Deutsche Kolonialpolitik im Internet

Weg mit dem Büßergewand

Wie war das damals im Kolonialismus? Beliebte Internetseiten bieten einen revisionistischen Blick auf die deutschen Kolonialverbrechen in Afrika.

Das Ende der »kolonialen Amnesie« in Deutschland begrüßten etliche Historiker im Jahr 2004. Denn als sich zum 100. Mal der Beginn des Herero- und Nama-Kriegs im heutigen Namibia jährte, erhielt nicht nur der Feldzug der kaiserlichen »Schutztruppen« eine große und häufig auch kri­tische Aufmerksamkeit in den Feuilletons und Fachbüchern. Der Jahrestag des Beginns des Krieges, der bis 1908 dauerte und in weiten Teilen der historischen Forschung als erster Genozid des 20. Jahrhunderts eingestuft wird, rückte den deutschen Kolonialismus im Allgemeinen ins öffentliche Interesse.

Große Aufmerksamkeit widmen dem Massenmord der deutschen Kolonialtruppen an den Herero und Nama verschiedene, äußerst beliebte Internetseiten immer noch. Doch das ist alles andere als begrüßenswert. Denn diese Seiten zeigen ein positivistisches und sogar revisionistisches Bild des deutschen Kolonialismus.
Die bekanntesten Seiten im Netz sind deutsche-schutzgebiete.de, schutzgebiete.de sowie traditionsverband.de. Die Seite deutsche-schutzgebiete.de feierte im April den achtmillionsten Zugriff. Das erklärte Ziel der Betreiber ist es, den deutschen Kolonialismus so zu zeigen, wie er von Zeitgenossen wahrgenommen und dargestellt wurde, um so »einen hoffentlich objektiven Überblick« zu bieten.
Heiko Wegmann, der Webmaster der Seite freiburg-postkolonial.de und des Informationszen­trums 3. Welt in Freiburg, berichtet, dass gerade Gruppierungen wie der deutsche Traditionsverband schon frühzeitig, nämlich ab 1999, die Möglichkeiten des Internets für die Darstellung einer Betrachtungsweise erkannten und nutzten, in der die deutschen Täter geradezu verehrt werden. Schon 2003 setzte sich Helmut Bley, ein Historiker mit dem Forschungsschwerpunkt deut­scher Kolonialismus, im Rahmen eines Projekts an der Universität Hannover mit den bedenklichen Inhalten im Internet auseinander und stellte fest: »Bestände das wilhelminische Kaiserreich bis heute fort, so würde es vielleicht seine Kolonial­geschichte in recht ähnlicher Weise dokumen­tie­ren, wie es die Website deutsche-schutzgebiete.de vorschlägt.«
Auf dieser Seite, die von den genannten das größte Publikum hat, wird die Geschichte der deut­schen Kolonien in »tabellarischer und chronologischer Form« dargestellt. »Fast ausschließlich logistisch-technische Aspekte der Kolonialaggression« werden detailliert aufgezählt, hieß es in einem Papier eines von Bley betreuten Projekts an der Universität Hannover. In diesem Blickwinkel erscheinen die Kolonialisten als »Überbringer geordneter Entwicklungsstadien«. Die eigentliche Geschichte Afrikas beginnt mit der Okkupation durch die Deutschen. So entsteht der Eindruck eines vorher geschichtslosen Kontinents. Ein weiteres, überaus wichtiges Merkmal dieser revisionistischen Auslegung des Kolonialismus ist, dass die verschiedenen namibischen Bevölkerungsgruppen nur als geschichtslose Objekte und »Anhängsel« in dem übergeordneten Geschehen dargestellt werden. Und wenn Afrikaner als Handelnde auftreten, erscheinen sie lediglich kollektiv als Aggressoren, die wahllos »plünderten« und »mordeten« und so selbstverständlich auch keinen legitimen Widerstand leisteten.

