Die Popkomm, ein Rückblick

Wie ein Herbst ohne Mon Chérie

Wer oder was nicht auf der Popkomm zu finden war.

Auf einer Fachmesse will sich eine Branche glamourös, erfolgreich und vor Ideen übersprudelnd zeigen. Zukunft soll aus allen Poren dringen. Die Musikindus­trie, die sich fortan Musikwirtschaft nennt, hat ihre glorreichen Zeiten mit der Popkomm 2008 endgültig hinter sich gebracht. Man setzt sich zwar mittlerweile streberhaft mit seinen Problemen auseinander, aber wie der Markt so spielt: Die Konkurrenz hat in den vergangenen zehn Jahren nicht geschlafen. Die Krise wurde in den Feuilletons breitgetreten, und Pop­kommberichterstattungen gab es in den vergangenen Tagen mehr als CD-Verkäufe. Zu selten aber wur­de in der Berichterstattung darüber geredet, was man auf der Popkomm vermisst hat. Hier also eine unfertige Liste in willkürlicher Reihenfolge von Aspekten oder Firmen, die man eigentlich auf der Popkomm 2008 erwartet hätte:

Aldi
Die Discounterfüchse Albrecht wären mit Sicher­heit die richtigen Experten für die Musikwirtschaft in ihrer gegenwärtigen Krise. Aldi hätte der Dumping-Partner für die Musikindustrie werden können. Siehe auch: Plus (kleine Preise winken).

MySpace
Dass die Online-Community, die der Welt immer­hin Hype-Bands wie die Arctic Monkeys oder synthetische Kuhglocken-Rave-Musik bescherte, nicht auf der Messe zu finden war, darf man als arrogantes Signal werten: »Hallo Musik­wirtschaft, wir brauchen dich nicht, ihr braucht uns!«

Apple
Warum der amerikanische Computerhersteller mit seinen I-Tunes weder einen Stand oder noch besser gleich die ganze Messe in eine I-World verwandeln wollte, das verstehe, wer will.

Sony Ericsson
Steht exemplarisch für die ganze Telekommunikationsbranche, die auch mit Musik handelt. Es nervt natürlich gehörig, dass die Männer aus der Telekommunikationsbranche heute den Champagner trinken, der früher auf dem Tisch eines A & R stand.
Bevor jedoch die Telekommunkationsexperten in Panels auch noch auf die langweilige Frage: »Wie geht das?« eine Antwort geben müs­sen, bleiben sie lieber auf ihren eigenen, einflussreicheren Messen weltweit.
Ebenfalls durch Abwesenheit glänzte O2 – trotz frisch eingeweihter O2-Arena – wenigstens war nach dem Teilnehmerverzeichnis ein O2-Botschafter anwesend!
Franz Beckenbauer war es nicht. Reiner Callmund leider auch nicht. Ein Telekom-Musicload-Stand in Magentafarben war auch nicht zu finden.

Bundeskriminalamt
Die Musikwirtschaft will in der Bevölkerung ein Bewusstsein dafür schaffen, dass illegales Downloaden Diebstahl ist. Zu diesem Zweck will sie auch an den Gesetzbüchern herumpfuschen. Ein Informationsstand des BKA, mit einem kleinen Einblick in die Möglichkeiten der Überwachung, gab es noch nicht zu bestaunen.

MTV / Viva
Tja, schon komisch, dass auf einer Popmesse das Massenmedium der Achtziger und Neunziger fehlte. MTV/Viva hätten doch wenigstens noch einen kleinen Stand aufbauen können, um dort auf einem Flatscreen zu zeigen, was sie uns seit Jahren bieten: Musikvideos und Werbung. Tja, war aber nicht so. Dafür stellte die Intro mit Sondergast Ray Cookes die Idee ihres neuen Internetfernsehens vor. Intro zufolge wur­de viel Geld in die Namensfindung gesteckt, und man konnte sich schließlich für den sensationell-bescheuerten Namen Putpat.tv begeistern lassen...

Schnaps
Hiermit sind vor allem Schnapshersteller gemeint. Wo war die Braunschweiger Firma Jägermeister? Die Jägermeister Rockliga hat die Band Deichkind größer gemacht, als MTV dazu jemals in der Lage war. Also: Warum gab es ­keinen Jägermeister-Rockliga-Stand? Weil die keine Gema zahlen wollen?

Stars
Hach damals, als die Popkomm noch in Köln stattfand, da ließen die Plattenlabels noch ihre Stars mit Bodyguards und Pressewolke über das Messegelände schreiten. Heute dagegen: we­der Amy Winhouse, noch Franz Ferdinand, nicht einmal Oasis! Gut, Robin Gibb – Sänger der australischen Bee Gees – hielt die Eröffnungsrede. Ja, und auch Irmin Schmidt war da, weil er für den neuen Wim-Wenders-Film »Palermo Shooting« – mit Campino in der Hauptrolle (der uns auch nicht mit seiner Anwesenheit beehrte) – gerade einen Filmsoundtrack gemacht hat. Irmin Schmidt? Genau. Der Keyboarder von Can.

