Serie über Serien: »Six Feet Under«

Home, Sweet Funeral Home

Serie über Serien. Bei »Six Feet Under« guckt Julia Eckhoff gerne tief in die Särge

Ein Fußgänger wird von der Butter­brot­dose eines Gerüstarbeiters erschla­gen. Eine Bergsteigerin stürzt in den Abgrund. Ein Diabetiker nascht Pfirsichkompott. Ein Baby wacht nicht mehr auf. Sterben: alltäglich, tragisch, komisch – und in Serie. Willkommen bei »Six Feet Under«.
Stets eine Leiche im Keller und ihre mehr oder weniger trauernden Angehörigen im Haus. Eine seltsame Situation, immer wieder. Und der ganz normale Alltag der Fishers, einer weißen, US-amerikanischen Mittelschichtsfamilie, die in einem Vorort von Los Angeles ein Bestattungsunternehmen betreibt. Ihr Funeral Home ist ein Ort voller Traurigkeit und Kälte. Doch es ist nicht die Allgegenwart des Todes, die diese Atmosphäre bedingt. Sie ist Ausdruck der familiären Verhältnisse, Symptom der Schwierigkeiten in den Beziehungen zwischen den Familienmitgliedern. Es sind ihre unerfüllten Bedürfnisse und enttäuschten Erwartungen, ungelösten Konflikte und unbewältigten Traumata, die sich zu dieser spezifischen Stimmung verdichten, die als dekonstruktiver Kommentar zu bürgerlicher Familienideologie taugt.
Das Geschäft der Fishers mit dem Tod fungiert auf verschiedenen Ebenen als Folie zur Reflexion ihrer schwierigen (familiären) Situation, die »Six Feet Under« mit außergewöhnlicher Genauigkeit und Konsequenz entwickelt. Die Se­rie konstruiert die einzelnen Familienmitglieder als komplexe Charaktere mit persönlichen Problemen, Ängsten und Wünschen, die meist als Konsequenzen konkreter Erfahrungen sicht­bar werden. Im Familienverbund, auf den sie sich alle emotional motiviert beziehen, konfron­tieren ihre unterschiedlichen Lebensdispositionen – und sind unvermittelbar. In ihren verzwei­felten Versuchen, ihr Leben glücklich zu gestalten, bleiben die einzelnen Fishers allein, nicht Interesse und Verständnis oder gar Solidarität prägen den familiären Kontakt, sondern vor allem Unverständnis und daraus resultierende Vorwürfe und Distanznahmen. Und obgleich sich alle Familienmitglieder in ständiger Entwicklung befinden und sich damit immer auch ihre Beziehungen und die konkreten Konflikte verändern, wird Familie für sie nie zu einem Hort der Harmonie und Geborgenheit.
Die Fishers sind keine glückliche Familie. Und gerade in dieser Abweichung vom Ideal sind sie die Norm. »Six Feet Under« zeichnet alle Pro­tagonistInnen als vom Leben beschädigte Personen, die selbst und gerade in ihrem familiären Zusammenhang einsam und deren Probleme meist ungelöst bleiben. Die Stärke der Serie liegt in der überzeugenden Entwicklung und Ausgestaltung der Konflikte innerhalb der Familie, an­hand derer nachvollziehbar wird, warum diese nicht als Gegenort oder Raum des Rückzugs vor der Gesellschaft fungieren kann. Das System Familie erweist sich vielmehr als besonders brutale, weil emotional funktionierende Vermittlungsinstanz der gesellschaftlichen Forderungen nach Leistung, Verzicht und Konformität sowie als zentraler Austragungsort der Konflikte, die sich aus dem folgerichtigen Scheitern der Einzelnen in ihrem individuellen Streben nach Glück ergeben.
Großartig an »Six Feet Under« ist zudem, dass die Serie ihre realistische Darstellungsform immer wieder sprengt, indem sie diese für pointierte In-Szene-Setzungen ihrer Fiktionalität nutzt. Träume und Phantasien der ProtagonistInnen, aber auch Imaginationen alternativer Handlungsverläufe sind Teil des Narrativs und so überzeugend konstruiert und platziert, dass sie meist nur im Nachhinein als erzählte Nicht-Realität erkennbar werden. Gerade die phantasierten Rollenbrüche, aber auch die Gespräche mit den dafür wie­der auferstandenen Toten verleihen den Charakteren zusätzliche Komplexität, zeigen sich darin doch sonst verborgene, ja unterdrückte Aspekte ihrer Persönlichkeiten.
Leider ist es den Machern von »Six Feet Under« nicht gelungen, der kulturindustriellen Versuchung eines Happy Ends zu widerstehen. So muss man am Ende der letzten Staffel in einer Art Zukunftsvision eine sehr plötzlich sehr glück­liche Familie ertragen, die alle großen Mo­mente des Lebens – nämlich Hochzeiten (!) und Todesfälle – in harmonischer Eintracht durch­lebt. Trotz dieses höchst ärgerlichen Finales bleibt »Six Feet Under« eine schicke Geschichte, die sich eher weniger als Mittel zur aris­totelischen Katharsis, umso mehr jedoch als höchst unterhaltsames Material für Analysen und Diskussionen der brutal-realen Schwierigkeiten im ideologisch belasteten Zwangsverband Familie eignet.