Die Beliebtheit der genannten Seiten lässt sich zum Teil damit erklären, dass der dort zu findende Revisionismus Faktentreue vortäuscht. Der große Bestand an authentischem Bildmaterial ver­leiht den Seiten eine zusätzliche Attraktivität. Vor allem Schülerinnen und Schüler, die Material für Referate suchen, und Lehrerinnen und Lehrer greifen immer wieder auf diese Seiten zu, wie man an den Einträgen im Gästebuch erkennen kann. Dabei sei »doch eigentlich schnell erkennbar, woher der Wind weht«, sagt Wegmann, der freiburg-postkolonial.de unter anderem als eine Gegendarstellung zu diesen revisionistischen Angeboten sieht.
Des Weiteren wurden die Seiten wiederholt von »seriösen Medien« empfohlen wie etwa dem ZDF, 3Sat, der Zeit, der Süddeutschen Zeitung oder zuletzt von Spiegel-online im Mai. So kommen die Homepages nicht nur zu höheren Plätzen in den Trefferlisten der verschiedenen Suchmaschinen und somit zu größerer Bekanntheit. Selbstverständlich steigert dies auch die Glaubwürdigkeit und die Legitimität der positivistischen und revisionistischen Sichtweise.
Gerade das ZDF, das sich in einer dreiteiligen Dokumentation im Jahr 2005 des deutschen Kolonialismus annahm, übertraf in seiner Darstellung damals die negativen Erwartungen. Die Serie kam kaum über das binäre Bild von den »Anderen«, »Wilden«, unzivilisierten Afrikanern und den fortschrittlichen, deutschen Kolonialisten hinaus. Vergangenheitspolitisch war diese Serie zur besten Sendezeit sehr einflussreich: Die DVD, auf der die Dokumentation zu sehen ist, wird in etlichen Foren für Lehrerinnen und Lehrer als Unter­richtsmaterial empfohlen. Nicht zuletzt gewann die Serie an Glaubwürdigkeit, da sie mit der fachlichen Beratung des bekannten deutschen Kolonialhistorikers Horst Gründer produziert wurde, der auch ein begleitendes Buch veröffentlichte.
Gründer wurde für sein offensives Eintreten für eine Geschichtsschreibung bekannt, in der die vermeintlich positiven, modernisierenden As­pekte des Kolonialismus durchaus Wertschätzung erfahren. »Wir müssen nicht immer mit dem Wort Genozid im Munde herumlaufen«, sagte er auf einem Symposium zum 100. Jubiläum des Maji-Maji-Kriegs in Berlin im Jahr 2005, »die ewige Larmoyanz nützt nichts, und man muss als Deutscher auch nicht immer das Büßergewand anziehen, denn nirgendwo in der Geschichte hat es Modernisierung ohne soziale Kosten gegeben.« Dass Gründer diese Aussage getroffen hat, wird auch von Reinhart Kößler bestätigt, der Soziologie an der Universität Münster lehrt und Vorstandsmitglied der Informationsstelle Südliches Afrika (ISSA) in Bonn ist. Gründers Plädoyer für eine positive Bilanz des deutschen Kolonialismus weist große Ähnlichkeiten mit der Argumentation der revisionistischen Hobby-Historiker im Internet auf. Und die von Gründer vorgebrachten Argumente, so stellt Kößler fest, glichen durchaus denen, die man aus der deutschen Schlussstrichdebatte kenne. Gründers Sichtweise erinnere an den Topos, »dass Hitler nicht so schlecht gewesen sei, weil er doch auch Autobahnen gebaut habe«, sagt Helmut Bley.

Die Betreiber der Internetseiten und Horst Gründer unternehmen den Versuch, die Epoche des deutschen Kolonialismus und zugleich des Kaiser­reichs umzudeuten. Als positive Ära soll sie in die deutsche Nationalgeschichte integriert werden. So erklären es die Internetseiten u.a. zu ihrem Ziel, das Deutschland darzustellen, das vor den »dunklen zwölf Jahren unter Hitler« bestanden habe. Denn »der Nationalstolz zur Kolonialzeit war ein ganz anderer, als den manche ihn heute verkaufen möchten«. Und so kommen die Betreiber zu der bahnbrechenden Erkenntnis: »Es gab sogar ein Deutschland vor den Nazis.«
So wird nicht nur der Kolonialismus verharmlost. Der Nationalsozialismus wird von den historischen Vorgängen vor dem Ersten Weltkrieg losgelöst. Doch man wird ihn nur verstehen können, wenn man ein möglichst umfassendes Bild seines Entstehens entwirft und nicht erst die Zeit nach dem Versailler Vertrag betrachtet. Zu einer solchen Analyse gehört auch die Frage nach dem ideologischen Zusammenhang zwischen kolonialer Ausbeutungs-, Vernichtungs- und Rassenpolitik und dem Nationalsozialismus.

Geändert: 30. Oktober 2008