnell, dass die spanische Insel Schritt für Schritt erobert werden muss und dass sie so manchen Stolperstein zu bieten hat. Carlos N. braucht dringend Hilfe bei der Ummeldung des Autos, Monika W. sucht eine Welpen­schule fürs Hündchen, Marlies S. verlangt nach einem Bio-Metzger, und Hans S. kann das Schmatzen des Palmrüsslers nicht mehr hören – der berüchtigte Schädling frisst seinen Garten kahl. Was tun? »Viele erwarten, dass hier überall Deutsch gesprochen wird, aber das ist ein großer Irrtum. Das macht den Alltag der Deutschen oft mühsam.« Nicht zuletzt, so vermutet Pohle, wecken auch die vielen TV-Formate, die Mallorca zur Dauerkulisse erkoren haben, falsche Erwartungen. Durch Auswanderer-Dokus wie »Good Bye Deutschland« haben viele das Gefühl, die Insel bereits ganz gut zu kennen.
Bei soviel Naivität ist es nicht verwunderlich, wenn Mallorquiner sich ärgern und von den Deut­schen fordern, zumindest »ihre« Sprache zu lernen. Dabei handelt es sich allerdings nicht um Spa­nisch, sondern um Katalanisch, am besten natürlich die mallorquinische Variante. Der Sprachen­streit ist ein wichtiges Thema der Zeitung und in den lokalen Diskussionen, ebenso wie Korruption, Tierschutz und last but not least die Wirtschaftskrise.
Dass das Zusammenleben von Mallorquinern einerseits und den Migranten sowohl aus Deutsch­land als auch zum Beispiel den nordafrikanischen Ländern andererseits bisher ganz gut funk­tioniert hat, liegt nicht zuletzt an der stabilen ökonomischen Situation. Bislang ging es den Mal­lorquinern nämlich vergleichsweise gut, sie erwirtschafteten mit 17 000 Euro eines der höchsten Pro-Kopf-Einkommen Spaniens, das im Durchschnitt bei nur 13 500 Euro liegt. Quellen des Wohl­stands sind dabei zu 75 Prozent der Tourismus und die Bauindustrie mit rund zehn Prozent. Auch wenn das Gesicht des Massentourismus zuweilen hässlich ist, beschwichtigen solche Zahlen dann doch die Kritik an Männern und Frauen in Dreiviertel-Shorts. Auch die Steuer zahlenden Neu-Mal­lorquiner aus Berlin und dem Schwarzwald tragen entscheidend zum Prosperieren der Inselöko­nomie bei. Fleißig also sind sie im Großen und Ganzen, die Ausländer aus Deutschland, wie aber steht’s um die Integration?
Dass die Deutschen sich assimilieren, die Herkunftssprache ablegen und die mallorquinischen Medien nutzen sollen, ist eine Forderung, die dem Chef der deutschsprachigen Mallorca Zeitung naturgemäß eher fremd ist. Natürlich will man die Integration der verschiedenen Einwanderergruppen aus Deutschland fördern. Dass die Deutschen auf der Insel unter sich leben, ganz ähnlich wie es die Türken in Deutschland tun, ist für Krauthausen jedoch eine Realität, die man zu akzeptieren habe. »Damit«, so sagt er, »rela­tiviert sich auch die Debatte, wie sie in Deutschland über die Integration der Türken geführt wird.«