Coca-Cola
Diese Firma steht für Pop wie keine andere. Natürlich konnte man Coca-Cola an Cateringständen käuflich erwerben, aber nachdem Coca-Cola seit geraumer Zeit eine eigene Sound­wave herbei beschwört, hätte man sich zumindest über einen kleinen Erfrischungsstand gefreut. Vor allem über: Gratis-Erfrischungen.

Aggro-Berlin
Stellvertretend für alle noch erfolgreichen, mehr oder minder unabhängigen Musiklabels. Es gab zwar das so genannte Labelcamp, auf dem man zum Beispiel die Stände der Labels Compost oder Tapete bewundern konnte. Aber auf einem Platz von geschätzten vier Quadratmetern pro Label hat man nicht wirklich das Gefühl, am Anfang einer Erfolgsgeschichte zu stehen. Wir befinden uns schließlich im Zeitalter Web 2.8, vermutlich schon 3.1, wenn dieser Text erscheint – und nicht kurz vor der Erfindung der CD.

Google
Google beschert Plattenfirmen nicht nur kleine Werbeeinahmen, nein, Google führt den Kon­sumenten direkt zum Musikprodukt. Egal ob die Reise zum illegalen Bit-Torrent-Portal oder direkt zu Amazon geht. Und: Google gehört YouTube, der Plattform, die wie keine andere für den Web 2.0-Modebegriff »Virales Marketing« steht.

Radiohead
Zwar wurde immer noch sehr viel über Radioheads Marketing-Coup ihres Albums »In Rainbows« geredet, aber Thom Yorke konnte man ­leider nicht zufällig an den Ständen der Pop­nationen Schweiz, Österreich oder Ungarn treffen, wo er den zuständigen Popbotschaftern wertvolle Tipps in puncto cleverem Musikmarketing hätte geben können.

Bertelsmann
Eine Popkomm ohne BMG ist wie ein Herbst ohne Mon Chérie. Das Gütersloher Familienunternehmen zieht sich vollkommen aus dem Musikgeschäft zurück, was schade ist. Damit hat die Bundesrepublik Deutschland kein Major­label mehr. Also eins mit heimischen Wurzeln.

Die Bahn
Partner der Popkomm war in diesem Jahr die Automobilindustrie, und man durfte in einem Vortrag erfahren, dass ein Familienvater ja heute nur noch im Auto wirklich die Zeit findet, seine Dolby 5.1-Anlage auszufahren – vor allem weil einem zu Hause die Kinder andauernd die Boxen verstellen. Da aber Autos nicht mit Sound fahren sondern mit fossilen Brennstoffen, hätte man Dieter Gorny lieber mit Hartmut Mehdorn in einer Pressekonferenz gesehen. Im ICE finden schließlich auch viele Menschen Zeit, Musik zu hören.

McDonald’s
Warum McDonald’s bei dem Kundenkreis noch kein eigenes Musikmarketing betreibt, bleibt unerklärlich. Eine Junior-Tüte und ein Umsonst-Download – was bitte schön ist naheliegender? Immerhin hat das Rolling-Stone-Magazin an seinem Stand selbstgemachte Hot Dogs verschenkt.

Bono
Wenn Bono von U2 kommt, wird immer alles gut. Er ist und bleibt das gute Gewissen der ­Musikindustrie. Wenn das gute Gewissen zu Hause bleibt, dann heißt das nichts Gutes. Auch der deutsche Ersatzmann für Bono – Herbert Gröne­meyer – war weder als Künstler noch als Labelbetreiber seines Labels Grönland anwesend.

Jürgen Klinsmann
Dieser Mann steht für die Modernisierung des deutschen Fußballs. Sobald er das Projekt Bayern München beendet hat, erwarten wir ihn auf der Popkomm. Spätestens im Kubrickjahr 2010. Als Heilsbringer.

Charlotte Roche
Die Frau, die nicht nur für Popfeminismus steht, sondern auch den Weg aus der Krise der Musikindustrie kennt: den Buchmarkt. Dort fangen die gemeinen Digitalen zwar auch schon an zu wüten, dennoch: Die Generation X ist in die Jahre gekommen und geht mittlerweile lieber zu Lesungen als zu lauten, langweiligen Rockkonzerten.

Eurodance
Der Soundtrack zur Hochzeit der Popkomm. Er scheint wie vom Erdboden verschluckt bzw. komplett von der Schlagerbranche vereinnahmt worden zu sein. Schade. Ich denke immer noch: »I’ve got the Power!«

Katholische Kirche
Die katholische Kirche gilt nicht nur als Erfinder der Popkultur, sondern auch als die Erfinder des Popmarketings. Das können Atheisten bei Warhol nachlesen. In sozialdemokratischer Manier macht man Pop heute ganz ohne Gott. Also ohne Glauben, Liebe oder andere Gefühle. Wenn der Rubel nicht rollt, dann hat man eben andere Sorgen!

Spex
Das Magazin für Popkultur, das der Musikindus­trie am Beispiel des eigenen Produkts – nämlich ihres Heftes – eindrucksvoll bewiesen hat, dass man sogar durch Entschleunigung modernisieren kann, hatte weder Zeit, auf der Popkomm einen Stand aufzubauen, noch die Muße, persönlich dort vorbeizuschauen. Die aktuelle (jetzt zweimonatige) Heftproduktion ging vor! Schade!
Naja, die Popkomm läuft einem ja nicht davon...